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       # taz.de -- Mit Maske zum Strand: Fluchtpunkt La Gomera
       
       > Die vielen deutschen Touristen im Valle Gran Rey entkommen nicht nur dem
       > Winter, sondern auch dem strengen Lockdown.
       
   IMG Bild: Sonnenuntergang am Strand in la Gomera
       
       Wenn abends gegen 18 Uhr die Sonne zwischen El Hierro und La Palma
       versinkt, dann sitzen Dutzende Menschen auf der Mole, um den Blick zu
       genießen – und die Klänge der Trommeln. In besseren Jahren saßen da bis zu
       vierzig Trommler. Doch die Guardia civil patrouilliert regelmäßig an der
       Strandpromenade, sie hat ihre Anweisungen aus Madrid, und da gibt es keine
       Extrawurst – auch wenn La Gomera seit Jahresbeginn coronafrei ist. Mancher
       Besucher im Valle Gran Rey hält sich strikt an die Vorschrift, sogar
       Radfahrer tragen Maske, aus Angst vor den empfindlichen Strafen.
       
       Das kulturelle Zentrum des Valle ist auf der östlichen Seite die Bar
       Cacatua, am westlichen Ende die Lounge. Jeden Abend gibt es da Livemusik,
       und die Gäste genießen die Erinnerung an den Normalzustand des geselligen
       Lebens. Auch Musiker wie der Elektrogeiger Chris Drave aus Hamburg, der
       sonst nur den Januar auf La Gomera verbringt, hat dieses Mal „open end“
       gebucht. „Hier ist es doch perfekt, hier kann man überwintern“, schwärmt
       er.
       
       Engagements in Hamburg gibt es derzeit sowieso nicht, er verdient sein Geld
       vor allem auf Hochzeiten, während seine künstlerischen Ambitionen in der
       Verbindung von Violine und Elektronik liegen – „String ’n’ Base“ ist seine
       Marke. Im Valle tritt er an der Mole auf – „Musik zu machen mit dem
       Rauschen des Meeres im Hintergrund hat einen besonderen Reiz“. Oder eben in
       der „Lounge“. Seine Geigenschüler zu Hause unterrichtet er per Skype.
       
       Chef der „Lounge“ ist el fotografo Thomas Müller aus Hamburg. „Diese
       Event-Location ist die einzige in ganz Europa, die jeden Abend Livemusik
       spielt“, und zwar legal. Er hat eine besondere Genehmigung und beachtet
       strikt die Corona-Auflagen. „Musik ist Leben, Musik macht uns lebendig“,
       erklärt er den Gästen. Bis zu 60 Personen dürfen in die Bar, wenn die
       Gästeliste voll ist, werden weitere abgewiesen.
       
       Und da singt dann, zum Beispiel, Agnès la Minotte ihre französischen
       Chansons – „immerhin dürfen wie hier spielen“, sagt sie. Marek aus Kroatien
       begleitet sie an der Gitarre, und dann springt Erno Reiner auf die Bühne,
       das Multitalent aus Bregenz, mit Akkordeon und Mundharmonika und einem
       tiefen Bass, und wenn es passt, setzt er sich an den Flügel. Der gehört zu
       der Bar wie der „Hauspianist“ Ignacio Fauri, der manchmal hinter dem Tresen
       vorkommt und seine Finger über die Tasten rasen lässt. Eine Gage bekommen
       sie alle hier nicht, sie spielen „auf Hut“. Aber die Gäste sind sehr, sehr
       dankbar. Das Publikum ist begeistert, wann konnte man so was in den letzten
       Monaten schon mal erleben?
       
       ## Flaute in der Hochsaison
       
       Erno sagt: „Wir machen hier Musik mit den Menschen, die da sind. Viele
       kennen sich aus früheren Jahren.“ Manche lernen sich auf der kleinen Bühne
       gerade kennen. „Zu Hause“ macht Erno die Band „Bauernfänger“, derzeit ist
       es da coronastill.
       
       Einige Plakate im Valle weisen auf „Timah“ hin – unter dem Namen bietet der
       Tiroler Josef Knoflach Wanderungen an. Auf Deutsch – die Wanderlustigen
       hier sind fast alle Deutsche. Aber Mitte Januar hat Josef den Laden
       geschlossen – zu wenige Gäste. Viele sind doch durch die Coronabestimmungen
       abgeschreckt. Wanderführer Carlos, geboren in Sizilien, in Schwaben – wie
       man gut hört – aufgewachsen, ist, wie schon 2020, im ersten Pandemiejahr,
       monatelang arbeitslos.
       
       Auf La Gomera ist eigentlich im Januar Hochsaison, dieses Jahr sind nur 10
       oder 15 Prozent der Appartements und Hotelzimmer belegt. Christoph Schmitt,
       Meeresbiologe aus Bremen, bietet normalerweise im Valle seine Bootstouren
       an – „Sanfte Walbeobachtung, Schnorcheln, Unterwasserfotografie“, aber auch
       er hat geschlossen, zu wenig zahlende Interessenten.
       
       ## Unattraktiv für Pauschaltouristen, Paradies für Aussteiger
       
       Natürlich besteht La Gomera nicht nur aus dem Streifen Strand im Valle Gran
       Rey, sondern auch aus den wunderbar zerklüfteten Vulkanbergen, an denen die
       Passatwinde aufgehalten werden. Zwischen den langen Felsenküsten gibt es
       nur wenige und zudem felsige schwarze Sandstrände, das macht die Insel für
       Pauschaltouristen unattraktiv. Vor allem Aussteiger und Wanderer lieben
       das.
       
       Eine Bucht neben dem Valle liegt die die Finca Argayall, ein spirituelles
       Zentrum, das sich normalerweise über Seminare und Feriengäste finanziert.
       Wenige Hundert Meter weiter ist ein tropischer Fruchtgarten in dieser
       Argaga-Schlucht – direkt dahinter erheben sich die Felswände, über den
       Landweg ist die Finca am Meer nur für geübte Kletterer erreichbar.
       
       Auch in der Argaga-Bucht herrscht derzeit Krise – nicht nur wegen der
       Reisebeschränkungen, sondern auch weil ein Bergabbruch Mitte November 2020
       den einzigen Zuweg verschüttet hat. So kommt man derzeit nur per Boot in
       diese Aussteigerkommune. Den Großteil ihrer Lebensmittel bauen die rund 20
       Bewohner der Finca in einem paradiesischen Permakulturgemüsegarten selbst
       an.
       
       Die vier Camperwagen, die am Tag des Bergrutschs bei der Finca standen,
       werden wohl nie wieder wegkommen – die spanischen Behörden wollen den Weg
       nicht wieder frei baggern, weil die Gefahr weiterer Felsabbrüche besteht.
       Aber diese Camper wollten, so wie die Bewohner der esoterischen
       Gemeinschaft Argayall, den ewigen Frühling von La Gomera sowieso dauerhaft
       genießen.
       
       12 Feb 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus Wolschner
       
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