URI: 
       # taz.de -- Frisurenfrust wegen Corona: „Keine Schere! Keine Farbe!“
       
       > Die Öffnung der Friseurläden zieht sich dahin, die Friseurin Lisa Zeitler
       > lebt vom Ersparten. Über eine Branche in Not und unseriöse Angebote.
       
   IMG Bild: Wachsen lassen wie ein Yak? Warum nicht
       
       taz: Frau Zeitler, Sie sind Friseurmeisterin in Berlin. Wovon bezahlen Sie
       gerade Ihre Miete? 
       
       Lisa Zeitler: Aktuell von meinen Rücklagen. Ab Februar werde ich die
       laufenden Kosten aus meinen Steuerrücklagen für 2020 begleichen müssen.
       
       Bund und Länder haben entschieden, dass die Friseurgeschäfte weiter
       geschlossen bleiben. Haben Sie dafür unter dem Aspekt des
       Gesundheitsschutzes Verständnis? 
       
       In Hinblick auf die angespannte Coronalage: definitiv. Ich verstehe auch,
       dass strikt vorgegangen werden muss. Aber ich halte die Maßnahmen für
       ungeeignet. Was ich bei den Überbrückungshilfen erlebe, ist nicht mehr zu
       begreifen. Soloselbstständige und Kleinunternehmer werden durch den
       Lockdown massiv in wirtschaftliche Bedrängnis gebracht. Und das, während
       ich von wohlhabenden Leuten aktuell so dreiste Angebote bekomme, dass ich
       mich manchmal frage, ob die Regierung es darauf anlegt, Schwarzarbeit zu
       fördern.
       
       Was meinen Sie mit dreisten Angeboten? 
       
       Ich kriege Anfragen von Kunden und ihren Freunden, die sagen: Ich habe
       gehört, du bist richtig gut – ich biete dir das Dreifache, wenn du mir die
       Haare machst.
       
       Und was sagen Sie dann? 
       
       Ich mache das nicht. Und ich möchte es auch nicht machen müssen.
       
       Der Staat handelt doch: Bei den Bund-Länder-Beratungen wurde festgelegt,
       dass die Überbrückungszahlungen an Handwerksbetriebe beschleunigt werden
       sollen. 
       
       Grundsätzlich finde ich es super, in einem Land zu leben, in dem sich die
       Politik um Menschen wie mich kümmert. Im ersten Lockdown hat uns
       Handwerkern das den Hintern gerettet. Aber mittlerweile sind die
       Regularien, an Hilfsgelder zu kommen, so erschwert worden, dass ich sie
       weder verstehe noch beantragen kann. Das Programm, mit dem ich meinen
       Bedarf melden muss, funktioniert technisch noch nicht. Und die Ansprüche
       für meine GbR muss ein Steuerberater geltend machen – und der kostet mich
       viel Geld. Das ist alles völlig widersinnig.
       
       Sie sind Handwerkerin. Bekommen Sie Unterstützung durch die Kammer? 
       
       Gute Frage. Nein. An die Handwerkskammer bezahle ich meine Beiträge. Wofür
       genau gerade, weiß ich nicht.
       
       [1][Die Kanzlerin hat in einer Pressekonferen]z gesagt: Nach den Schulen
       und Kitas müssten „aus praktischen Gründen dann bald die Friseure
       drankommen – das ist jetzt aber mehr anekdotisch“. Wie kommt dieser Witz
       bei Ihnen an? 
       
       Darüber kann ich nicht lachen.
       
       Für Ihren Salon hatten Sie bereits im Frühjahr 2020 ein ausgeklügeltes
       [2][Hygienekonzept] angewandt: permanentes Masketragen, lüften,
       desinfizieren. Warum reicht das nicht? 
       
       Ich habe noch Filteranlagen und CO2-Messgeräte gekauft und die
       Personenanzahl im Studio massiv begrenzt. Warum das nicht reicht, verstehe
       ich nicht. Wenn ich sehe, wie die Hygieneregeln im öffentlichen Raum – im
       Supermarkt, in der Bahn, in Arztpraxen – permanent unterlaufen werden,
       macht mich das ratlos. Da wird nicht kontrolliert.
       
       Immer mehr Menschen greifen jetzt zur Rasiermaschine oder schneiden sich
       selbst und gegenseitig die Haare. Richtig so – oder fürchten Sie, dass da
       Kunden wegbleiben werden? 
       
       Ich kriege das natürlich mit und denke: Tu’s besser nicht! Aber ich bin
       sicher, dass sich Qualität durchsetzt. Ich weiß, was ich tue, ich habe
       meinen Job gelernt und mache den gern und gut.
       
       Frage an die Fachfrau: Wo sind die Grenzen der Selbsthilfe? Wovon sollte
       man die Finger lassen? 
       
       Ich bekomme in letzter Zeit öfter Panikanrufe von Kunden, die sagen: Oh
       Gott, was soll ich machen? Ich antworte ihnen: Keine Schere! Keine Farbe!
       Wir werden uns wiedersehen. Und bis dahin kauf dir einen schönen
       Lippenstift, ein schickes Tuch oder eine Mütze.
       
       Eine schwierige Frage: Wird ihr Studio Corona überleben? 
       
       Ich weiß es nicht. Kommt darauf an, wann ich die Zuschüsse bekomme. Ich
       habe mir selbst versprochen, nicht unvernünftig zu werden. Andere nehmen
       privat Kredite auf, um auf die Überbrückung zu warten und um später die
       Überbrückungshilfe abzahlen zu können. Ich fürchte, dass die Steuern den
       kleinen und mittelständischen Betrieben das Genick brechen werden, wenn die
       Hilfen nicht rechtzeitig kommen und auch die Ausfälle nicht bezahlt werden.
       So kommt die Verschuldung dazu. Das schafft kein seriöses Unternehmen,
       selbst wenn es gut wirtschaftet.
       
       Frau Zeitler, was lehrt uns Corona? 
       
       [3][Corona geht an die Substanz]. Die Unwuchten innerhalb unserer
       Gesellschaft treten nun überdeutlich zutage. Und es macht die Schwächen
       politischen Handelns deutlich. Wie kann es sein, dass das halbe Jahr
       zwischen den Lockdowns nicht genutzt wurde, um ein handhabbares Hilfesystem
       für einen relevanten Teil der Gesellschaft aufzubauen. Wir alle sind dieses
       Land. Und ich finde, es ist Zeit, laut einzufordern, dass die Politiker
       hier endlich ihren Job machen.
       
       3 Feb 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Fragestunde-bei-der-Kanzlerin/!5742148
   DIR [2] /Protokoll-Arbeit-und-Corona/!5728358
   DIR [3] /Berlins-Selbststaendige-in-der-Krise/!5729613
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anja Maier
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Friseure
   DIR Handwerk
   DIR Schwerpunkt Angela Merkel
   DIR Kolumne Der rote Faden
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Schule und Corona
   DIR Friseure
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Donald Trump
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR der rote faden: Termin beim Friseur
       
       Genügend Impfstoff ist noch nicht da, dafür können wir uns bald wieder die
       Haare schneiden lassen. Eine Pflicht dazu gibt es so wenig wie beim Impfen.
       
   DIR Selbstständigkeit während Corona: Eine Frage der Wertschätzung
       
       2,2 Millionen Soloselbstständige arbeiteten vor Corona in Deutschland. Nun
       sind viele Existenzen bedroht. taz hat drei Freischaffende wiedergetroffen.
       
   DIR Öffnung von Schulen und Kitas: Riskant, aber richtig
       
       Viele Länder wollen Grundschulen und Kitas noch im Februar öffnen. Eine
       schwierige Abwägung zwischen Gesundheitsschutz und sozialen Folgen.
       
   DIR Frisörsalons im Lockdown: Locke up, Locke down
       
       Frisörsalons auf oder zu? Das scheint momentan große Teile der Bevölkerung
       umzutreiben. Alles nur eine Frage der Eitelkeit?
       
   DIR Protokoll Arbeit und Corona: „An der Infektionsfront“
       
       Den Friseursalon von Benjamin Walter trifft der neue Teil-Lockdown hart.
       Ihn nervt vorallem das „Hin und Her“ in der deutschen Coronapolitik.
       
   DIR Was fehlt...: ... Tattoos und Bärte
       
   DIR Bundestag befasst sich mit Trump-Dekret: Fragestunde zum US-Einreiseverbot
       
       Wie viele mussten draußen bleiben? Das Dekret des US-Präsidenten betraf
       auch Deutsche. Die Regierung soll nun prüfen, um wen genau es ging.