URI: 
       # taz.de -- Parlamentswahl im Kosovo: Zweite Chance für den Neuanfang
       
       > Für die Wahl haben sich die Reformer Vjosa Osmani und Albin Kurti erneut
       > zusammengeschlossen. Sie kämpfen für die Abkehr von den alten Eliten.
       
   IMG Bild: Vjosa Osmani will nach der Wahl im Kosovo Präsidentin werden
       
       Sarajevo taz | Wenn die Bevölkerung des Kosovo am 14. Februar ein neues
       Parlament wählt, geschieht dies zu einem eigentlich ungünstigen Zeitpunkt:
       Das Land steckt in einer tiefen Krise. Und trotzdem könnten die Wahlen
       einen lang ersehnten, [1][grundsätzlichen Wandel] bedeuten, denn alle
       Beobachter prognostizieren einen Wahlsieg für die Partei Lëvizja
       Vetëvendosje (Bewegung Selbstbestimmung) und damit für die Reformpolitiker
       Albin Kurti und Vjosa Osmani.
       
       Doch an diesem Punkt standen die beiden schon einmal. Bei den Wahlen im
       Oktober 2019 gelang dem 46-jährigen Kurti mit seiner Oppositionspartei mit
       26 Prozent der Stimmen ein Durchbruch. Da die mit 25 Prozent nur knapp auf
       den zweiten Platz gedrängte Demokratische Liga Kosova (LDK) unter der
       damaligen Führung der ebenfalls als Reformpolitikerin profilierten
       38-jährigen Osmani beschloss, mit Kurti zu koalieren, schien schon damals
       [2][der Weg für eine Reformregierung] geebnet.
       
       Doch die Regierung zerbrach nach wenigen Wochen an dem Widerstand der
       Altherrenriege der LDK. Vjosa Osmani wurde aus der Partei geekelt. Der neue
       Repräsentant [3][Avdullah Hoti] bildete mit mehreren kleineren Parteien
       eine neue Regierung, die von der bislang führenden und von Hashim Thaçi
       gegründeten Partei PDK (Demokratische Partei Kosova) geduldetet und am 3.
       Juni 2020 im 120-köpfigen Parlament mit 61 Stimmen gewählt wurde. Die alten
       Eliten hatten vorerst gesiegt.
       
       Doch Kurti klagte vor dem Verfassungsgericht. Das erklärte am 21. Dezember
       2020 die Regierung Hoti für illegal, weil einer der Abgeordneten wegen
       Korruption zu 15 Monaten Haft verurteilt worden war und damit die Regierung
       ihre Mehrheit im Parlament verloren hatte. Nach dem Rücktritt Thaçis
       übernahm Parlamentspräsidentin Osmani geschäftsführend die Position der
       Präsidentin. Sie schrieb, wie es die Verfassung verlangt, nach dem Urteil
       des Verfassungsgerichts Neuwahlen aus.
       
       ## Gute Chemie zwischen Osmani und Kurti
       
       Dieses Gericht blieb weiter unparteiisch und entschied, dass Kurti bei der
       anstehenden Parlamentswahl nicht selbst antreten dürfe, weil er vor fast
       drei Jahren wegen einer Protestaktion im Parlament verurteilt worden war.
       Ein von einem Gericht Verurteilter müsse drei Jahre warten, um wieder bei
       den Wahlen antreten zu können.
       
       So wurde kurzerhand Osmani Spitzenkandidatin von Vetëvendosje. Beide wollen
       nun gemeinsam die von ihnen im letzten Jahr vereinbarte Reformpolitik
       fortsetzen. „Die Chemie zwischen beiden stimmt“, erklärte ein kosovarischer
       Diplomat der taz.
       
       Fast alle Wahlbeobachter gehen davon aus, dass Kurti und Osmani einen
       eindeutigen Sieg erringen dürften. War Vetëvendosje noch bei den letzten
       Wahlen lediglich Favorit für die junge Generation, die den korrupten
       Altparteien die roten Karte zeigen wollte, sind inzwischen auch viele
       Ältere, die in bitterer Armut lebenden Rentner, die bürgerlichen
       Stadtbewohner und viele Arbeiter zu Sympathisanten geworden.
       
       Dagegen steht die ungeheure Medienkampagne gegen Kurti und Osmani, stellt
       die bekannte Publizistin Evliana Berani fest. Das fest in der Hand der
       Altparteien liegende staatliche Fernsehen, die meiste privaten Kanäle und
       viele Zeitungen würden aus allen Rohren auf Kurti und Osmani schießen.
       Kurti werde wahlweise als Kommunist oder Islamist diffamiert, Osmani als
       Abtrünnige angegriffen.
       
       ## Große Herausforderungen
       
       Die voraussichtlichen Wahlsieger stehen vor riesigen Aufgaben. Die Pandemie
       hat das kaum zwei Millionen Einwohner zählende Land hart getroffen, das
       ohnehin marode Gesundheitssystem ist heillos überfordert. Die Wirtschaft
       kommt nicht auf die Beine, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 60 Prozent.
       Der andauernde [4][Streit mit Serbien] und die hart geführten Konflikte
       zwischen den politischen Parteien zermürben die Menschen.
       
       Zumindest scheinen die politischen Institutionen zu funktionieren, das
       Verfassungsgericht beweist seine Unabhängigkeit. Selbst nach dem
       [5][Rücktritt des langjährigen Präsidenten Hashim Thaçi] am 4. November
       2020 und dem Sturz von zwei Regierungen allein im letzten Jahr ist kein
       Chaos entstanden. Die Urteile des Gerichts werden respektiert.
       
       Erringt die Vetëvendosje am Sonntag keine absolute Mehrheit im Parlament,
       dürfte die Suche nach Koalitionspartnern schwierig werden. Klar ist, dass
       Kurti nach den Wahlen am Sonntag auch ohne Parlamentsmandat den Posten des
       Ministerpräsidenten anstrebt. Osmani hat Chancen, Präsidentin des Landes zu
       werden.
       
       12 Feb 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Publizist-ueber-Zukunft-des-Kosovo/!5654578
   DIR [2] /Regierungswechsel-im-Kosovo/!5657905
   DIR [3] /Regierungsbildung-im-Kosovo/!5690522
   DIR [4] /Abkommen-mit-US-Vermittlung/!5708098
   DIR [5] /Ruecktritt-des-Praesidenten-von-Kosovo/!5726538
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erich Rathfelder
       
       ## TAGS
       
   DIR Kosovo
   DIR Parlamentswahl
   DIR Hashim Thaci
   DIR Kosovo
   DIR Kosovo
   DIR Kosovo
   DIR serbische Minderheit im Kosovo
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Neue kosovarische Präsidentin: Eine Reformerin an der Spitze
       
       Die populäre Juristin Vjosa Osmani ist die neue Präsidentin des Kosovo.
       Damit kann sie die Reformbestrebungen der Regierung absichern.
       
   DIR Vor Parlamentswahl im Kosovo: Stimmen der Diaspora in Gefahr
       
       Für Kosovar:innen im Ausland wird die Registrierung zur Abstimmung noch
       komplizierter. Dabei ist diese Gruppe oft wahlentscheidend.
       
   DIR Anklage gegen Kosovos Präsidenten: Elite im Abseits
       
       Das Sondergericht in Den Haag erhebt Anklage wegen Kriegsverbrechen gegen
       den amtierenden Präsidenten des Kosovo. Das wurde auch Zeit.
       
   DIR Publizist über Zukunft des Kosovo: „Kosovaren wollen echten Wandel“
       
       Drei Monate nach der Wahl mit historischem Ergebnis hat das Land noch immer
       keine Regierung. Die steht vor großen Aufgaben, sagt der Publizist Veton
       Surroi.