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       # taz.de -- Coronamaßnahmen und Demokratie: Landtage wollen mitentscheiden
       
       > Die Coronamaßnahmen sollen mehr demokratische Legitimation bekommen. Die
       > Landesparlamente fordern deshalb mehr Beteiligung.
       
   IMG Bild: Merkel und Söder bei der Pressekonferenz zu den Bund-Länder-Beratungen
       
       Freiburg taz | Die demokratische Grundlage der Shutdown-Entscheidung ist
       heikel. Schwere Grundrechtseinschränkungen für BürgerInnen und Unternehmen
       werden von den Landesregierungen stets per Verordnung beschlossen. Doch
       zunehmend schalten sich auch die Parlamente der 16 Bundesländer ein.
       
       An diesem Dienstag tagte Kanzlerin Angela Merkel wieder mit der üblichen
       Runde aus 13 MinisterpräsidentInnen der Flächenländer und den drei
       regierenden Bürgermeistern der Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen.
       [1][Sie haben einen zehnseitigen Beschluss gefasst], wonach der massive
       Shutdown bis zum 14. Februar verlängert wird. Im Nahverkehr und im
       Einzelhandel sollen [2][medizinische Masken] Pflicht werden.
       
       Der Beschluss ist aber nicht mehr als eine politische Empfehlung. Die
       Länder versuchen sich – unter Moderation der Kanzlerin – möglichst gut zu
       koordinieren, weil zu große regionale Unterschiede die Akzeptanz der
       Maßnahmen gefährden würden. Rechtlich verbindlich sind erst die
       Rechtsverordnungen der Länder, die die Landesregierungen in den kommenden
       Tagen beschließen werden.
       
       So ist es im [3][Infektionsschutzgesetz des Bundes] geregelt. Und die
       Länder haben bisher alle Versuche des Bundes abgewehrt, die Entscheidungen
       über die Coronabeschränkungen zu zentralisieren.
       
       ## Der Bund empfiehlt, das Land setzt um
       
       Immer wieder wird nun kritisiert, wie wenig der Bundestag in dieses
       Verfahren eingebunden ist, obwohl es doch um massive Grundrechtseingriffe
       geht. Doch wenn die Entscheidungen auf Landesebene fallen, hat der
       Bundestag nun mal keinen Zugriff. Für demokratische Kontrolle und
       Legitimation sind vielmehr die 16 Landesparlamente zuständig.
       
       Allerdings waren die zu Beginn der Pandemie völlig überfordert und ließen
       die jeweiligen Landesregierungen einfach gewähren. Dass nun ständig auf
       Landesebene zentrale politische Entscheidungen fallen, waren die
       Abgeordneten nicht gewöhnt und sie hatten auch keine passenden Instrumente
       hierfür.
       
       Nach fast einem Jahr [4][hat sich allerdings einiges getan]. Der Landtag im
       grün-schwarz-regierten Baden-Württemberg war mit seinem Beteiligungsgesetz
       im Juli 2020 der Vorreiter. In der zweiten Coronawelle folgten ab Dezember
       2020 Hessen, Brandenburg, Bremen, Hamburg und Berlin mit eigenen Gesetzen.
       Das Saarland will bald nachziehen. Sachsen und Thüringen haben neue Regeln
       zur Parlamentsbeteiligung als Landtagsbeschlüsse gefasst. In
       Rheinland-Pfalz gibt es eine Vereinbarung zwischen Landtag und
       Landesregierung.
       
       Am weitestgehenden ist die Regelung, die das Berliner Abgeordnetenhaus
       vorige Woche beschlossen hat. Das Covid-19-Parlamentsbeteiligungsgesetz
       sieht vor, dass Coronaverordnungen des Berliner Senats, die die Grundrechte
       einschränken, erst nach einem „zustimmenden Beschluss des
       Abgeordnetenhauses“ in Kraft treten können. Zudem gelten die Berliner
       Coronaverordnungen nur noch vier Wochen lang und müssen dann per neuer
       Verordnung verlängert werden – wobei wieder ein zustimmender Beschluss des
       Abgeordnetenhauses erforderlich ist.
       
       ## Berlin: Keine Grundrechtseinschränkungen ohne Parlament
       
       In Baden-Württemberg ist zwar nicht sofort die Zustimmung des Landtags
       nötig, aber immer wenn eine Coronaverordnung länger als vier Wochen in
       Kraft bleiben soll, muss die Volksvertretung Mitverantwortung übernehmen.
       Ursprünglich waren „zwei Monate“ als Schwelle für einen Parlamentsbeschluss
       vorgeschrieben. Im Dezember wurde die Schwelle auf vier Wochen abgesenkt.
       
       In Thüringen, wo Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) mit einer
       rot-rot-grünen Minderheit regiert und sich auf einen Stabilitätspakt mit
       der CDU stützt, hat der Landtag auch besondere Verfahrensrechte. Eine
       Coronaverordnung tritt erst dann in Kraft, wenn der Landtag Gelegenheit zur
       Stellungnahme hatte. Jede Fraktion kann eine Landtagsdebatte verlangen. So
       findet an diesem Mittwoch in Thüringen auch eine Sondersitzung des Landtags
       zu den jüngsten Bund-Länder-Absprachen statt.
       
       In den übrigen Bundesländern wird vor allem sichergestellt, dass die
       Landtage über die geplante Verordnung rechtzeitig informiert werden, sodass
       sie rechtzeitig intervenieren könnten. In neun Bundesländern findet die
       Information vor der Beschlussfassung der Landesregierung statt, in zehn
       Ländern (auch) danach.
       
       In vier Ländern (Ba-Wü, Hamburg, Hessen, Rheinland-Pfalz) muss der Landtag
       sogar binnen 24 Stunden informiert werden. Nur in Sachsen-Anhalt findet
       weder vor noch nach dem Beschluss der Landesregierung eine obligatorische
       Einbindung des Landtags statt. Dort scheint sich seit Beginn der Pandemie
       parlamentarisch wenig geändert zu haben. Man wartet auf eine Kommission zur
       Parlamentsreform.
       
       ## In Thüringen muss der Landtag Stellung beziehen können
       
       Die mehr oder weniger starke Beteiligung der Landtage hat allerdings in
       keinem Bundesland dazu geführt, dass eine Coronaverordnung der jeweiligen
       Landesregierung gestoppt wurde. Das ist allerdings nicht überraschend,
       sondern entspricht dem parlamentarischen Regierungssystem, bei dem die
       Regierung von der Mehrheit im Parlament getragen wird.
       
       Es geht bei der Parlamentsbeteiligung also vor allem um Transparenz,
       Debatte und Legitimation. Dabei beteiligen sich die Landtage nicht nur am
       Beschluss neuer Coronaverordnungen. Zahlen aus Nordrhein-Westfalen belegen,
       welch dominierendes Thema Corona im Jahr 2020 auch sonst für den Landtag
       war. Es gab 280 kleine Anfragen sowie 18 Fraktionsanträge zu diesem Thema –
       und sogar fünf Sondersitzungen des Landtags, so viele wie noch nie.
       
       Für die Kontrolle der Coronaverordnungen sind zudem auch die
       Verwaltungsgerichte zuständig, die insbesondere die Verhältnismäßigkeit der
       Maßnahmen prüfen. Verwaltungsgerichte können von allen betroffenen
       BürgerInnen und Unternehmen angerufen werden. Als die Infektionsraten noch
       relativ niedrig waren, haben sie einige Verordnungen beanstandet, [5][etwa
       zu Beherbergungsverboten].
       
       Der politische Pluralismus findet auf Bundesebene vor allem im Umfeld der
       Bund-Länder-Konferenzen seinen Ausdruck. Weil es inzwischen Regierungschefs
       aus fünf Parteien gibt (SPD, CDU, CSU, Grüne und Linke) sind die Debatten
       im Vorfeld der Coronagipfel nicht nur föderal, sondern auch politisch
       relevant.
       
       Was am Ende beschlossen wird, ist deutlich unberechenbarer als jede
       Landtags- oder Bundestagssitzung. Und eine gewisse Unberechenbarkeit war
       schon immer gut für öffentliche Aufmerksamkeit und politische Legitimation.
       
       20 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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