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       # taz.de -- Ausstellung im Kunst Haus Wien: Ohne aufgeregten Enthüllungsgestus
       
       > „Nach uns die Sintflut“ versammelt Einblicke in die Verhandlung der
       > Klimakrise aus künstlerischer Sicht. Aktuell ist sie per Video besuchbar.
       
   IMG Bild: Benedikt Partenheimer, „Methane experiment“, Alaska 2017. Aus der Serie „Memories of the Future“
       
       Wie in einer Szene [1][aus Fellinis] Film „E la nave va“ liegt das Schiff
       auf der wellig-grauen Wasseroberfläche. Die Rostflecken der Außenwand
       spiegeln sich im See, und zwei Fingerbreit davor schwebt die Silhouette
       einer Frau im schwarzen Mantel und Strohhut. Schreitet sie über das Wasser?
       
       Die einladende Leichtigkeit, mit der Solmaz Daryanis Fotoarbeit die Grenze
       zwischen Wirklichkeit und spekulativer Welt verwischt, ist wohltuend im
       derzeitigen Kunstbetrieb, der wichtige Faktenlagen häufig rechthaberisch
       doppelt, statt sie zu durchdringen. Eine Praxis, die
       Channel-4-Nachrichtenchefin Dorothy Byrne als „agenda sharing“ bezeichnet
       und die eher ermüdend als aufrüttelnd wirke.
       
       Auch eine Fotoarbeit von Benedikt Partenheimer lässt mich erst ein mal
       staunen. Sie hält den knisternden Augenblick fest, in dem eine Flamme über
       einer Eisfläche in den tiefblauen Abendhimmel tanzt. „Memories of the
       Future“ heißt diese Serie, und der Titel ist so offen und anspielungsreich
       wie alle der durchweg schönen und sehr gründlich recherchierten Foto- und
       Videoarbeiten, die das Kunst Haus Wien hier zusammenbringt.
       
       Als ich das angenehme Zusammenspiel von Rosa und Türkis in Anastasia
       Samoylovas ruhigem Tableau bewundere, werde ich, näher tretend, verblüfft:
       Tatsächlich ist das unter Wasser stehende Gebäude mit den
       schwimmbadfarbenen Wänden kein Pool, sondern eine normale Häuserfront. Der
       Titel lautet: „FloodZone“ und verweist nüchtern darauf, dass die Künstlerin
       seit Jahren in Miami noch die kleinsten Anzeichen des [2][steigenden
       Meeresspiegels] aufspürt.
       
       ## Träumerische Leichtigkeit trifft auf dramatische Wirklichkeit
       
       Auch in der eingangs erwähnten Arbeit bereichert der Titel meinen ersten
       Eindruck. Hier geht es nicht (nur) um träumerische Leichtigkeit, sondern
       vor allem darum, auf etwas Dramatisches aufmerksam zu machen: „The Eyes of
       the Earth (The Death of Lake Urmia)“. Und richtig, die Frauengestalt
       schwebt nicht, sie hat festen Boden unter den Füßen, und das fellineske
       „Traumschiff“ sitzt auf versandetem Grund auf.
       
       Das Werk erzählt vom Austrocknen des einst sechstgrößten Salzsees der Welt
       und von den einschneidenden Folgen solcher Veränderungen auf unsere
       Sozioökonomie und Psychogeografie. Mit dem See stirbt für Daryani auch ein
       Kindheitsort, an dem ein Teil ihrer Familie vom Tourismus lebte und in der
       Freizeit schöne Stunden verbrachte.
       
       Als ich lese, dass Benedikt Partenheimers tanzende Flamme Indikator ist für
       das [3][austretende Methangas], das beim Abtauen der Permafrostböden
       freigesetzt wird, erfasst mich ein Schauder. Einer, der zwischen
       ästhetischer Anziehung, Nachdenken und Ernüchterung entsteht: „Denn das
       Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang …“ – Rilkes Zeile aus den
       „Duineser Elegien“ scheint plötzlich aktuell.
       
       Immer wieder aktiviert diese Ausstellung in Wiens erstem klimaneutralen
       Museum auch [4][geistiges Hinterland], denn die hier versammelten
       Positionen zum Klimawandel und seinen Folgen setzen auf
       multiperspektivisches Erzählen und vielschichtiges Nachdenken.
       
       ## Angelehnt an die Ausbeutungskritik von Marx
       
       So greifen die Kuratorinnen Sophie Haslinger und Verena Kaspar-Eisert
       gemeinsam mit Direktorin Bettina Leidl in ihren Katalogtexten und im Titel
       der Schau auf Grundlagen der Ideengeschichte zurück: „Nach uns die
       Sintflut“, ein Zitat aus Karl Marx’ „Kapital“, verweist auf dessen
       [5][Ausbeutungskritik, die er auch auf die Landwirtschaft] bezog, wie Lukas
       Egger in seinem klugen Katalogbeitrag hervorhebt.
       
       Auch Nils Güttlers souverän gelehrter Blick in die Kulturgeschichte von
       „Ökologie und Katastrophe“ kommt wie die gesamte Schau ohne aufgeregten
       Enthüllungsgestus aus. Niemand empört sich hier laut (uns alle trifft ja
       eine Mitschuld am Status quo), und ich sehe auch nirgends Schreckensbilder.
       Vielmehr wird dem taktilen, denkenden Auge die materielle Präsenz von Natur
       und ihre Aneignung durch Kultur und Technik dargeboten.
       
       Das Wissen um die verheerende Wirkung von Eingriffen in die Natur durch
       Supertechnologien ist in vielen Arbeiten hier eher leise präsent. Geradezu
       beiläufig und genau darum so bedrohlich steht da ein monströses Bagger-Bein
       in Genoveva Kriechbaums arabischer Serie „The World / The Heart of Europe“,
       die den Bau eines gigantischen, energiefressenden und grotesken Themenparks
       in Dubai dokumentiert.
       
       Diesem größenwahnsinnigen Projekt steht die stoische Haltung vieler Opfer
       des Klimawandels gegenüber: sei es der für die Schule hübsch gemachte
       kleine Junge in den Ruinen seines vom Padmafluss unterspülten Hauses
       (Sarker Protick, „Of River and Lost Lands“) oder die Massen von Arbeitern
       in Bangladesch, die beim Bau eines Damms gegen die Überflutung angehen, die
       durch den Abbau von Teersand in Kanada begünstigt wird ([6][Ursula
       Biemann], „Deep Weather“).
       
       Ein Bild gräbt sich besonders in mein emotionales Gedächtnis: die
       verzweifelt wirkende „Geste“ einer Palme, deren Wurzel sich prekär um einen
       großen Erdklumpen krallt („FloodZone“). Das wirkt komplett aussichtslos.
       Behält also Justin Brice Guariglias recht mit seiner unaufgeregten Arbeit,
       in der über dem Foto einer arktischen Schneelandschaft in weißen Lettern
       geschrieben steht: „THE END“? Wir werden es erleben.
       
       1 Feb 2021
       
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