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       # taz.de -- Roman über Transidentität: Verschwisterung der Waisen
       
       > „Im Park der prächtigen Schwestern“ handelt von Scham, Angst und
       > Intoleranz. Es ist das Debüt der argentinischen Schauspielerin Camila
       > Sosa Villada.
       
   IMG Bild: Vielschichtig: der Roman „Im Park der prächtigen Schwestern“ – erschienen bei suhrkamp nova
       
       „Weißt du, wo wir dich eines Tages finden werden?“, lautet die pietätlose
       Prophezeiung von Camila Sosa Villadas Vater, als seine Tochter aufhört,
       sich als Sohn zu verkleiden, Christian hinter sich lässt, Camilla wird. „In
       einem Straßengraben werden wir dich finden.“ Er trägt wie viele andere ohne
       sein Wissen zu der Frau bei, die Jahre später eine gefeierte Schauspielerin
       und eines der bekanntesten Gesichter der [1][trans Gemeinde] in
       Lateinamerika wird.
       
       Schreiben, sagt Camila Sosa Villada, sei der Auftakt ihres Transvestismus
       gewesen: Ihr erster Roman, „Las Malas“, nun in brillanter Übersetzung von
       Svenja Becker unter dem Titel „Im Park der prächtigen Schwestern“ bei
       suhrkamp nova erschienen, ist vielschichtig wie das Vermögen der
       Verwandlung: Autobiografie, Gesellschafts- und Initiationsroman, ferner
       finster-modernes Märchen.
       
       Gnadenlos zeichnet der Roman den Lebensweg seiner Autorin nach: von dem
       Jungen, der im argentinischen Kaff Mina Clavero in ärmlichen Verhältnissen
       aufwuchs und schon früh die Frau in sich entdeckte, die nach Leben gierte,
       über erste Momente der Travestie bis zum Aufbruch nach Córdoba, wo mit
       achtzehn Jahren Camilas Doppelleben beginnt.
       
       Tagsüber studiert sie an der Universität, nachts arbeitet sie im
       Sarmiento-Park, „dem queeren Sündenpfuhl“ der Stadt: „Jede von uns hat bei
       der Verteilung der Gaben die Fähigkeit zur Transparenz und die Kunst zur
       Blendung erhalten.“
       
       ## Von „Hexen, Hübschen und Lesben“
       
       Im Park, bevorzugtem Treffpunkt von „Hexen, Hübschen und Lesben“, sucht und
       findet Camila eine kleine Gemeinschaft von Schicksalsschwestern, die sie
       auf- und unter ihre Fittiche nimmt. Inmitten jener neu gewonnen
       Wahlfamilie, „eine um ihre Einsamkeit herum errichteten Welt in
       schwesterlichem Rosa“, beginnt Camilas Suche nach ihrem Platz in dieser
       Welt.
       
       Die verlorenen Töchter verteidigen sich gegenseitig gegen An- und
       Übergriffe von außen, feiern, weinen und wohnen zusammen, teilen
       Biografien, Sorgen und Ängste genauso selbstverständlich wie Kunden, Klares
       und Kokain. Ihre Tugenden geboren aus vermeintlichen Unzulänglichkeiten,
       sie selbst verschlungen von dem Schicksal, das die Welt für sie auserkoren,
       von der Entscheidung, „die alle und jeder Einzelne getroffen hat: dass wir
       Prostituierte sein sollen“.
       
       Wie ihre Schwestern verkauft Camila ihren Körper, um als Frau leben zu
       können. Die Sprache, die Camila Sosa Villada für ihre Geschichte findet,
       hypnotisiert: präzise und nüchtern, dann wieder irisierend voller Farben
       und Hoffnung: „Wer uns heute auf der Wiese liegen sieht, in der Sonne Mate
       trinkend, mit Coca-Cola eingerieben und gefärbt wie flüssiges Karamell, der
       wird träumen von unseren Körpern und unserem Lachen, unerträglich wird
       unser Anblick sein.“
       
       ## Gegen die Beschädigung transfemininer Körper
       
       Der Roman ist auch eine Abrechnung mit der [2][Hypokrisie eines Landes],
       das Körper wie ihren verachtet am Tage, begehrt in der Nacht: „Auch das
       sind wir als Land“, schreibt die Autorin, „die pausenlose Beschädigung
       transfemininer Körper“. Meisterhaft kleidet sie Scham, Angst, Intoleranz
       und Verachtung in hohe Prosa.
       
       Schonungslos offenbart Camila Sosa Villada ihren Leser*innen beide
       Seiten der trans Medaille: die Wut, den Hass, den Mangel an Liebe, aber
       auch den Karneval, die Transidentität als Fest: „als wäre Glück eine
       Möglichkeit, als könnten die Worte des Herrn im nächsten Moment wahr werden
       und die Letzten einmal die Ersten sein.“
       
       „Im Park der prächtigen Schwestern“ ist ein zärtliches Zeugnis jener
       konkreten Poesie, die sich am Rande unserer rechtschaffenen Welt mit ihrem
       Korsett voller Regeln abspielt: im Abgelehnten, im Verlassenen, im
       Verleugneten, im Marginalisierten.
       
       1 Feb 2021
       
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