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       # taz.de -- Architektin über Klimakrise und Stadt: „Der Baubranche bleibt keine Zeit“
       
       > Warum ist Nachverdichtung in der Stadt so kompliziert? Wie kann man
       > Ressourcen und Grünräume schonen? Ein Gespräch mit der Architektin Imke
       > Woelk.
       
   IMG Bild: Blick auf „Hypercity“, Verdichtung längs bestehender Infrastruktur
       
       Die Ausstellung „Human Scale Remeasured“ ist ein Projekt der Galerie Aedes.
       Sie zeigt 15 Projekte von Architekt*innen und Planer*innen aus aller
       Welt, die eine Balance aus ökologischer Nachhaltigkeit, sozialer
       Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Machbarkeit im Blick haben. Vorgestellt
       werden bereits gebaute Objekte, aber auch planerische Visionen. Die
       Ausstellung steht bereits, sie sollte am 16. Januar eröffnet werden. Der
       neue Eröffnungstermin ist der 2. Februar. Auf Wunsch kann ein persönlicher
       Besichtigungstermin vereinbart werden. Eines der vorgestellten Projekte ist
       „Hypercity 2130“ vom Berliner Büro IMKEWOELK + Partner. Die taz sprach mit
       der Architektin Imke Woelk. 
       
       taz am wochenende: Frau Woelk, die Ausstellung [1][„Human Scale Remeasured“
       in der Galerie Aedes] hat Großes vor. Im Fokus stehen „Neue Maßstäbe einer
       Architektur des räumlichen, wirtschaftlichen und ökologischen
       Zusammenlebens“. Sie nehmen mit einem eigenen Projekt teil. Welche
       Erwartungen haben Sie an die Ausstellung? 
       
       Imke Woelk: Ausstellungen sind extrem wichtig, weil sie Themen öffnen und
       andere Anteil daran nehmen. Ich verspreche mir einen wichtigen Impuls
       davon, öffentlich nach dem Beitrag der Architektur zum Erhalt unseres
       Ökosystems zu fragen und dies gemeinsam zu diskutieren. Mein Projekt
       spricht dabei eine Einladung an die Besucher aus, sich selbst als Teil der
       Lösung zu begreifen. Leider wird der gebaute Raum, der uns Menschen wie
       eine zweite Haut umgibt, als solcher kaum wahrgenommen.
       
       Woran, denken Sie, liegt das? Ist die Sachlage zu komplex, der Diskurs zu
       fachspezifisch? 
       
       Ich glaube, dass wir an Bodenhaftung verloren haben, weil Architektur zu
       weit von uns Menschen abgerückt ist, zu sehr industrialisiert wurde. Man
       traut sich nicht mehr zu, selbst Hand anzulegen. Und weil alles von außen
       kommt, wird es so hingenommen. Nichts wird thematisiert, schon in der
       Schule nicht. Wir erkennen nicht, dass der uns umgebende Raum Teil eines
       großen Ökosystems ist. Kaum jemand vertraut seiner Sensibilität gegenüber
       der Architektur, kaum jemand hält sie für etwas, das veränderbar ist.
       Deshalb lässt man sich manipulieren durch wirtschaftliche Interessen, durch
       das, was jetzt als chic gilt.
       
       Den Aufruf zu „Human Scale Remeasured“ kann man ja als Versuch einer
       Verbesserung werten. Sie sind mit dem Projekt „Hypercity 2130“ vertreten.
       Einem Vorschlag für eine Bandstadt entlang der Autobahn A24 zwischen Berlin
       und Hamburg. Wie sind Sie darauf gekommen? 
       
       Die Idee entstand über einen Aufruf des BDA, dem Bund deutscher
       Architekten, zum Thema Stadterweiterung in Berlin.
       
       Und Sie sind aufs flache Land am Rande der Autobahn ausgewichen? 
       
       Ja. Unser Büro hat bereits viele Nachverdichtungsstudien gemacht, auch für
       Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften. Wir wissen um die
       Schwierigkeiten und Komplexitäten, so etwas zu realisieren. Berlin
       erscheint auf den ersten Blick nicht sonderlich dicht. Aber wenn man erst
       einmal anfängt, sich damit zu beschäftigen, ist es das doch.
       
       Wie drückt sich das aus? 
       
       Zunächst durch eine Vielzahl von Gesetzen und Abstandsregeln. Notwendige
       Grünräume und Spielplätze werden geschützt. Das sind wertvolle Orte, die
       vieles ermöglichen und die Lebensräume erweitern. [2][Bewohner sind es
       gewohnt, mit diesen Freiräumen zu leben und verteidigen sie zu Recht]. Mein
       Projekt denkt darüber nach, wie unsere Umwelt besser und nachhaltiger zu
       organisieren wäre. Wissenschaftler sprechen seit den 1980er Jahren darüber,
       dass, um unser Ökosystem zu erhalten, 50 Prozent der Weltoberfläche
       natürlich zu belassen ist.
       
       Gebraucht werden Gebiete, die von menschlichen Eingriffen unberührt sind,
       breite Bewegungskorridore und Renaturierungszonen. Wenn wir das wollen,
       also als Menschen überleben möchten, müssen unsere humanen Biotope deutlich
       effizienter werden. Hinter meinem Projekt steht der Gedanke, die
       Infrastruktur von Autobahnen, Zug- und Flugnetzen zu nutzen und zu
       ganzheitlichen Lebensräumen weiterzuentwickeln. Also Versorgungslinien
       (Mobilität), Versorgungsflächen (Landwirtschaft) und Versorgungsräume
       (Gebäude) zu verbinden.
       
       „Hypercity 2130“ sieht die Verlagerung einiger Funktionen unter die Erde
       und auf der Oberfläche eine weitgehende Renaturierung vor. 
       
       Die dringend notwendige [3][Reduzierung des CO2 -Ausstoßes] könnte
       unterstützt werden durch ein Angebot der kurzen Wege. Das spräche für eine
       optimale Verdichtung von Lebensräumen. Die Herstellung und Lagerung von
       Lebensmitteln und Gegenständen des täglichen Gebrauchs, wie auch der Anbau
       von Pflanzen lägen so nahe beieinander. Viele dieser Prozesse benötigen
       kein oder wenig Tageslicht. Diese Maßnahmen reduzierten den horizontalen
       Flächenverbrauch und würden frei für Pflanzen und Tiere.
       
       Als ein mögliches zukünftiges Transportmittel schlagen Sie „Float“ vor. Was
       ist das? 
       
       Die Bewegungen von Menschen und Gütern werden in Zukunft nicht mehr durch
       fossile Brennstoffe unterstützt. Aktuell wird mit Strom-, Wasserstoff- und
       Magnettechnologien experimentiert. Zwei Grundprobleme der Verkehrsnetze
       werden damit verschwinden: die Emissionen und der Lärm. Das öffnet sie
       gegenüber den anliegenden Räumen und macht sie als Lebensraum attraktiv.
       Infrastruktur kann viel breiter gedacht werden.
       
       „Float“ ist die Idee für ein zukünftiges, schnelles Transportmittel. Es
       wurde von Studenten der Londoner Central Saint Martins School entworfen und
       basiert auf der Verwendung der Magnetschwebetechnologie. Entstanden sind
       einzelne Kapseln, die sich miteinander kombinieren lassen. Haben die
       Passagiere das gleiche Ziel, werden die Kabinen miteinander verbunden. Als
       Cluster bieten sie sich Windschatten und verbrauchen weniger Strom.
       Interessant daran ist, dass das bisher individuell genutzte Auto so zu
       einem sozialen Raum wird.
       
       In Ihrem Beitrag sprechen Sie ganz explizit die Ideenarmut in der aktuellen
       Stadtentwicklung an. 
       
       Wenn nichts Neues versucht wird, niemand aus Fehlern lernt, gibt es keine
       Veränderungen. Aufgrund der Klimakrise, die weit mehr ist als das, bleibt
       aber der Baubranche keine Zeit für Unbeweglichkeiten. Aktuell wird, wenn es
       darum geht, neue Räume zu schaffen, zu selten gefragt: Kann man das
       Bestehende weiterentwickeln? Etwas zu erhalten und zu erweitern, kostet
       mehr. Das sollte anders sein. Steuererleichterungen könnten dies
       ermöglichen. Es ist ja nicht so, dass Architekten Scheuklappen haben. Es
       liegt auch an der Politik, einen Rahmen zu schaffen, der wirtschaftlich und
       ökologisch ist.
       
       Das heißt, es gibt keinen Anreiz zur Nachverdichtung? 
       
       Doch, hier gibt es Potential. In der vorhandenen Bausubstanz lagert graue
       Energie, die bereits in die Herstellung und den Transport von Material
       gesteckt wurde. Erhalt und Weiterbau, also die Nachverdichtung von
       bestehenden Lebensräumen, kann einen großen ökologischen Wert besitzen.
       Dennoch ist Vorsicht geboten. Schnell wird mit herkömmlichen Methoden,
       veralteten Typologien weitergebaut, was in einer viel zu hohen
       Flächenversiegelung mündet. Und niemand fragt: Wollt ihr das überhaupt?
       Braucht ihr diese Art von Wohnungen? Wie wäre es, wenn ihr euch Räume teilt
       mit Nachbarn oder Freunden, in Clustern lebt und arbeitet? Wenn so nicht
       breit in den Medien diskutiert wird, ist es kein Wunder, dass immer die
       gleichen Rezepte kommen.
       
       Sie haben neben Architektur auch Kunst studiert und sind als Zeichnerin
       aktiv. Zeichnen Sie eigentlich noch weiter mit der Hand? Wie haben die
       digitalen Tools Ihr Entwerfen verändert? 
       
       Ich zeichne jeden Tag und ich schreibe auch mit der Hand. Das Benutzen der
       Hände, das Anfassen von Papier, das Anspitzen von Bleistiften – all das
       stimuliert das Denken ganz anders als es Software-Tools vermögen. Dennoch
       erweitern digitale Werkzeuge meine technischen Möglichkeiten. Ich kann mir
       nur schwer vorstellen, ohne sie physischen Raum zu schaffen.
       
       24 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.aedes-arc.de/cms/aedes/de/programm?id=19862027
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       ## AUTOREN
       
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