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       # taz.de -- Medienkunstfest Transmediale: Kunst ohne Gebrauchswert
       
       > Das Medienkunstfest Transmediale 2021 in Berlin setzt auf
       > Entschleunigung. Stattfinden kann es aktuell coronabedingt nur im
       > Livestream.
       
   IMG Bild: In „Workation“ von Sofia Caesar fehlt der Laptop auch nicht am Strand, Videostill
       
       Die „Künstliche Dummheit“ ist ein Thema der deutsch-koreanischen
       Künstlerin [1][Anne Duk Hee Jordan]. Und schön dumm sehen die Maschinen in
       der Tat aus, die in ihrer Installation in der Ausstellung des
       Medienkunstfestivals Transmediale vor sich hin funktionieren. Ein nicht
       unbeträchtlicher technischer Aufwand wurde getrieben, damit diese Geräte
       genau gar nichts erreichen: Kleine Ballons blasen sich automatisch auf und
       schrumpeln wieder zusammen, eine andere Apparatur bewegt eine Holzleiste
       ohne erkennbaren Sinn. Betrachten kann man das Ganze auf einer Liege mit
       kontrahierender Luftmatratze.
       
       „Wie Sisyphos“ seien diese Apparate, findet Kuratorin Lorena Juan. Und ein
       bisschen ist sie selbst auch wie die Figur aus der griechischen Mythologie,
       die immer wieder denselben Stein einen Berg hinaufrollen muss. Schließlich
       hat sie in den letzten Monaten viel Arbeit in eine Ausstellung investiert,
       die nun schön installiert im Kunstraum Kreuzberg und im Silent Green im
       Wedding zu sehen ist – und die aller Wahrscheinlichkeit nach kaum ein
       Besucher im physischen Raum zu sehen bekommt.
       
       Richtig, da war doch was mit Ausstellungsbesuchen derzeit: Wegen Corona
       sind Museen und Kunstinstitutionen geschlossen – höchstwahrscheinlich
       länger als die Ausstellung der Transmediale gezeigt werden soll, nämlich
       bis Ende März, Verlängerung ausgeschlossen. Bis auf Weiteres sind darum nur
       „Proxy Visits“ (Ersatzbesuche) per Internet möglich. Täglich werden mehrere
       Onlineführungen angeboten, bei denen man per Livestream durch die beiden
       Ausstellung geführt wird.
       
       ## Jede Tour für einen Gast
       
       Selbst wenn bis zum 28. März täglich fünf Onlineführungen stattfinden,
       können so nur 380 „Besucher“ kommen – denn jede Tour ist nur für einen Gast
       gedacht. Das passt zum Festivalmotto „For Refusal“ und dazu, dass sich die
       Transmediale unter ihrer neuen Leiterin Nora O Murchú die Verweigerung
       wimmeliger Kulturbetriebsamkeit und künstlerischer Gschaftlhuberei und auf
       die Fahnen geschrieben hat und nun auf Nachhaltigkeit und Entschleunigung
       setzt.
       
       Statt einem konzentrierten Event im Februar mit Vorträgen, Performances,
       Filmvorführungen und Workshops im HKW wie bisher soll die Transmediale nun
       über das ganze Jahr verteilt in den neuen Räumen im Silent Green
       stattfinden, in denen zuvor der Kunstraum Savvy Contemporary war.
       
       Den Ausstellungsteil, der sich in der Betonhalle des ehemaligen
       Krematoriums befindet, bekomme ich daher als Livestream zu sehen. Der lässt
       die Monumentalität des Orts freilich ebenso nur erahnen wie die Anmutung
       der Installationen. Anders als bei der Partnerveranstaltung CTM, die in
       diesem Jahr ein komplett virtuelles Festival durchgezogen hat, setzte man
       bei der Transmediale auf die Macht des Orts und die Aura physisch
       erfahrbarer Werke, als man sich im vergangenen Jahr noch Hoffnung machen
       konnte, dass eine Ausstellung im Februar möglich sein würde.
       
       Doch schlechte Tonübertragung und wackelige Livebilder aus dunklen
       Ausstellungsräumen per Smartphone lassen leider keine echte
       Auseinandersetzung mit den gezeigten Werken zu. In der nächsten Woche soll
       es darum eine professionell gedrehte Videoführungen mit den Kuratorinnen
       auf der Website der Ausstellung geben.
       
       ## Lockdown-Existenz vorweggenommen
       
       Ganz anders ist das natürlich, wenn man als Pressevertreter den
       [2][Ausstellungsteil im Kunstraum Kreuzberg] dann doch vor Ort besuchen
       kann. Die Freude darüber, dass man überhaupt mal wieder einen
       Ausstellungsraum von innen sieht, wird noch gesteigert durch eine
       Ausstellungsgestaltung, die den physischen Raum durch geschickte
       gestalterische Eingriffe und kluge Lichtgestaltung veredelt.
       
       Einige der gezeigten Arbeiten scheinen die Lockdown-Existenz künstlerisch
       zu thematisieren, selbst wenn sie vor der Pandemie entstanden sind. Die
       Installation „Workation“ von der Brasilianerin Sofia Caesar ist zwar von
       2019. Aber sie zeigt das „neue Normal“, in dem wir alle langsam Platzangst
       bekommen: egal, wo man ist, man kann immer am Computer kleben und arbeiten
       – selbst am Strand, den man wegen Reisebeschränkungen freilich schon länger
       nicht mehr gesehen hat. Gezeigt werden die tragikomischen Videos auf genau
       den Geräten, mit denen wir ununterbrochen am Netz hängen: Smartphones,
       Laptops und Tabletcomputer.
       
       In der Arbeit „Heavy View“ (2020) der Engländerin Laura Yuile werden
       antiquierte Monitore und andere Medienmaschinen langsam vom Fassadenputz
       von Vorstadthäusern zugewuchert wie gesunkene Schiffe, an denen sich
       Korallen und Muscheln festgesetzt haben. Auf einigen Monitoren sind noch
       Aufnahmen aus verwaisten Großraumbüros zu sehen wie Mementos aus einer
       lange untergegangenen Arbeitswelt. Von Danielle Brathwaite-Shirley kommt
       die einzige Arbeit, die man auch besichtigen kann, ohne die Ausstellung zu
       besuchen: das Textadventure „I Can’t Remember a Time I Didn’t Need You“,
       das die Erfahrungswelt einer schwarzen Transperson erfahrbar machen soll,
       [3][kann man auch im Internet finden.]
       
       ## Mit Sturheit inszeniert
       
       Wer sich über die mangelnde Unterstützung der Kulturszene in Deutschland
       während Corona beklagt, sollte zur Kenntnis nehmen, dass es hierzulande
       möglich ist, eine Ausstellung mit internationalen Künstlern und aufwendiger
       Medientechnik zu organisieren, die dem Publikum wohl dauerhaft verschlossen
       bleibt.
       
       Das ist für sich genommen fast schon wieder ein Stück Kunst, die keinen
       Gebrauchswert und keine Nützlichkeit demonstrieren muss. Die Sturheit, mit
       der hier mit viel Liebe zum Detail eine Kunstpräsentation inszeniert wurde,
       die praktisch niemand physisch zu sehen bekommen wird, passt aber auch zu
       der Verweigerungshaltung gegenüber eingeübten Kunstritualen, die die
       „Refusal“-Transmediale vorschlägt.
       
       Lorena Juan hat die Hoffnung allerdings noch nicht ganz aufgegeben:
       „Vielleicht können wir ja wenigstens in der letzten Woche öffnen. Dann
       machen wir hier einen Rave.“ Man muss sich Sisyphos als einen glücklichen
       Menschen vorstellen, hat Albert Camus geschrieben.
       
       20 Feb 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Ausstellungsempfehlung-fuer-Berlin/!5708390
   DIR [2] /Kunstschau-beim-Berliner-CTM-Festival/!5656460
   DIR [3] https://daniellestwine.neocities.org/ICANTREMEBERWHENIDIDNTNEEDYOUV2.html)
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tilman Baumgärtel
       
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