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       # taz.de -- Österreichische Ministerin tritt zurück: „Approbiertes Geschwurbel“
       
       > Nach Plagiatsvorwürfen gibt die österreichische Ministerin Christine
       > Aschbacher ihr Amt auf. Den Doktor machte sie an einer Privat-Uni in
       > Bratislava.
       
   IMG Bild: Die ehemalige österreichische Arbeits- und Familienministerin Christine Aschbacher
       
       Wien taz | Vergangenen Samstag trat [1][Christine Aschbacher] als
       österreichische Arbeits- und Familienministerin zurück. Nicht wegen der
       unsäglichen Qualität ihrer akademischen Arbeiten oder wegen der wenige Tage
       davor erhobenen Plagiatsvorwürfe, sondern weil sich „Anfeindungen, die
       politische Aufgeregtheit und die Untergriffe leider nicht nur auf mich,
       sondern auch auf meine Kinder mit unerträglicher Wucht entladen“.
       
       Aschbacher und Bundeskanzler Sebastian Kurz (beide ÖVP) zogen rechtzeitig
       die Reißleine, denn sowohl die Fachhochschule Wiener Neustadt, wo
       Aschbacher 2006 mit einer Diplomarbeit den Magistergrad erworben hatte, als
       auch die private Technische Universität Bratislava, die 2020 eine
       Dissertation der Ministerin approbiert hat, haben eine wissenschaftliche
       Überprüfung der Arbeiten angekündigt.
       
       An deren Ausgang ist nicht zu zweifeln. Zumindest für den bekannten
       Plagiatsjäger Stefan Weber, der die Affäre aufgedeckt hat. Er wurde
       jedenfalls in der Diplomarbeit schnell fündig: „Nach drei Minuten wusste
       ich, was los ist.“ Mindestens 20 Prozent seien ohne korrekte Zitierung
       abgekupfert.
       
       Erst danach fand er heraus, dass Aschbacher inzwischen auch eine
       Doktorarbeit abgegeben und erfolgreich verteidigt hatte. Offenbar hatte
       die Arbeitsministerin am Höhepunkt der Coronakrise noch Zeit gefunden, ihre
       Dissertation fertigzustellen und zu verteidigen. Auch diese Arbeit unterzog
       Weber einem Screening mit der Plagiatssoftware „Turnitin“ und fand auf 134
       Seiten 21 Prozent Plagiate.
       
       Die Arbeit mit dem Titel „Entwurf für den Führungsstil für Innovative
       Unternehmen“ ist des Weiteren voll mit Kalendersprüchen,
       computerübersetzten Passagen von nicht deklarierten Fremdtexten und
       grammatikalischen wie orthografischen Eskapaden, die bei einem Schulaufsatz
       nicht durchgegangen wären.
       
       ## Nur 60 Kilometer von Wien entfernt
       
       Ein vom ORF interviewter Sprecher der TU Bratislava beteuerte, auch an
       seiner Uni hätte man standardmäßig geprüft. Allerdings räumte er ein, dass
       die Referenztexte fast zur Gänze in slowakischer Sprache abgefasst seien.
       Deutsche und englische Quellen würden kaum berücksichtigt.
       
       Das wissen wohl auch die meisten Dissertantinnen und Dissertanten. Nicht
       umsonst ist die besagte Privatuni, gerade 60 Kilometer östlich von Wien,
       ein beliebter Ort für den schnellen Weg zum Doktor. In akademischen Kreisen
       rümpft man die Nase über den „Dr. Bratislava“.
       
       Nach Bratislava kann man sich vermitteln lassen. Das Studienzentrum Hohe
       Warte in Wien wirbt auf seiner Homepage mit seiner internationalen
       Vernetzung: „Als private Ausbildungseinrichtung mit zertifizierten Studien-
       und Unterrichtsprogrammen verfügt das SHW seit Jahrzehnten über zahlreiche
       Kontakte zu renommierten internationalen Universitäten und Akademien.“
       
       Das SHW vermittelt seit Jahren Doktoratsstudien an Universitäten in
       Bratislava, Warschau und Belgrad: „Die Nachfrage nach diesem
       Dissertationsstudium spiegelt den aktuellen Ausbildungstrend wider, dass
       auch für Studienabschlüsse und Diplome Europas Grenzen gefallen sind.“
       Anders als an öffentlichen Hochschulen in Österreich, wo das Studium im
       Prinzip gratis ist, muss man für den billigen Doktor tief in die Tasche
       greifen. 30.000 Euro (inklusive Aufnahmeprüfung und Einschreibgebühr) sind
       fällig. Zwischen zwei und vier Semestern muss man veranschlagen. Allerdings
       berufsbegleitend, Anwesenheit auf der Uni ist nicht erforderlich. Der
       Direktor des Studienzentrums Hohe Warte, Konsul Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c.
       mult. Peter Linnert, weist jeden Verdacht, sein Institut vermittle
       akademisch fragwürdige Karrieren, empört zurück.
       
       ## Quantität statt Qualität
       
       In einem Gastkommentar in der jüngsten Ausgabe der Wochenzeitung
       [2][Falter] stellt sich der Medienwissenschaftler und Plagiatsgutachter
       Stefan Weber anlässlich des Falls Aschbacher die Frage: „Wie häufig kommt
       ein solches akademisch approbiertes Geschwurbel eigentlich vor? Welche
       Rolle spielt die Qualität der Inhalte im Hochschulsystem?“ Und er zitiert
       internationale Meta-Analysen, wonach [3][„wissenschaftliches Fehlverhalten]
       wie Plagiat, Ghostwriting oder Datenfälschung jeweils bei ca. 3,5 Prozent
       der Studierenden und/oder Wissenschaftler festzustellen ist“.
       
       In Österreich würde das im vergangenen Jahr 13.000 Plagiatoren und weitere
       13.000, die einen Ghostwriter beschäftigten, ergeben. Weber sieht wohl zu
       Recht eines der Probleme darin, dass im Universitätsbetrieb, nicht erst
       seit der europäischen Vereinheitlichung durch den Bologna-Prozess, immer
       mehr Wert auf Quantität statt auf Qualität gelegt werde: „Die Wissenschaft
       hat keine operationalisierbaren qualitativen Kriterien.“
       
       14 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Oesterreichs-Arbeitsministerin-tritt-ab/!5738743
   DIR [2] https://www.falter.at
   DIR [3] /Betrug-in-der-Wissenschaft/!5739687
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Leonhard
       
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