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       # taz.de -- Nachruf auf Hisbollahkritiker: Eine schulterzuckende Institution
       
       > Der libanesische Filmemacher Lokman Slim wurde erschossen in seinem Auto
       > gefunden. Vor offener Kritik an der Hisbollah schreckte er nie zurück.
       
   IMG Bild: Vermutet die Hisbollah hinter der Tat: Demonstrant am Donnerstag in Beirut
       
       Berlin taz | „Mach damit, was du willst“, sagte Lokman Slim, bevor er
       aufstand, um sich einen „kleinen Whisky“ zu holen. Sollte doch alles, was
       er gesagt hatte, veröffentlicht werden: seine Kritik am Assad-Regime wie
       auch seine Sicht auf die Schiitenmiliz Hisbollah, die der Libanese so gut
       kannte. Statt kritische Worte zurückzuziehen, gesellte sich bei Slim ein
       Schulterzucken dazu. Sodass man nie wusste, ob es Resignation oder eine
       ungeheure Lässigkeit war, mit der sich der Endfünfziger durch die Abgründe
       der nahöstlichen Politik bewegte.
       
       Wobei es kaum Resignation gewesen sein kann. Mit seiner Frau Monika
       Borgmann hatte der Verleger, Aktivist und Dokumentarfilmer eine regelrechte
       Oase aufgebaut. Inmitten eines der berüchtigsten Viertel im Süden Beiruts,
       wo die [1][Hisbollah den Ton angibt], steht ihr „Hangar“. So nannten Slim
       und Borgmann ihre Allzweckhalle, weil sie, bevor die beiden sie für
       Debatten, Seminare und Ausstellungen umfunktionierten, als Werkshalle für
       den Flughafen diente. In einer Villa auf demselben Grundstück fügen sich
       Zeitungen, Zeitschriften und Bücher zu einem einzigartigen
       zeitgeschichtlichen Archiv zusammen.
       
       Egal, was Slim anfasste: Im Libanon, dessen gewaltreiche jüngere Geschichte
       bis heute kaum aufgearbeitet worden ist, war seine Arbeit zutiefst
       politisch. Der Film „Massaker“, auf der Berlinale 2005 erstmals
       ausgestrahlt, näherte sich einer christlichen Miliz, die 1982 drei Tage
       lang Zivilisten niedermetzelte. Im kaum erträglichen [2][Theaterstück „Der
       deutsche Stuhl“] spielten syrische und libanesische Ex-Gefangene ihren
       Alltag im Folterknast des Assad-Regimes nach. Neben Film und Theater
       kommentierte Slim die libanesische Politik; als offener Hisbollahkritiker
       war er ein gern gesehener Studiogast.
       
       1962 geboren, stammte Slim aus einer schiitischen Familie. In den
       Achtzigern studierte er in Paris. Nach seiner Rückkehr gründete er einen
       Verlag, schrieb für Zeitungen und Magazine. In den 2000ern folgte das
       Umam-Dokumentationszentrum mitsamt dem „Hangar“, um endlich eine
       Aufarbeitung von Libanons bewegter Geschichte anzustoßen.
       
       Sein Dokumentationszentrum war ein Phänomen 
       
       Dass man Slim in Beiruts Hisbollahgebiet gewähren ließ, war immer ein
       kleines Wunder. Das Zentrum in seiner Privatvilla, von Mauern umringt und
       doch für alle offen, war ebenso Institution wie Phänomen. Wer das
       Grundstück betrat, wurde Zeuge der Herzlichkeit, mit der das Paar auch die
       Teilnehmenden der [3][taz-Reisen in die Zivilgesellschaft] empfing.
       
       In der Nacht auf Donnerstag meldete Slims Schwester: „Mein Bruder hat sich
       vor sechs Stunden zurück auf den Weg nach Beirut gemacht. Er ist noch nicht
       zurückgekehrt.“ Slims Freund Makram Rabah sagte dem Sender al-Arabiya:
       „Lokman ist eine unverblümte Stimme gegen die Hisbollah und seine Spur hat
       sich tief in dem von ihr kontrollierten Gebiet verloren. Das ist eine
       Technik, die sie zuvor angewendet haben.“
       
       Am Donnerstagmorgen wurde er tot in seinem Auto im Südlibanon gefunden.
       Slim seien vier Kugeln aus kurzer Distanz in Brust, Kopf und Hals
       geschossen worden und er sei sofort tot gewesen, teilte die Gerichtsmedizin
       später am Tag mit.
       
       4 Feb 2021
       
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