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       # taz.de -- Im Kampf für Demokratie in Belarus: Kampf der Farben
       
       > Ein Bauwagen als Botschaft „der freien und demokratischen Republik
       > Belarus“. Damit demonstriert Taras Siakerka, Aktionskünstler, in Berlin.
       
   IMG Bild: Taras Siakerkas Kunstprojekt „Botschaft der freien und demokratischen Republik Belarus“
       
       Berlin taz | An der Straße entlang des Treptower Parks, die man auch als
       Bundesstraße 96a kennt, wehen zwei Fahnen eines europäischen Landes. Die
       eine ist in Rot und Grün gehalten und am linken Rand mit einem rot-weißen
       Stickmusterornament verziert, die andere zeigt Weiß-Rot-Weiß. Die eine
       gehört zu einem Villenensemble, das daran erinnert, warum diese Gegend
       Anfang des 20. Jahrhunderts als eine bessere galt; die andere Fahne weht
       über einem Holzanhänger, der, irgendwie passend zu der folgenden
       Geschichte, einmal eine Sauna beherbergt hat.
       
       Die Villen gehören seit 1996 zur offiziellen Botschaft der Republik
       Belarus, in dem Wagen residiert seit vorigem Herbst das Kunstprojekt
       „Botschaft der freien und demokratischen Republik Belarus“. Sein Initiator
       Taras Siakerka ist einer, der von sich sagt, dass er in seinem Leben nie
       vorhatte, eine Fahne aufzuziehen. Aber, meint er, momentan ist die
       weiß-rot-weiße ein Symbol des Widerstands.
       
       Vorigen Sommer tat Siakerka, was er bis jetzt regelmäßig einmal im Jahr
       tat. Er, der seit 19 Jahren in Deutschland lebt, fuhr in seine Heimatstadt
       Gomel im Südosten von Belarus, eine Autostunde nördlich von der Ukraine,
       eine westlich zu Russland. Diesmal ließ er seine Kinder zu Hause.
       
       In Belarus hatte sich Anfang August der seit 1994 amtierende Präsident
       Alexander Lukaschenko zur Wahl gestellt, die er amtlichen Ergebnissen
       zufolge mit hohen Prozentzahlen gewonnen hatte. [1][Nicht wenige von
       Lukaschenkos Landeskindern waren und sind da anderer Meinung]; sie haben
       den Staat als beleidigten Vormund erlebt, der um sich schlägt, foltert und
       schießt. Siakerkas Schwester, seit Jahren politisch aktiv, wurde verhaftet,
       nicht zum ersten Mal. Dieser Tage erwartet sie ihren Prozess. Als ihr
       Bruder zurück nach Berlin fuhr, wusste er bereits, dass er eine Mahnwache
       ins Leben rufen würde.
       
       Dabei ist Taras Siakerka als Jugendlicher an Politik erst mal wenig
       interessiert gewesen. 1991, in dem Jahr, als die Sowjetunion
       auseinanderging, war er 14 Jahre alt. Seit seinem fünften Lebensjahr hatte
       er das Riesenreich als Mitglied eines Tanz-Ensembles durchquert, jetzt fand
       er sich in einem unabhängigen Land wieder, das sich zur Staatsflagge
       ebenjene wählte, die Siakerka über seinem Saunawagen wehen lässt. „Da wurde
       vieles in eine nationalistische Richtung geschoben“, sagt er. Und der
       jetzige Machthaber habe durchaus damit gespielt.
       
       Siakerka sollte diese Zeit vernünftig verbringen, bis zur Einberufung in
       die Armee verlustierte er sich in der Rock- und Punkszene Gomels und kam
       mit anarchistischem Gedankengut in Berührung. Eins ist ihm heute noch
       wichtig: „Ich nenne mich nicht Anarchist. Ich versuche, einer zu werden.“
       
       Siakerkas Botschaftswagen hat etwas von einem Infoladen, einem allerdings,
       in dem sich Liebespaare trauen lassen können. Sogar einen Pass gibt es. Er
       wird kostenlos ausgestellt, Spenden sind willkommen. Eine Bedingung stellt
       Siakerka potenziellen Inhabern aber doch: „Wenn du die Diktatur als solche
       und explizit die Lukaschenko-Diktatur ablehnst, darfst und kannst du die
       Bürgerschaft der freien demokratischen Republik Belarus bekommen“, heißt es
       in den Regularien, die er an eine der Außenwände gepinnt hat.
       
       ## Roman Bondarenko ging raus und kam nicht zurück
       
       Überall sind Poster und Flyer, zentral und frontal ist ein Plakat. Es zeigt
       die Rückenansicht eines jungen Mannes, über ihm die Worte: „Ich gehe raus!“
       Das hatte der Minsker Maler Roman Bondarenko am 12. November 2020 in einem
       Nachbarschafts-Chat geschrieben und seine Worte wahr gemacht. Noch am
       selben Abend erlag er in einem Krankenhaus den Verletzungen, die ihm
       Sicherheitskräfte des Regimes zugefügt hatten. Unmittelbar danach hatte
       Taras Siakerka seine Fahne halbmast gehisst und Trauerflor angebracht; am
       nächsten Tag musste er die Beflaggung beschädigt und geplündert vorfinden.
       
       Ein Einzelfall, sagt Siakerka. Die meisten Leute, die an seinem Wagen
       vorbeikommen, bekunden Solidarität. Einige Häuser weiter haben Nachbarn
       sogar Weiß-Rot-Weiß geflaggt.
       
       In Belarus reicht es bereits, [2][Unterwäsche in dieser Farbenfolge zum
       Trocknen aufzuhängen,] um eine Anklage für das Ausrichten einer illegalen
       Kundgebung zu kassieren, berichtet der [3][FAZ-Korrespondent Felix
       Ackermann in einem Artikel], der genau an dem Tag erschienen ist, als Taras
       Siakerka mit der taz spricht.
       
       Ackermann schreibt weiter, wie sich Staat und Opposition mittlerweile
       gegenseitig als Faschisten beschimpfen. Weiß-Rot-Weiß ist in den
       staatlichen Medien Signum der Nazikollaboration von 1941 bis 1944. Quer
       unter der Dachtraufe von Siakerkas Wagen hängt ein Transparent mit der
       Aufschrift: „Das Konzentrationslager Okrestino-Minsk muss fallen.“
       
       ## Der Jargon der Machthaber
       
       Die Haftanstalt Okrestino ist für die traumatisierende Gewalt berüchtigt,
       die Gefangenen der Proteste dort zugefügt worden ist. Siakerka räumt ein,
       dass das Untersuchungsgefängnis kein KZ ist. Er betont aber auch: „Das ist,
       was wir spontan fühlen.“ Der Jargon der Machthaber, nachzulesen in den
       Artikeln, die Siakerka ausgehängt hat, macht seine Worte verständlich.
       
       Damit politische Gefangene Post bekommen können, verteilt Siekierka
       Grußkarten. Dabei schaut er über die Straße, zur offiziellen Botschaft von
       Belarus in den Villen. Zu ihr gehört ein Buddy Bear, eine jener
       künstlerisch gestalteten Bärenskulpturen, die in Berlin Firmenfoyers und
       private Gärten, Hotels und diplomatische Vertretungen schmücken. Der
       Belarus-Bär steht hinter einem Metallzaun, auf seiner Bauchschärpe trägt er
       die offizielle Landesflagge und eine Europafahne ineinander verwoben. An
       seiner rechten Flanke ist er verwundet, auf einen verschorften Einschuss
       ist ein Radioaktivitätszeichen gelegt.
       
       Taras Siakerka, es war in seiner Kindheit, als Tschernobyl in die Luft
       ging, zählt auf einer Kreidetafel die Protesttage von Belarus. An diesem
       Wochenende werden es über 180 sein. „Ich werde das nicht ewig machen
       müssen“, sagt Siakerka. „Und dann war’s das auch mit der Fahne.“
       
       5 Feb 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Proteste-in-Belarus/!5710976
   DIR [2] /Klamotten-in-Belarus/!5748130
   DIR [3] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/wie-sich-politiker-in-belarus-faschisten-schimpfen-17177843.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Robert Mießner
       
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