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       # taz.de -- Türkische Angriffe im Nordirak: Fakten schaffen mit Waffen
       
       > Die Türkei greift angebliche PKK-Stellungen im Nordirak an. Dahinter
       > steht offenbar die Angst vor einem Politikwechsel in den USA.
       
   IMG Bild: Laut der Zeitung Hürriyet bombardierten insgesamt 40 Kampfflugzeuge Ziele im Nordirak (Symbolfoto)
       
       Istanbul taz | Seit Mittwochvormittag hat die türkische Armee eine neue
       Offensive gegen angebliche Stellungen der kurdischen Guerilla PKK im
       Nordirak begonnen. Dabei handelt es sich zunächst um eine
       grenzüberschreitende Operation, die nur wenige Kilometer in den Nordirak
       hineinreicht.
       
       Nachdem türkische Sonderkommandos in Kämpfe mit PKK-Militanten verwickelt
       und dabei drei Soldaten getötet wurden, griff die türkische Luftwaffe ein.
       Laut der Zeitung Hürriyet bombardierten insgesamt 40 Kampfflugzeuge Ziele
       im Nordirak. Ob dabei Zivilisten getötet wurden, ist bislang noch nicht
       bekannt.
       
       Der aktuelle Angriff wird von der türkischen Regierung als Akt der
       Selbstverteidigung bezeichnet und soll angeblich bevorstehende
       Terrorangriffe der PKK in der Türkei vereiteln. Schon [1][im letzten Jahr]
       gab es zwei größere Angriffe der Türkei auf angebliche oder tatsächliche
       PKK-Stellungen im Nordirak, was die irakische Regierung in Bagdad und die
       kurdische Autonomieregierung im Nordirak zu heftigen Protesten veranlasste.
       Bislang ist aber weder aus Bagdad noch von der Autonomieregierung etwas zu
       hören.
       
       Das könnte damit zusammenhängen, dass die türkische Regierung ihren
       aktuellen Einmarsch politisch besser abgesichert hat. Sowohl der türkische
       Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu als auch Verteidigungsminister Hulusi Akar
       waren mehrfach im Irak, um dort über ein gemeinsames Vorgehen gegen die PKK
       zu sprechen.
       
       ## Erdoğans Angst vor Joe Bidens Personal
       
       Sollte die jetzige Operation mit dem Einverständnis der irakischen
       Zentralregierung und der kurdischen Autonomieregierung erfolgen, ist davon
       auszugehen, dass die türkische Armee ihre Angriffe in den nächsten Tagen
       ausweiten wird.
       
       In Ankara ist seit langem die Rede davon, dass die PKK aus ihren Stellungen
       im Sindjar-Gebiet vertrieben werden müsse. Dort hatte der IS vor Jahren die
       jezidische Minderheit brutal angegriffen und war dann mit Hilfe der PKK
       zurückgeschlagen worden. Seitdem soll die PKK aus dem Gebiet nahe der
       syrischen Grenze den Nachschub für die syrischen Kurden organisieren.
       
       Dass die türkische Armee die Offensive jetzt begonnen hat, obwohl die
       Witterungsbedingungen noch sehr schlecht sind, könnte aber außenpolitische
       Gründe haben, die über den Nordirak hinausgehen.
       
       Seit der neue US-Präsident Joe Biden im Amt ist, rechnet die türkische
       Regierung damit, dass die USA sich wieder stärker in Syrien engagieren und
       dabei auch ihre Unterstützung für die syrisch-kurdische YPG-Miliz, die der
       vorherige US-Präsident Trump fallen gelassen hatte, wieder intensivieren.
       
       ## Deal: Keine S-400 in der Türkei, keine US-Hilfe für die YPG
       
       Dieses Horrorszenario für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan
       ist durch die bisherigen [2][Personalentscheidungen] Bidens aus Sicht
       Ankaras konkretisiert worden. Der neue US-Außenminister Antony Blinken hat
       die Politik Erdoğans in der Vergangenheit mehrfach öffentlich kritisiert,
       und auch der neue Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan ist als
       Erdoğan-Kritiker bekannt.
       
       Vor allem aber eine Personalie hat in Ankara die Alarmglocken klingeln
       lassen. Als Sonderbeauftragter für den Nahen Osten wurde Brett McGurk
       berufen, derselbe, der bis zu seinem Bruch mit Trump jahrelang als
       US-Koordinator im Kampf gegen den IS vor Ort war und als Architekt der
       Zusammenarbeit zwischen den USA und der Kurdenmiliz YPG gilt. Für Erdoğan
       und seinen Nationalen Sicherheitsrat ist er deshalb schlicht ein
       Sympathisant der PKK, weil die syrische Kurdenmiliz YPG nichts anderes als
       ein Ableger der PKK sei.
       
       Bevor die USA also erneut die YPG-PKK Miliz stärken können, will man jetzt
       auf dem Schlachtfeld noch Fakten schaffen. Auch diplomatisch ging Ankara in
       den letzten Tagen in die Offensive. Erdoğan hat seinen
       Verteidigungsminister Hulusi Akar vorgeschickt, um Biden einen Deal
       vorzuschlagen.
       
       „Unser größtes Problem mit den USA ist deren Unterstützung der YPG“ sagte
       Akar vor zwei Tagen in einem Interview. Das größte Problem der USA mit der
       Türkei ist dagegen deren [3][Kauf der modernen russischen Raketenabwehr
       S-400]. Akar schlägt deshalb vor, die Türkei könne die S-400 außer Betrieb
       nehmen, wenn die USA ihre Unterstützung für die Kurden beenden.
       
       11 Feb 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Angriffe-der-Tuerkei-im-Nordirak/!5689637
   DIR [2] /Bidens-Team-fuer-die-US-Aussenpolitik/!5730394
   DIR [3] /Streit-um-russisches-Raketenabwehrsystem/!5739417
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Gottschlich
       
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