# taz.de -- „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“: Fehlende Empirie
> Das Akademiker*innen-Netzwerk ist keine Solidaritätsaktion mit türkischen
> Studierenden. Sie fürchten Repression gegen sich.
IMG Bild: Festnahme bei einer Demo für Wissenschaftsfreiheit am Donnerstag in Istanbul
Nach der Einsetzung eines AKP-nahen Rektors [1][demonstrieren Studierende
der Istanbuler Boğaziçi]-Universität für die Freiheit des akademischen
Betriebes. Mit brutaler Polizeigewalt werden sie auseinander getrieben, 159
von ihnen festgenommen. Aus diesem Anlass verfassen 70 deutsche
Akademiker*innen als „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ ein Manifest, um
„die Freiheit von Forschung und Lehre gegen ideologisch motivierte
Einschränkungen zu verteidigen und zur Stärkung eines freiheitlichen
Wissenschaftsklimas beizutragen“.
Nein, nicht ganz. Gewiss, das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit trat am
Mittwoch das erste Mal an die Öffentlichkeit, mit genau der wörtlich
zitierten Mission, jedoch geht es ihnen um die weltanschauliche Normierung
und politische Instrumentalisierung der Wissenschaft in Deutschland.
Beklagt wird ein Konformitätsdruck, der zur [2][unzulässigen Beschränkung
der freien akademischen Debatte führe].
„Wenn Mitglieder der Wissenschaftsgemeinschaft aus Furcht vor den sozialen
und beruflichen Kosten Forschungsfragen meiden oder sich Debatten
entziehen, erodieren die Voraussetzungen von freier Wissenschaft“,
schreiben die [3][Recken der Redefreiheit]. Man ist dankbar, dass sie
endlich den Mut gefunden haben, die Wahrheit auszusprechen. Man mag sich
nicht ausmalen, wie viele bahnbrechende Ideen und Theorien in den
vergangenen Jahrzehnten in finsteren Schubladen verschwanden, denn anders
als durch langjährige massive Selbstzensur, ja schmerzhaftes inneres Exil,
ist schließlich kaum zu erklären, wie die Unterzeichner*innen trotz
der offensichtlichen Freigeistigkeit ihre Titel erringen konnten. Bis auf
wenige Ausnahmen sind sie alle Professor*innen.
Bewundernswert ist auch die Tapferkeit jener Samisdat-Flugschriften, die
dieser Geschichte der Unterdrückung und Repression am Rande des
Moralkorridors des tumben Mainstreams mit Interviews, Berichten und
Kommentaren eine Stimme leihen. Ein Hoch auf FAZ und Zeit und Welt! So
gerne würde man mehr erzählen von den perfiden Angriffen, den Bedrohungen,
den Verletzungen, jedoch scheinen die Professor*innen vom dringlichen
Abgabetermin ihres Manifests etwas überrascht worden zu sein. Auf der
Webseite des Netzwerks ist der Bereich „Dokumentation“ jedenfalls „… noch
im Aufbau“. Jedoch, um das bisschen Empirie nachzureichen, ist es nie zu
spät. Und für die gute Sache warten wir auch gerne noch ein Weilchen mit
der Benotung.
5 Feb 2021
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## AUTOREN
DIR Daniél Kretschmar
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