URI: 
       # taz.de -- Neue Teppichkunst von Margret Eicher: Höfisch gestylt
       
       > Margret Eicher stellt zeitgenössische Tapisserien aus Medienbildern
       > zusammen. Ihre Ausstellung in Berlin ist nun in digitaler Form zu
       > erkunden.
       
   IMG Bild: Margret Eicher, Nach Botticelli/Geburt der Venus (2), 2018, Digitale Montage, Jacquard, Ausschnitt
       
       Bei der Verleihung der Grammy Awards im Jahr 2017 ging die US-amerikanische
       Sängerin Beyoncé mit nur zwei Auszeichnungen nach Hause, ins kulturelle
       Gedächtnis eingebrannt hat sich ihr Auftritt dennoch. Zwei Balladen
       performte die damals Hochschwangere in Kleidung und Schmuck, die im
       Anschluss unzählige Kunsthistoriker*innen zu ausführlichen
       Interpretationen veranlasste.
       
       Das Kleid, das Beyoncé trug, war über und über golden und glitzernd
       bestickt – unter anderem mit einer Abbildung ihres eigenen Gesichts. Die
       Krone auf ihrem Kopf glich mit ihrem Strahlenkranz einem Heiligenschein und
       ihr Haar darunter fiel in Wellen, die an jene der römischen Göttin der
       Liebe auf Botticellis „Geburt der Venus“ denken ließen.
       
       Fasziniert hat diese ikonenhafte Selbstinszenierung auch die Berliner
       Künstlerin Margret Eicher. Denn solche Bilder, die vor nicht nur
       popkultureller Symbolik strotzen, sind es, die Eicher zu ihrer Kunst
       anregen. Für die hat sie eine recht ungewöhnliche Form gefunden hat: den
       Wandteppich.
       
       Und so ist die göttinnengleiche Popikone Queen Bey in gewebter Form aktuell
       in Eichers Ausstellung im Berliner Haus am Lützowplatz anzutreffen, in der
       Rolle und Pose der Venus Botticellis, nur in etwas anderer Umgebung und
       Gesellschaft. Die schaumgeborene Beyoncé steht da in keiner Muschel,
       sondern vor zwei Rolltreppen in einem U-Bahnhof in Frankfurt am Main. Auch
       Zephyr, Chloris und Flora wurden ersetzt. Ihrer statt adaptierte Eicher
       Motive aus Parfumkampagnen.
       
       „Nach Botticelli/Geburt der Venus 2“ heißt die Arbeit, angefertigt im Jahr
       2018. Sie ist, wie auch die Ausstellung an sich, aus der Münchner „Villa
       Stuck“ nach Berlin gewandert und freilich aktuell nicht physisch zu
       besuchen. Eröffnet wurde sie am Freitag (5. Februar) dennoch – via Zoom.
       
       ## Bilder der Macht und der Repräsentation
       
       Sie sei, so erklärte es Eicher während der Eröffnung, Mitte der 1990er
       Jahre, bei einer Reise an der Loire in Frankreich auf die Idee gekommen,
       mittelalterliche Tapisserien zeitgenössisch zu adaptieren und dabei Bilder
       aus Massenmedien als Sujets zu benutzen. Warum? Weil sie Parallelen
       aufwiesen: Kommunikationsmedien seien sie beide, Bilder der Macht. Mit
       solchen hatte sich Eicher schon vorher auseinandergesetzt.
       
       Mit sogenannten Copy-Collagen war die 66-Jährige in den 1980er Jahren
       bekannt geworden. Eicher füllte Räume mit Collagen aus Medienbildern, bis
       sie die Bildwirkerei für sich entdeckte. Seit Beginn der 2000er arbeitet
       sie so, setzt am Rechner Bilder aus dem Netz, aus der Werbung, aus Medien
       zu neuen Bildwelten zusammen, den Kompositionsregeln der höfischen
       Tapisserie folgend – und lässt sie dann weben.
       
       Man muss bei diesen Wandteppichen oft mehrfach hinschauen, um sich nicht
       von der Verpackung, der spielerischen Inszenierung täuschen zu lassen.
       Eichers Tapisserien sind eigentlich bildgewordene Analysen einer visuellen
       Sprache, die sich durch die Jahrhunderte zieht. Die Künstlerin untersucht
       Spuren von Mythologie, antiker wie christlicher Ikonografie und sie
       dechiffriert die Darstellung von Geschlechterrollen, von Sex und Macht –
       [1][ein wenig wie Aby Warburg], nur mit anderem Ausgangsmaterial und
       Medium.
       
       So ist es auch bei den anderen Tapisserien, die im Haus am Lützowplatz in
       ihrer Ausstellung „Lob der Malkunst“ hängen. Malkunst, das ist übrigens
       wörtlich gemeint, Eicher sieht sich trotz ihrer digitalen Praxis in der
       Tradition der Malerei. Zu den älteren Arbeiten gehört „Das Urteil des Paris
       3“ aus dem Jahr 2012, auf dem zwischen Versace-Models die drei Göttinnen
       Madonna, Lady Gaga und Angelina Jolie sich zur Schau stellen. Von 2020
       stammt „Agent Assange“, auf dem der Wikileaks-Gründer zwischen vier
       Ninja-Turtles heldenhaft-herausfordernd vom Teppich blickt.
       
       ## Dialog mit der Künstlerin
       
       Beziehungsweise vom Bildschirm. Vorbildlich versucht das Haus am
       Lützowplatz Eichers Werk online verfügbar zu machen. Am Freitag bewies es
       per Zoom-Webinar, dass eine digitale Eröffnung durchaus kurzweilig sein
       kann. Marc Wellmann, der künstlerische Leiter, führte durch die Schau, im
       Dialog mit der Künstlerin, die sich schließlich noch Fragen aus dem
       Publikum widmete. Während der Laufzeit kann die Schau in stündlichen
       digitalen Führungen besucht werden – jeweils dienstags bis freitags von 12
       bis 16 Uhr zur vollen Stunde.
       
       Bei der Eröffnung funktionierte technisch alles reibungslos, was aber
       dennoch zu kurz kommt, wohl zu kurz kommen muss, ist das Schauen. So einen
       Teppich würde man sich ja gerne mal aus der Nähe ansehen, um
       herauszufinden, wie sich aus den Textilfasern die Sujets ergeben. Am
       Bildschirm verlieren die Tapisserien zwangsläufig an Tiefe, verwandeln sich
       zurück in bloße Bilder.
       
       Einen Vorteil aber hat die Online-Variante: Sie vereinfacht die Begegnung
       mit der Künstlerin. An jedem Dienstag um 15 Uhr ist sie der Online-Führung
       zugeschaltet. Mehrere Künstlerinnengespräche gibt es auch.
       
       10 Feb 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Aby-Warburgs-Bilderatlas-in-Berlin/!5712508
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Beate Scheder
       
       ## TAGS
       
   DIR Bildende Kunst
   DIR Textile Kunst
   DIR Künstlerin
   DIR Ausstellung
   DIR Computer
   DIR Technik
   DIR Handwerk
   DIR zeitgenössische Kunst
   DIR Ausstellung
   DIR taz Plan
   DIR Barock
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Privatisierung öffentlicher Räume: Protest mit Knete
       
       Umkämpfter Stadtraum: In Berlin gibt es Arbeiten von Künstler*innen wie
       Amelie von Wulffen und Aktivist*innen aus den 1990er Jahren zu sehen.
       
   DIR Chinesisches Kunstkollektiv in Frankfurt: Modisch gegen Repressionen
       
       „Mothers of Ultra“ nennt sich ein gewitztes Kollektiv von Künstlerinnen und
       Näherinnen in China. Der Frankfurter Kunstraum Synnika stellt sie vor.
       
   DIR Ausstellungsempfehlung für Berlin: Que(e)r durch die Kunstgeschichte
       
       Im Lockdown dürfen die Berliner Galerien offen bleiben. Sehr sehenswert ist
       derzeit die feministische Kunst von Nadira Husain und Zoë Claire Miller.
       
   DIR Kunstgeschichte aufgemischt: Ins Barock geschmuggelt
       
       Mitten in die überschwängliche Ausstattungskunst des Schlosses Caputh bei
       Potsdam haben vier Künstlerinnen aktuelle Arbeiten platziert.