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       # taz.de -- Bernt Berger zum Putsch in Myanmar: „Militär folgt seiner eigenen Verfassung“
       
       > Den Leiter des Büros der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Yangon
       > überrascht der Militärcoup nicht. Sanktionen gegen das Land hält er für
       > falsch.
       
   IMG Bild: Soldaten bewachen einen Kontrollpunkt auf dem Weg in Naypyidaw, der Hauptstadt Myanmars
       
       taz: Herr Berger, wie ist die heutige Lage in Yangon? 
       
       Bernt Berger: Ziemlich normal. Die Menschen gehen ihrem Leben nach. Allein
       durch den Ausfall von Mobilfunk und zeitweise dem Internet war das Leben
       eingeschränkt. Vor den Banken, die kein Bargeld mehr ausgeben, gab es
       Schlangen. Auch vor großen Supermärkten, aber keine Hamsterkäufe im großen
       Stil. [1][Das Militär hatte sich schon vor dem Coup an strategischen
       Punkten in Yangon mit Panzerwagen aufgestellt], das ist als
       Machtdemonstration zu werten. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Hauptstadt
       Naypyidaw. Dort wurden die Parlamentarier unter Hausarrest gestellt und
       damit die konstituierende Sitzung der Parlamente verhindert.
       
       Aung San Suu Kyi ruft laut einer angeblich vorbereiteten Erklärung zum
       Protest auf, der Sprecher ihrer Partei fordert dagegen zur Ruhe auf. Ein
       Widerspruch? 
       
       [2][Es gibt viele Gerüchte und Fehlinformation.] Es ist davon auszugehen,
       dass es diese Aufrufe nicht gegeben hat. Die Lage bleibt solange friedlich
       und entspannt, solange es keine Unruhen gibt.
       
       Das Militär verspricht, nur für ein Jahr zu regieren. Ist das glaubwürdig? 
       
       Im Prinzip ja. Der Putsch lief, mit Ausnahme der Festnahmen, exakt nach der
       vom Militär geschriebenen Verfassung von 2008 ab, indem die Regierung vom
       Vizepräsidenten übernommen wird, den das Militär stellt, sobald es
       „unkonstitutionelle Trends“ gibt, die das politische System unterwandern.
       Die Verfassung ist nicht rechtsstaatlich, aber das Militär folgt ihrer
       Logik. Es gibt wenig Grund anzunehmen, dass Militärchef Min Aung Hlaing,
       der ab jetzt die Regierungsgeschäfte führt, davon abweichen wird. Auch
       frühere Militärs und sogenannte Cronies haben kein Interesse an einer neuen
       dauerhaften Militärregierung, die ihren wirtschaftlichen Interessen
       schadet. Die Frage ist, wie schnell und im welchen Umfang die Vorwürfe
       wegen Wahlbetrug untersucht werden.
       
       Was ist an den Vorwürfen dran? 
       
       [3][Schon vor der Wahl gab es nicht nur vom Militär, sondern auch von der
       Presse Befürchtungen von Wahlfälschungen.] Die Wahlkommission wird von der
       Nationalen Liga für Demokratie (NLD) von Aung San Suu Kyi und keinesfalls
       unabhängig. Zentral ist die Vermutung gefälschter Wählerlisten. Hinzu
       kommen die Regionen, in denen wegen der bewaffneten Auseinandersetzungen
       mit Armeen der Minderheiten gar nicht gewählt wurde.
       
       Welche Fehler hat die NLD-Regierung im Umgang mit dem Militär gemacht? 
       
       Aung San Suu Kyi hat versucht, die Macht des Militärs graduell
       einzuschränken, was ihr auch gelungen ist. Nachdem Aung San Suu Kyi das
       Militär bei den Anhörungen in Den Haag verteidigt hat, konnte sie Teile der
       nationalistischen Wählerschaft gewinnen. Auch konnte sie Budgetforderungen
       des Militärs zu blockieren. Doch hat sie bei diesem Machtspiel wohl die
       Karten überreizt. Es wäre sinnvoll gewesen, bei verschiedenen Themen auf
       das Militär zuzugehen und es einzubinden. Jetzt geht es der Militärführung
       nur noch um den Status Quo unter der 2008er Verfassung.
       
       Worum geht es dem Militär wirklich? 
       
       Es geht tatsächlich um möglichen Wahlbetrug, um den Status Quo des Militärs
       im Demokratisierungsprozesses und spekulativ über einen personlichen
       Machtkampf zwischen Aung San Su Kyi und Militärchef Min Aung Hlaing.
       
       Das Militär hat laut Verfassung schon sehr viel Macht. Macht ein Putsch da
       noch Sinn? 
       
       Die in der Verfassung dem Militär zugeschriebene Macht war zuletzt stark
       unter Beschuss. Auch hat der Proporz aufgrund des vernichtenden
       Wahlergebnisses der USDP nicht zu einer Mehrheit geführt. Und das Militär
       wirtschaftet aufgrund der bewaffneten Konflikte im Land defizitär.
       
       Erbt jetzt das Militär die ungelösten Probleme der Regierung wie etwa
       Corona und macht es eine Kehrtwendung von seinem eigenen Rückzug von der
       Spitze der Macht vor zehn Jahren? 
       
       Es ist davon auszugehen, dass das Militär den Entwicklungspfad nicht
       unterbricht. Die wirtschaftlichen Interessen aus den eigenen Reihen und den
       alten Machtzentren ist zu groß.
       
       Wie sollte sich das Ausland verhalten? 
       
       Sanktionen können zu diesem Zeitpunkt nur schaden. Das Militär folgt einer
       klaren Handlungslogik. Sanktionen würden der Bevölkerung und der
       Entwicklung des Landes gerade in Zeiten von Corona noch mehr schaden.
       Appelle zu einer schnellen Aufklärung wären hilfreicher.
       
       Ist bei neuen westlichen Sanktionen zu erwarten, dass Myanmar wieder näher
       an China heranrückt? 
       
       Der chinesische Botschafter hat schon vor dem Coup angekündigt, dass eine
       Zusammenarbeit mit der neuen Regierung gewünscht ist. Peking kann nur
       verlieren, wenn es sich in Myanmars innere Angelegenheiten einmischt. Zudem
       war die Zusammenarbeit mit der NLD besser als mit der militärnahen USDP.
       
       1 Feb 2021
       
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