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       # taz.de -- Reformen in Bosnien und Herzegowina: Neuer Anlauf
       
       > Deutschland und die USA wollen den Balkanstaat wieder auf die politische
       > Agenda setzen. Das heißt auch mehr Macht für den Hohen Repräsentanten.
       
   IMG Bild: Milorad Dodik, der „Führer der Serben“ gilt als Anti-Reformer und droht mit Abspaltung
       
       Sarajevo taz | Deutschland und die USA wollen dem geschundenen Land Bosnien
       und Herzegowina offenbar wieder eine neue Perspektive geben. Die Presse in
       Sarajevo ist erstaunt. „Merkel und Biden lösen Balkanfrage“ titelte die
       größte Zeitung des Landes Dnevni Avaz unlängst. Die Zeitung bezog sich auf
       ein Statement nach einer Videokonferenz zwischen Merkel und Biden, bei dem
       Bosnien und Herzegowina als Punkt einer zukünftigen Zusammenarbeit
       ausdrücklich genannt wird.
       
       Kernpunkt dieser Zusammenarbeit wird die Neubestellung eines Hohen
       Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft sein. Dass der über zehn
       Jahre wirkende österreichische Diplomat Valentin Inzko durch [1][den
       deutschen Außenpolitiker Christian Schmidt (CSU)] im Frühjahr abgelöst
       werden soll, signalisiert, dass der Hohe Repräsentant wieder mehr Macht
       erhalten soll. Dies bestätigte auch die im Auswärtigen Amt für Südosteuropa
       zuständige Diplomatin Susanne Schütz in einem Interview mit dem News-Portal
       politicki.ba.
       
       Der neue Hohe Repräsentant soll nach dem Willen Berlins in das politische
       Geschehen im Lande eingreifen und Akzente setzen können. Ein Mittel dafür
       sind die „Bonn Powers“, die es ihm erlauben, Politiker, die dem Geist des
       Vertrages von Dayton zuwider handeln, abzusetzen. Zum Beispiel könnte er
       dann sofort gegen jene vorgehen, die Kriegsverbrechen legitimieren und
       Kriegsverbrecher verherrlichen.
       
       Berlin und Washington wollen Bosnien und Herzegowina als Staat wieder
       funktionsfähig machen. Der neue Hohe Repräsentant wird also anders als
       Inzko, der kaum Rückendeckung hatte, von nun an von der internationalen
       Gemeinschaft massiv unterstützt werden, um wesentliche Reformen
       durchzusetzen. Damit sollen die Fehler der vergangenen 15 Jahre korrigiert
       werden.
       
       ## Probleme selbst lösen
       
       Damals herrschte in Europa die Einschätzung vor, die Bosnier aller
       Volksgruppen sollten ihre Probleme selbst lösen. Mit dieser
       „Ownership-Theorie“ unterschätzte man jedoch, dass die Nationalisten vor
       allem auf seiten der Kroaten und Serben die Gelegenheit nutzten könnten,
       den Gesamtstaat zu schwächen und fast diktatorisch geführte eigene
       Herrschaftsgebiete aufzubauen.
       
       Mehrmals drohte der „Führer“ der Serben, Milorad Dodik, mit der Abspaltung
       der von ihm beherrschten serbischen Teilrepublik vom Gesamtstaat Bosnien
       und Herzegowina. Auch der kroatische Nationalistenführer Dragan Covic
       forderte einen eigenen Teilstaat und verhinderte systematisch diie für eine
       EU-Integration notwendigen Reformen.
       
       Die Anti-Reform-Politik von Covic und Dodik führte nicht nur zur Blockade
       des Gesamtstaates, sondern auch zu Frustration in der Bevölkerung.
       Hunderttausende junge Leute verließen in den vergangenen Jahren das Land,
       weil sie [2][keine Perspektive] für sich und ihre Familien sehen.
       
       Der noch amtierende Hohe Repräsentant Valentin Inzko ist über die neue
       Entwicklung sehr erfreut. „Die Ownership-Politik ist krachend gescheitert“,
       erklärte er gegenüber der taz. In einem Interview mit dem Fernsehsender N1
       beschrieb der ehemalige Hohe Repräsentant Christian Schwarz-Schilling
       (2006-7) am Mittwochabend die Konturen der neuen Politik. Diese soll darin
       bestehen, das von den Nationalisten unterwanderte Rechtssystem gründlich zu
       reformieren, den Gesamtstaat und gleichzeitig die Gemeinden zu stärken
       sowie den Einfluss der kleptokratischen Nationalisten zu beschränken.
       
       ## Gemeinsames Handeln
       
       Befürchtungen vieler bosnischer, aber auch amerikanischer Analysten,
       Deutschland wolle mit seinem Vorstoß eine neue amerikanische Politik
       blockieren und einen Kompromiss mit Russland suchen, widersprachen sowohl
       Inzko als auch Schwarz-Schilling energisch.
       
       Deutschland handele gemeinsam mit Washington und Großbritannien, betonten
       beide übereinstimmend. Aus anderen diplomatischen Quellen verlautet, dass
       Berlin im Vorfeld der Entscheidung für Schmidt auch Moskau, Tokyo und
       Ankara sowie alle anderen Mitglieder des aus 55 Staaten und internationalen
       Organisationen bestehenden Peace Implementation Councils (PIC), konsultiert
       hat. Der PIC muss auf seiner nächsten Sitzung im März die Wahl Schmidts
       bestätigen.
       
       30 Jan 2021
       
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