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       # taz.de -- Berliner Stadtrat zu Coronastrategie: „Kann sein, dass wir Glück haben“
       
       > Lockerungen gerade für Kinder sind richtig, sagt CDU-Stadtrat Detlef
       > Wagner. Er sorgt sich aber, dass das Virus erneut mutiert.
       
   IMG Bild: Vorsicht in der Schule, könnte es auch heißen
       
       taz: Herr Wagner, [1][ein Jahr Corona in Berlin:] Wenn Sie zurückblicken,
       was ist Ihre wichtigste Erkenntnis? 
       
       Detlef Wagner: Wie viel wir Menschen noch lernen müssen, obwohl wir
       geglaubt haben, alles zu beherrschen. Wir haben gedacht, dass unsere
       medizinischen Abläufe und Systeme hundertprozentig sicher sind. Ich komme
       aus der Polizei und habe an vielen Katastrophenübungen teilgenommen: Wir
       haben immer gewonnen. Und nun zeigt uns dieses kleine Virus, dass wir nicht
       nur nicht gewinnen, sondern uns ständig auf neue Situationen einstellen
       müssen.
       
       Und was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen? 
       
       Wie toll die Bevölkerung mitgeht bei Dingen, die sich keiner hätte
       vorstellen können vor einem Jahr. Die Menschen sagen immer noch: Ich trage
       die Maske, ich halte Abstand, ich akzeptiere, dass mein Frisör lange zu
       war, und so weiter.
       
       Sie glauben nicht an die These, dass alle zunehmend mürbe und frustriert
       sind? 
       
       Die Menschen wollen wieder mehr mitgenommen werden. Die Politik hat eine
       Zeitlang den Fehler gemacht, ihr Vorgehen nicht deutlich genug zu erklären.
       Wenn wir wieder mehr in die Öffentlichkeit gehen, werden wir zumindest bei
       einer Mehrheit der Bürger Verständnis ernten.
       
       Zwei Wellen der Infektion sind über uns hinweggegangen: Wo stehen wir jetzt
       gerade? 
       
       Am Beginn der dritten.
       
       Die lässt sich nicht verhindern? 
       
       Es ist ein Wettlauf, und ich wage keine Prognose, wer gewinnt und wann
       genug Menschen geimpft sind. Es geht jetzt auch darum, die Tests
       breitflächig anzuwenden. Und dann müssen wir vielleicht teilweise hinnehmen
       – das sagt zumindest meine Amtsärztin –, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen
       auch krank werden können.
       
       Die zwölf Berliner Amtsärzte haben vor wenigen Tagen in überraschender
       Einigkeit an die Politik appelliert, nicht mehr nur die 7-Tage-Inzidenz als
       Anhaltswert zu nehmen und Lockerungen zuzulassen. Teilen Sie diese
       Einschätzung? 
       
       Ja.
       
       Warum? 
       
       Die Lockerungen sind ja an Bedingungen geknüpft: Wir müssen genauer
       schauen, in welcher Bevölkerungsgruppe welche Inzidenzen auftreten. Erst
       wenn vulnerable Gruppen betroffen werden könnten, müssen wir aufpassen und
       reagieren.
       
       Der Senat wird auch die Viert- bis Sechstklässler zurück in die Schulen
       holen. Eine richtige Entscheidung? 
       
       Auf jeden Fall. Gerade junge Kinder brauchen dringend wieder feste
       Anknüpfungspunkte im Alltag, das sehen wir bei uns im Bezirk etwa im
       Jugendhilfebereich. Die Kinder müssen wieder raus in die Schule, auch zur
       Kontrolle und Sicherheit: Wir haben einen deutlichen Anstieg körperlicher
       Gewalt gegen Kinder.
       
       Wie ist die Situation in den Gesundheitsämtern: Sind genug MitarbeiterInnen
       vorhanden, um die Kontakt-Nachverfolgung der Infizierten zu gewährleisten? 
       
       Bei uns im Bezirk ist sicher gestellt, dass wir relevante Cluster
       nachverfolgen können und zwar bis zu einer Inzidenz von etwa 80 bis 100.
       Wir waren ja nicht untätig in den letzten zwölf Monaten: Wir haben viele
       Quereinsteiger eingesetzt, die entweder mit Kontakte verfolgen oder jene,
       die es tun, entlasten. Insgesamt haben wir das Personal seitdem verdoppelt
       im Gesundheitsamt. Da sind aber auch Bundeswehrsoldaten mit dabei,
       Mitarbeiter aus anderen Verwaltungen, etc.
       
       Die Bezirke müssen in der Coronapandemie die Politik des Senats vor allem
       umsetzen. Werden sie umfassend genug vorab eingebunden? 
       
       Jein. Es passiert immer noch, dass wir Neuigkeiten über die Presse zuerst
       erfahren. Aber immerhin gibt es es jetzt wöchentliche Treffen mit der
       Gesundheitssenatorin oder ihrem Staatssekretär, um mögliche
       Informationsdefizite zu beheben.
       
       Wagen Sie eine Prognose, wo wir Ende Juni stehen? 
       
       Meine Glaskugel ist gerade kaputt… Es hängt ganz viel von der Impfakzeptanz
       ab…
       
       … und wie viel Impfstoff da ist. 
       
       Richtig. Und es hängt ganz stark davon ab, ob sich das Virus vielleicht
       noch mal verändert, was wir jetzt gar nicht absehen können. Derzeit werden
       ja alle Varianten von den aktuellen Impfstoffen abgedeckt. Was die
       Veränderungen angeht – nicht die Mortalität –, verhält sich das Virus aber
       so wie ein Grippevirus. Es kann also sein, dass jetzt erst mal alle geimpft
       werden bis Sommer, aber dann im Herbst eine neue Variante zuschlägt und wir
       die Impfaktion von vorne planen müssen. Kann aber auch sein, dass wir noch
       mal Glück haben.
       
       3 Mar 2021
       
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