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       # taz.de -- Actionfilm und die US-Realität: Gegen die Zukunft
       
       > Der Action-Verwirrfilm „Tenet“ von Christopher Nolan sollte vergangenes
       > Jahr das Kino retten. Jetzt lehrt einen die DVD-Version das Fürchten.
       
   IMG Bild: Der Protagonist (John David Washington) weiß nicht unbedingt, was auf ihn zukommt
       
       Der Regisseur Christopher Nolan ist bekannt für ungewöhnliche
       Zeitkonstruktionen. Sein Film „Memento“ aus dem Jahr 2000 etwa folgt einer
       Chronologie, in der die Geschichte, im Wechsel von Szene zu Szene vorwärts
       wie rückwärts erzählt wird. In der Mitte des Films treffen sich kurz beide
       Richtungen. In „Tenet“, seinem jüngsten Streich, hat sich die
       Zeitebenenverquickung noch einmal kräftig verdichtet. Hier läuft die Zeit
       in den meisten Szenen simultan vorwärts und rückwärts.
       
       Mit überraschenden Konsequenzen wie Gefahren aus der Zukunft. Von denen
       erfährt der von [1][John David Washington] verkörperte Protagonist, der
       lediglich „Der Protagonist“ heißt, während seines CIA-Einsatzes, der wie
       der Filmtitel nach dem Palindrom „Tenet“ benannt ist. Welcher Lehrsatz,
       welches Axiom sich genau hinter dem Ausdruck verbirgt, ist nicht unbedingt
       entscheidend.
       
       Was der Protagonist in dieser Geschichte aber lernt, ist, der Zeit als
       etwas Gegebenem zu misstrauen. Oder vielmehr der sich stur in eine Richtung
       abspulenden Zeit, wie die landläufige Vorstellung des Chronologischen geht.
       
       ## Verstörende Wirkung
       
       Denn die Gefahren lauern nicht einfach in der Zukunft, wie zum Beispiel die
       Klimakatastrophe oder das langfristig absehbare Ende des Lebens auf der
       Erde, sondern kollidieren durchaus schon mal mit der Gegenwart. Kugeln
       fliegen aus Einschusslöchern in Pistolen, von Bomben hervorgerufene
       Detonationslöcher in Gebäuden schließen sich wieder und dergleichen mehr.
       
       Was wie das Gedankenspiel eines Physikers mit Vorliebe für Action-Krawumm
       wirkt, hat bei aller spinnerten Anmutung eine heftig verstörende Wirkung.
       Die Zeit ist ziemlich kräftig aus den Fugen geraten, dieser Eindruck
       entsteht auch ohne die Kenntnis dessen, ob der in „Tenet“ präsentierte
       Zeitmatsch einer strengen gedanklichen Prüfung standhält.
       
       Was die Verstörung des Films, der inzwischen auf DVD erschienen ist, gerade
       in diesen Tagen womöglich größer ausfallen lässt als zum Kinostart im
       vergangenen Sommer, sind die [2][Ereignisse von vor zwei Wochen am
       Washingtoner Kapitol], die trotz eines allgemeinen Unbehagens beim
       Gedanken, wie das Ende der Amtszeit Donald Trumps verlaufen würde, allemal
       unerwartet waren und jenseits der Grenzen der eigenen Vorstellung lagen.
       
       Im Unterschied zum Protagonisten in „Tenet“ und seinem CIA-Kollegen Neil,
       gespielt von [3][Robert Pattinson], steht weder den Demokraten noch sonst
       jemandem der Weg der Zeitumkehrung zwecks Krisenintervention offen. Bis auf
       Weiteres bleiben allein die rechtlichen Mittel der parlamentarischen
       Demokratie, gegen die der Sturm auf das Kapitol sich richtete.
       
       Was allerdings ernsthaft Angst macht, ist die Ähnlichkeit des Schurken
       Sator (Kenneth Branagh) aus „Tenet“ mit Trump in einem Punkt. Beide
       scheinen der keineswegs neuen Fantasie anzuhängen, alle anderen mit in den
       Untergang reißen zu müssen. Für die Amtseinführung Joe Bidens hilft da nur
       Vertrauen in die Festigkeit des Gewebes der US-Verfassung.
       
       19 Jan 2021
       
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