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       # taz.de -- Art Weekend Mumbai: Nach Antwort in den Sternen suchen
       
       > In Südmumbai hat sich die zeitgenössische Kunstszene angesiedelt. Dort
       > findet das jährliche Mumbai Art Weekend statt. Dieses Jahr online und vor
       > Ort.
       
   IMG Bild: In der Galerie Maskara: Werke von Parag Sonarghare (vorn) und Prashant Pandey ​
       
       Wer in Mumbai Kunst sehen möchte, muss sich nicht unbedingt in den Süden,
       die alte Inselinnenstadt, begeben. Aber eine Fahrt lohnt sich: Hier finden
       sich alte [1][Kulturinstitutionen wie das Chhatrapati-Shivaji-Museum], das
       bereits zwei Pandemien – die Spanische Grippe 1918 und nun Corona –
       überstanden hat. Der einstige Charme der heute 20 Millionen Einwohner
       starken Stadt, der in der Hektik des Straßenverkehrs oft untergeht, wirkt
       hier immer noch nach. 
       
       Seit vielen Jahren hat sich in Südmumbai die zeitgenössische Kunstszene
       angesiedelt, was 2012 auch zur Idee [2][des Mumbai Gallery Weekends (MGW)]
       geführt hat. Die Kombination von Architektur und Kunst in atemberaubenden
       Räumlichkeiten, dazu der Blick auf das berühmte Taj Hotel, verleiht dem
       Rundgang einigen Reiz. In dieser Umgebung gewinnen die geometrischen
       Fliesenarbeiten von Lubna Chowdhary bei [3][Jhaveri Contemporary] noch
       einmal an Strahlkraft. 
       
       Allerdings ist das alte Stadtzentrum seit neun Monaten von den Vororten
       abgeschnitten, in denen die jüngere Generation der Kreativschaffenden lebt.
       Die Lebensader der Stadt, die S-Bahn, ist seit vergangenem Frühjahr nur
       eingeschränkt nutzbar und die Autofahrt Richtung Inselarchipel durch noch
       vollere Straßen schreckt ab.
       
       Die Galeristin Tara Lal [4][(Chatterjee & Lal)] ist Mitinitiatorin des MGW,
       das Ende Januar begann. Ihr gelang es in zweimonatiger Vorbereitung trotz
       der schlechten Wege zum ersten Kunstwochenende, das seit Ausbruch der
       Coronapandemie stattfinden kann, Kunstliebhaber und -schaffende im
       historischen Stadtzentrum zusammenzubringen. 22 Galerien nahmen teil und
       organisierten neue Ausstellungen in ihren Räumen. Eine Pop-up-Location
       wurde vom Innenarchitekten der Bollywoodstars, [5][Ashiesh Shah], mit
       formschönen und funktionalen Sitzmöbeln und Vasen in Mondform bestückt. Für
       ein paar Tage wurde so ein ehemaliges „Fine Dine“-Restaurant zur „Fine
       Art“-Bühne indischer Handwerkskunst, die auf moderne Ästhetik trifft. 
       
       ## Teuerste Ausstellungsräume der Metropole
       
       Alte knarzende Holztreppen führen zu Ausstellungsräumen, die inzwischen zu
       den teuersten der Metropole gehören. Im ersten Stock eines alten Hauses
       befindet sich [6][Mirchandani + Steinruecke]. Als Galeristin Ranjana
       Steinruecke 2006 in die Räume zog, war das Viertel Kala Ghoda (Schwarzes
       Pferd) zwar für sein Flair bekannt, aber die Straßen waren längst nicht so
       aufgeräumt. Derzeit bespielt Steinruecke ihre Wände unter anderem mit vier
       Arbeiten von Anita Dube, die aus Miniaturaugen warnende Worte des
       Widerstands zusammensetzt und auf die Ungleichheit in der Gesellschaft
       aufmerksam macht. Damit reagiert Dube auf ihre unmittelbare Umwelt.
       
       Vielen sitzt der harte Lockdown in Indien noch in den Knochen und das Leid,
       das er Hunderttausenden Wanderarbeitern brachte, die hastig versuchten, die
       Städte zu verlassen.
       
       Nach dieser Zeit wieder zu öffnen, darauf haben viele gewartet. Für
       Steinruecke darf das ruhig langsam geschehen. Die Begrüßungen waren
       herzlich, doch auf Distanz. Dass in diesem Jahr keine ausladenden Partys
       stattfanden, hat sie nicht vermisst. Stattdessen kommt bei vielen
       Künstler:innen und Galerist:innen mehr Technik zum Einsatz. „Früher
       haben wir uns davor gescheut, heute führen wir mit Zoom durch die Räume“,
       sagt sie und möchte das beibehalten. 
       
       Besonders aktiv ist die Galerie [7][Tarq] („Dialog“), die in den
       vergangenen Monaten online zahlreiche Gesprächsrunden initiiert hat und
       deren aktuelle Ausstellung ebenfalls [8][online zu sehen] ist. Sie zeigt
       die zweite Einzelausstellung von Rithika Merchant, „Geburt einer neuen
       Welt“. Die Serie von Aquarellen und Collagen wirkt in den alten Mauern des
       Ausstellungsraums stärker als vor einem Computerbildschirm.
       
       Merchant, die in Mumbai aufwuchs, arbeitet bereits mit dem Modehaus Chloé
       zusammen. In ihren Bildern, die sich mit der antiken Vorstellung von Zeit
       beschäftigt, sucht sie nach Antworten in den Sternen. Dafür greift sie
       Figuren und Symbole auf, die an die ägyptische Mythologie, aber auch an
       hinduistische Gottheiten erinnern.
       
       ## Street-Art von Tyler, provokante Graffiti
       
       In der Kunstszene haben einige die Zeit für neue Projekte genutzt. Sahil
       Arora eröffnete trotz Pandemie vor ein paar Monaten im Vorort Bandra das
       [9][Kunstcafé Method] als Ergänzung zur Hauptgalerie, die sich im
       Kunstviertel Kala Ghoda befindet. Im Café zeigt er vor allem Fotografie und
       grafische Arbeiten. Der Ableger in Südmumbai hat sonst einen anderen
       Schwerpunkt, aber derzeit ist in beiden Räume Street-Art des Künstlers
       Tyler zu sehen. Seine Forderungen wie „Freiheit (azadi)“ und „smash
       patriarchy“ hat er nicht nur auf (Lein-)Wände gesprüht, sondern auch in
       Ziegelsteine gemeißelt.
       
       Da Tyler oft nur mit schwarzen Umrissen in Schablonenoptik und wenig Farbe
       auskommt, hat er wohl den Spitznamen „Mumbais Banksy“. Wie er hält auch
       Tyler seinen Namen geheim. Seine provokanten Graffiti, die sich seit einem
       Jahrzehnt auf Mumbais Straßen finden, haben ihm eine große Fangemeinde in
       den sozialen Medien verschafft.
       
       Weitere junge zeitgenössische Künstler wie Sajid Wajid Shaikh ([10][Art +
       Charlie]), Shilo Shiv Suleman ([11][Art Musings]) oder Prashant Pandey, der
       Marmorstücken, Überbleibsel von Steinbildhauern aus Jaipur, in Form eines
       überdimensionalen Beckenknochens in der Maskara-Galerie neues Leben
       einhaucht, sind ebenfalls noch für eine Weile in Mumbai zu sehen und
       darüber hinaus auf Instagram dokumentiert.
       
       7 Feb 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.csmvs.in/
   DIR [2] https://mumbaigalleryweekend.com/
   DIR [3] https://jhavericontemporary.com/
   DIR [4] https://chatterjeeandlal.com/
   DIR [5] https://www.architecturaldigest.in/content/ad50-architect-ashiesh-shah-opens-doors-south-mumbai-home/
   DIR [6] https://www.galeriems.com/
   DIR [7] https://www.tarq.in/
   DIR [8] https://www.tarq.live/rithika/
   DIR [9] https://themethod.in/
   DIR [10] https://artandcharlie.com/
   DIR [11] http://artmusings.net/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Natalie Mayroth
       
       ## TAGS
       
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