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       # taz.de -- Impfstreit, Maut und rechter Terror: Wird alles besser? Wohl doch nicht
       
       > Der Streit um die Impfdosen, der Verantwortung des Verkehrsministers und
       > das Urteil im Lübcke-Mord zeigen: Alles ist bedenklich.
       
   IMG Bild: Zur „Kompetenzkompetenz“ eines CSU-Politikers wie Andreas Scheuer gehört Stehvermögen
       
       Von dem [1][verstorbenen Physik-Genie Stephen Hawking] stammt der Satz,
       Intelligenz sei die Fähigkeit, sich an Veränderungen anzupassen. Wenn das
       so ist, dann war diese Woche ein IQ-Test sondergleichen. Nachrichten,
       politische Verlautbarungen und Beschlüsse waren schneller obsolet, als
       jemand „Impfsicherheit“ sagen konnte.
       
       Wer sich am Montag (in Ermangelung aller kurzfristigen Hoffnungsschimmer)
       noch an der Perspektive festhielt, die Gesundheitsminister Spahn eröffnet
       hat, wonach „bis zum 21. September“ allen Willigen in Deutschland die
       Impfung zur Verfügung stünde, musste schon am Abend erkennen: Wohl doch
       nicht. Denn wenn AstraZeneca, der Pharmakonzern, auf dem die Hoffnungen
       Europas ruhten, statt der vereinbarten 80 Millionen [2][Impfdosen für die
       EU im ersten Quartal] nun nur 31 Millionen liefert, ist Spahns Zeitrahmen
       perdu.
       
       Der Impfschutz für die betagten Eltern und die chronisch Erkrankten im
       Bekanntenkreis verschiebt sich damit weiter nach hinten. Aber wenigstens
       für die Kinder gibt es die Aussicht, schon bald nach den Winterferien
       wieder in die Schule … ach nein, wohl doch nicht. In Baden-Württemberg und
       Rheinland-Pfalz mussten Winfried Kretschmann und Malu Dreyer schon wieder
       zurückrudern. Denn auch wenn sie im März als Erste dran sind mit
       Landtagswahlen – die Virusmutanten lassen keine Lockerungen zu.
       
       ## Impfgezerre in der EU
       
       Also bleibt alles dicht. Und wir schauen weiterhin den Inzidenzzahlen beim
       langsamen Sinken zu und verfolgen ratlos das Impfstoffgezerre in der EU:
       Hat Boris Johnson sich heimlich Impfdosen gesichert, um seinen Landsleuten
       den (einzigen) sichtbaren Erfolg des Brexit präsentieren zu können? Oder
       war die EU einfach später dran mit dem Bestellen und kriegt jetzt halt
       später? Und was genau steht eigentlich in diesem ominösen Impfstoffvertrag?
       Der soll jetzt veröffentlicht werden, um den Gerüchten ein Ende zu setzen.
       Doch vorab kam die Nachricht, es werde nun doch mehr als 31, wenn auch
       nicht die ursprünglich vereinbarten 80 Millionen Impfdosen geben.
       Allerdings nur für Menschen unter 65 Jahren.
       
       Das wirbelt jetzt noch mal die Impfreihenfolge durcheinander. Vielleicht
       können ErzieherInnen und LehrerInnen dann vorgezogen werden, sodass
       wenigstens die Schulen bald …? Aber ich verbiete mir diese wilde Hoffnung,
       denn umso brutaler ist es dann hinterher, wenn es wieder heißt: Ach nein,
       wohl doch nicht.
       
       Kleiner Zusatzaufreger für alle BerlinerInnen: Am Donnerstag hieß es
       überraschend aus dem Haus von Gesundheitssenatorin Kalayci, Berlin werde in
       die Impfstoffproduktion einsteigen, ein schneller Ausbau der Impfproduktion
       des Unternehmens Berlin-Chemie sei möglich. Bei der Kombination „Berlin“
       und „schnell“ hätte man gleich stutzig werden müssen. Entsprechend hieß es
       schon am Abend: Nee, doch nicht. Da ließ Berlin-Chemie mitteilen, man habe
       gar nicht die Technologie dafür. Na ja, wenigstens kann in Adlershof beim
       Abfüllen von Impfdosen geholfen werden. Womöglich. Vielleicht. Jedenfalls
       ist diese Nachricht Stand jetzt noch nicht überholt.
       
       ## Der Scheuer-Andi
       
       Die News dagegen, dass Andreas Scheuer – der selbst in Regierungskreisen
       offenbar so ungezwungen „Scheuer-Andi“ genannt wird, wie Linken-Politiker
       Ramelow in der Internet-Plapperbude „Clubhouse“ die Kanzlerin zum
       „Merkelchen“ herabverniedlichte –, dass dieser Fachmann für die
       „Ausländer“-Maut die fast 10-stündige Befragung im Untersuchungsausschuss
       politisch überlebt hat, kam so überraschend nicht. Denn Stehvermögen ist
       gewissermaßen, um mit Edmund Stoiber zu sprechen, die „Kompetenzkompetenz“
       eines ordentlichen CSU-Politikers.
       
       560 Millionen Euro Schadensersatzforderungen seitens der Betreiber, weil
       der Vertrag fertig gemacht wurde, bevor der Europäische Gerichtsstopp das
       Projekt kippte – ja, das findet Scheuer auch unverschämt, er aber hat alles
       richtig gemacht, beteuert er noch immer, mit diesem unnachahmlich
       treuherzigen Blick durch seine Rundbrille.
       
       Bloß nix zugeben, mit dieser Strategie ist der mutmaßliche Mittäter im
       Lübcke-Mord auch gut gefahren – dass er der zweite Mann auf der Terrasse
       war, konnte ihm nicht nachgewiesen werden; er wurde freigesprochen. Der
       geständige und absolut nicht reuige Haupttäter Stephan E. hat
       „lebenslänglich“ bekommen; für das rassistisch motivierte Attentat auf
       einen Iraker wurde er nicht belangt.
       
       [3][Ist das jetzt der „wehrhafte Rechtsstaat“?] Oder, ach nein, doch nicht
       – weil dieses Urteil eine Ausnahme darstellt in einer Atmosphäre der
       Duldung und klammheimlichen Unterstützung von Rassismus, wie der
       Rechtsextremismusforscher Matthias Quent im „heute journal“ gesagt hat? Ich
       weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mich hat diese Woche des „ach, nein,
       doch nicht“ keineswegs intelligenter gemacht.
       
       31 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
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   DIR [2] /Coronavakzine-in-der-EU/!5741932
   DIR [3] /Urteil-im-Luebcke-Prozess/!5743619
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nina Apin
       
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