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       # taz.de -- Linke bei den US-Demokraten: Wer mit Biden tanzt
       
       > Die Linke übt bei den US-Demokraten den Schulterschluss mit dem
       > Parteiestablishment. Ein riskantes Spiel um die eigene Glaubwürdigkeit.
       
   IMG Bild: Linke Hoffnungsträgerin und Biden-Unterstützerin: Alexandra Ocasio-Cortez aus New York
       
       Die Hauptfiguren der amerikanischen Linken bringen ihr wachsendes Gewicht
       voll in die Biden-Regierung ein. [1][Bernie Sanders, Alexandria
       Ocasio-Cortez und der Mitbegründer der Justice Democrats, Saikat
       Chakrabarti], fördern das Gelingen des Biden-Programms auf breiter Front.
       
       So ist es, seit Barack Obama im Frühjahr des vergangenen Jahres Bernie
       Sanders überzeugte, aus dem Rennen um die demokratische Nominierung als
       Präsidentschaftskandidat auszusteigen. [2][Eine zweite Amtsperiode von
       Donald Trump galt es zu verhindern]; ein heißer Wahlkampf gegen Joe Biden
       hätte Biden als Frontrunner beschädigt. Damals geisterte der Vorwurf aus
       dem letzten Wahlkampf im Jahr 2016 durch die Diskussionen, dass Bernie
       Sanders die Kandidatur Hillary Clintons durch sein starkes Abschneiden
       ernsthaft beschädigt und damit die Präsidentschaft von Donald Trump erst
       ermöglicht habe.
       
       Offenbar haben [3][die maßgeblichen Links-Politiker jetzt entschieden], den
       Konsenskurs fortzusetzen. Gerade nach dem Sturm auf das Kapitol wirken die
       Biden-Unterstützer des Landes vereint, und die Linken wollen an vorderster
       Front betont loyal mitspielen. Lange ist es her, dass 150 Klimaaktivisten
       der Sunrise-Bewegung, von Alexandria Ocasio-Cortez angefeuert, im Jahr 2018
       das Büro von Nancy Pelosi, Mehrheitsführerin des Repräsentantenhauses,
       belagert haben. Das neue Wohlwollen setzt jetzt durchaus auf eine gewisse
       Gegenseitigkeit.
       
       Wenn Saikat Chakrabarti sein „No Excuses Political Action Committee“
       einsetzt, um konservative Demokraten wie Senator Joe Manchin in West
       Virginia unter Druck zu setzen, wird er nicht mehr wie in den Obama-Jahren
       vom Weißen Haus zurückgepfiffen. Schließlich setzt Chakrabarti den Senator
       Manchin unter Druck, nicht länger gegen Bidens liberalere Linie beim
       Hifspaket der Regierung in der Coronakrise zu opponieren. Die neuen
       Aussenseiter sind nicht die Linken, sondern rechtslastige Figuren in der
       Partei wie Manchin oder Kyrsten Sinema aus Arizona. Bernie Sanders wurde
       als Vorsitzender des Ausschusses für das Budget im Senat eingesetzt, der
       Progressive Senator aus Ohio, Sherrod Brown, als Vorsitzender des
       Ausschusses für Bankenwesen.
       
       ## Streit ums Personal
       
       Doch auch die Risiken dieser Strategie sind bereits zu erkennen. Die
       ernsthafteste Auseinandersetzung über Personalien in der Biden-Regierung
       hat sich entfacht, als durchgesickert war, dass Biden kurz vor der
       Ernennung des Juristen Michael Barr als Chef des Office of the Comptroller
       of the Currency (OCC) stehe. Die linken Demokraten favorisieren stark die
       Professorin Mehrsa Baradaran aus Kalifornien, Expertin für ethnische
       Ungerechtigkeiten in der Praxis der amerikanischen Bankenindustrie. Michael
       Barr war, wie so viele in der Biden-Regierung, bereits in der
       Obama-Regierung tätig und wurde schon damals von den Progressiven
       kritisiert für seine auffallend schwache Unterstützung der Hausbesitzer,
       die im Zuge der Finanzkrise in Gefahr waren, ihre Wohnhäuser zu verlieren.
       Obama wurde auch aufgrund seiner Versprechen an diese Hausbesitzer gewählt:
       Im Jahr 2009 versprach er als Präsident, vier Millionen dieser Hausbesitzer
       zu helfen, in ihren Häusern zu bleiben.
       
       Doch Barr im Ministerium von Tim Geithner war maßgeblich verantwortlich
       dafür, den Großbanken viel Spielraum zu lassen. Bis 2013 hat die
       Obama-Regierung lediglich 1,4 Millionen Haushalten tatsächlich Hilfe
       geleistet. Jetzt wird Michael Barr zusätzlich kritisiert für seine engen
       Beziehungen zur Cryptowährungsindustrie und der sogenannten
       Fintech-Branche. Als OCC-Chef säße er an den Hebeln, um das Gedeihen dieser
       Branche zu fördern.
       
       All das ist ironisch, wenn man bedenkt, wie wichtig die armen
       Wähler:innen der Innenstädte in Bundesstaaten wie Michigan, Arizona und
       vor allem Georgia für Bidens Sieg waren. Dieser Sieg war das Verdienst der
       afro-amerikanischen Politikerin Stacey Abrams. Schwarze Wähler:innen
       haben hier eine immense Leistung für die Demokratische Partei erbracht.
       Doch bereits die Professoren Martin Gilens und Benjamin Page von der
       Princeton-Universität zeigten in einer Studie der Jahre 1981 bis 2002, dass
       normale Wähler:innen so gut wie nie ihre Wünsche durchsetzen können,
       wenn die Eliten diese Wünsche nicht auch teilen. Die Frage ist jetzt: Was
       wird aus dem Sieg der einfachen Wähler:innen, nach dem Sieg von Joe Biden?
       
       Die Frage ist auch, was für die Linke gewonnen wäre, wenn sie jetzt im
       engen Schulterschluss mit der konservativeren Spitze arbeitet. [4][Schon
       jetzt müssen die Aktivisten in Georgia, die Bidens Senatsmehrheit gesichert
       haben], erklären, wieso Biden lediglich 1.500 Dollar Hilfszahlungen statt
       wie im Wahlkampf versprochen 2.000 Dollar durch den Kongress bringen will.
       
       ## Green New Deal
       
       Chakrabarti will, dass Biden seine Präsidentschaft nutzt, um das
       amerikanische Sozialsystem auf Jahrzehnte hinaus abzusichern. Dazu will
       Chakrabarti noch einen „Green New Deal“, allesamt lohnende Ziele.
       
       Aber was ist, wenn Biden scheitert oder wie Obama das Ziel verfehlt? Dann
       hat die Linke womöglich die eigene Glaubwürdigkeit auf Jahrzehnte hinaus
       beschädigt. Es ist ganz klar, die Linke will, wie Trump bei den
       Republikanern, den Laden von innen kapern. Aber wenn sie es nicht schafft,
       wenn sie die Beharrungskräfte des Mainstreams in der Partei unterschätzt
       hat, wird sie in vier Jahren vielleicht auch auf ähnliche Weise wie Trump
       in Bedrängnis geraten. Der Bruch zwischen den Fraktionen, der dann
       entsteht, könnte bleibend sein. Wenn die Einheitsfront scheitert, wird das
       Ende bitter. Die Kompromisse, die man auf dem Weg gemacht hat, würde man
       dann lange bereuen. Noch sind die Linken wie Alexandria Ocasio-Cortez und
       Chakrabarti jung und idealistisch, doch nach vier Jahren mit Biden wird es
       sehr schwer werden, ein eigenes Profil zu erkämpfen. Der Erfolg der Linken
       liegt jetzt in den Händen von Joe Biden.
       
       31 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Anjana Shrivastava
       
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