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       # taz.de -- Fotoserie „Leaving and Waving“: Vor dem Haus
       
       > Sie winken und lächeln. Die US-Fotografin Deanna Dikeman hat 27 Jahre
       > ihre Eltern abgelichtet, während sie sich von ihr verabschieden.
       
   IMG Bild: Aus dem Fotoband „Leaving and Waving“
       
       Sich von jemandem zu verabschieden, den man gerne hat, ist traurig. Gleich
       wird man den geliebten Menschen ja vermissen. Eigentlich müsste man also
       weinen beim Abschied, doch fast immer winken wir, drehen uns noch einmal
       um, nachdem wir ein paar Schritte gelaufen sind, und winken, im Gesicht ein
       Lächeln. Weil wir sagen wollen: Es war schön mit dir, ich freue mich aufs
       nächste Mal, lass uns nicht traurig sein. Wir winken und stellen ein
       letztes Mal Nähe her – ganz ohne Worte.
       
       Nah kommen dem Betrachter auch die Eltern der Fotografin Deanna Dikeman. 27
       Jahre hat sie den Moment fotografiert, in dem sie das elterliche Wohnhaus
       in Sioux City im US-Bundesstaat Iowa nach ihrem Besuch verlässt. Den
       Moment, in dem ihre Eltern meist vor ihrer Garage stehen und zum Abschied
       winken. Die Fotos der Arbeit [1][„Leaving and Waving“] waren ursprünglich
       Teil eines größeren Projekts, für das Dikeman ihre Eltern beim Gärtnern,
       Kochen, Grillen fotografierte. Im Alltag also.
       
       „Ich habe nie vorgehabt, eine Serie zu machen. Ich habe die Fotos nur
       gemacht, um mit der Traurigkeit des Abschieds umzugehen“, sagt Dikeman.
       Irgendwann bei der Durchsicht der Bilder sah sie, dass die Abschiedsfotos
       eine besondere Geschichte erzählen. „Eine Geschichte über Familie, das
       Altern und die Trauer beim Verabschieden.“
       
       Die Bilder erzählen aber auch vom Leben der Fotografin. Im Rückspiegel
       erkennt man sie manchmal beim Fotografieren. Ein Ehering scheint zu
       verschwinden, aus einem Baby wird ein junger Mann, der selbst Auto fährt.
       Ein Hund wird größer. Die Jahreszeiten wechseln, die Mode auch. Die
       Gesichter der Eltern werden faltiger, ihre Körper gebückter, ihr Lächeln
       wehmütiger.
       
       Man winkt zur Begrüßung, winkt zum Abschied, winkt als König dem Volk zu,
       als Kanzlerin den WählerInnen. Man winkt von Autobahnbrücken, winkt dem Zug
       hinterher, dem Nachbarn über die Straße hinweg zu. Man überbrückt Distanz,
       die mit Worten nicht zu überbrücken wären.
       
       Gerade jetzt, in dieser Zeit der verordneten Distanz, wird das Winken
       wieder gegenwärtiger. Keine Videokonferenz, an deren Ende nicht Hände vom
       unteren Bildschirmrand her auftauchen und meist einmal nach links, einmal
       nach rechts bewegt werden. Kein Spaziergang, an dessen Ende das Winken die
       Umarmung ersetzt, von einem sehnsuchtsvollen Lächeln begleitet.
       
       Nachdem ihr Vater gestorben ist, winkt 2009 nur noch Dikemans Mutter, acht
       Jahre später zieht die Mutter in ein Heim, ihr Lächeln wird schon ein paar
       Jahre zuvor seltener, ihr Gesicht beim Abschied ernster. Es könnte ja das
       letzte Mal Abschied sein.
       
       Das letzte Foto der Serie zeigt die leere Einfahrt, das Garagentor ist
       geschlossen. Zum ersten Mal winkt niemand, als Deanna Dikeman ins Auto
       steigt und davonfährt.
       
       13 Feb 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://deannadikeman.com/leaving-and-waving
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Paul Wrusch
       
       ## TAGS
       
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