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       # taz.de -- Staatsminister über LGBTI-Konzept: „Alle müssen Flagge zeigen“
       
       > Die deutsche Außenpolitik soll sich künftig stärker für sexuelle
       > Minderheiten einsetzen. Staatsminister Michael Roth erklärt die
       > Hintergründe des Kabinettsbeschlusses.
       
   IMG Bild: LGBTI-Protest in Warschau im Sommer 2020
       
       taz: Herr Roth, Gibt es unter den deutschen Botschafter*innen aktuell
       Lesben, Schwule, Bisexuelle, Inter- oder Transsexuelle? 
       
       Michael Roth: Meines Wissens ja. Warum auch nicht?
       
       Gibt es dafür in Zukunft eine Quote? Im LGBTI-Konzept, das das Kabinett am
       Mittwoch beschlossen hat, steht: „Unser Einsatz für Vielfalt spiegelt sich
       in unserer Personalpolitik.“ 
       
       Wir sind erfreulicherweise in den vergangenen Jahren noch viel bunter
       geworden. Viele Kolleginnen und Kollegen machen kein Geheimnis aus ihrer
       sexuellen Identität. Zugleich ist das die individuelle Entscheidung eines
       und einer jeden Einzelnen. Wir sind das einzige Ministerium mit einer
       eigenen LGBTI-Gruppe namens Rainbow mit mehreren hundert Mitgliedern. Ich
       bin natürlich auch dabei.
       
       Was macht die Gruppe? 
       
       Die Kolleginnen und Kollegen wollen zur Sichtbarkeit von LGBTI im
       Auswärtigen Amt beitragen, zum Beispiel mit Veranstaltungen. Es geht auch
       darum, LGBTI in anderen Ministerien und Bundesbehörden zu ermuntern, zu
       ihrer sexuellen Identität zu stehen und sich besser zu vernetzen. Als
       einziges Ministerium sind wir schon seit Jahren beim CSD in Berlin präsent.
       Ohne Rainbow hätte es da niemals einen Wagen gegeben.
       
       Warum braucht es dann ein LGBTI-Konzept im Auswärtigen Amt und in der
       Entwicklungszusammenarbeit? 
       
       Weltweit, aber auch in Europa, gehören LGBTI nach wie vor mit zu den
       verwundbarsten Gruppen, die Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt
       ausgesetzt sind. In mehr als 70 Staaten weltweit werden LGBTI vom Staat
       verfolgt und bestraft. In einigen Staaten steht auf Homosexualität sogar
       noch die Todesstrafe. Wir wollen unser Engagement weniger abhängig machen
       vom persönlichen Einsatz der Kolleginnen und Kollegen – sondern es soll
       Grundsatz der Politik der Bundesregierung in der internationalen Politik
       sein, dass LGBTI-Rechte Menschenrechte sind. Und zwar überall.
       
       Verbände und Opposition haben ein solches Konzept seit Jahren gefordert.
       Warum kommt es erst jetzt? 
       
       Wenn es nach dem Auswärtigen Amt gegangen wäre, hätten wir das längst. Aber
       es ist ein Konzept der gesamten Bundesregierung. Auch das Ministerium für
       Entwicklungszusammenarbeit hat entsprechend mitgearbeitet.
       
       Man hört, es habe blockiert. 
       
       Die Zusammenarbeit, vor allem auf der Arbeitsebene, war gut. Wir haben
       beharrlich diskutiert. Jetzt steht das Konzept. Und ich freue mich.
       
       Am Mittwoch ist das Konzept durchs Kabinett gegangen. Was werden jetzt die
       ersten konkreten Schritte sein? 
       
       Es ist zunächst eine große Anerkennung für unsere Front Runner – für
       diejenigen meiner Kolleginnen und Kollegen, die sich weltweit auch ohne ein
       solches Konzept für LGBTI-Rechte engagiert haben. Jetzt wollen wir uns noch
       stärker verpflichten. Für uns ist wichtig: Das Thema muss essentieller
       Bestandteil der Menschenrechtspolitik sein. Die Zusammenarbeit mit der
       jeweiligen Zivilgesellschaft muss ausgebaut werden. Wir wollen geschützte
       Räume für LGBTI zur Verfügung stellen. Wir werden unsere Projektförderung
       verstetigen. Und wir wollen unsere Kolleginnen und Kollegen vor Ort
       ermutigen, klare Worte gegenüber den Regierungen zu finden, wenn es nötig
       ist. Ich würde gern an die nordischen Staaten oder die Niederlande
       aufschließen, die seit Jahren eine sehr engagierte Arbeit in Sachen LGBTI
       betreiben.
       
       Mit welchen Ländern ist es dagegen schwierig? 
       
       In der EU haben wir in den vergangenen Jahren leider Rückschritte zu
       verzeichnen. In Ungarn werden intersexuelle Menschen in ihrer Würde und
       Freiheit massiv attackiert. Geschlechtsangleichungen sind nicht mehr
       möglich. In Polen gibt es zwar eine sehr lebendige und kritische
       Zivilgesellschaft, aber auch sogenannte LGBTI-freie Zonen. Das sind
       Entwicklungen, die sich mit europäischen Werten nicht vereinbaren lassen.
       
       Was kann die Bundesregierung konkret tun? 
       
       Das Thema ansprechen, Koalitionen mit anderen Staaten knüpfen. Die
       EU-Kommission ermutigen, ihrer Rolle als Hüterin der Verträge und
       Verteidigerin der europäischen Werte gerecht zu werden. In der deutschen
       Ratspräsidentschaft haben wir die neue LGBTI-Strategie der Kommission
       engagiert unterstützt. Das sind Schritte in die richtige Richtung. Aber
       alle in der EU müssen Flagge zeigen.
       
       Reichen die Instrumente der EU dafür aus? 
       
       Die Gründungsmütter und -väter hätten sich vermutlich nicht vorstellen
       können, dass wir mal derartige Probleme mit der Verteidigung unserer
       eigenen Werte haben würden. Wir haben in der Präsidentschaft neue
       Instrumente auf den Weg gebracht, etwa den Rechtsstaatsmechanismus. Das
       kann helfen, um die Staaten zu verpflichten, sexuelle Minderheiten als
       selbstverständlichen Teil der Gesellschaft zu respektieren und
       anzuerkennen. Aber letztlich können wir das durch Gesetze allein kaum
       bewerkstelligen, weil es eben auch kulturelle und religiöse Kontroversen
       sind. Es bringt nichts, wenn sich nur die Politik dieser Fragen annimmt.
       Wir brauchen ein breites Bündnis, das Religion, Bildung, Wirtschaft, Kultur
       und Sport einbezieht. Auch darum wollen wir uns im Rahmen des Konzepts
       bemühen.
       
       Noch gravierender ist die Situation in Ländern wie Saudi-Arabien. Wie gehen
       Sie dort vor? 
       
       Das sind die schwierigsten Fälle. Es gibt nach wie vor Staaten, wo auf
       Homosexualität die Todesstrafe droht. Da muss man im Interesse der
       Betroffenen sehr sensibel vorgehen. Schließlich geht es um ihre Sicherheit.
       Ich erinnere mich an meine einzige Reise in den Iran. Als ich unsere
       Botschaft darum bat, auch Kontakte zu LGBTI-Aktivistinnen und -Aktivisten
       herzustellen, hat man mir gesagt, ich könne die nicht treffen, weil eine
       Begegnung das Leben dieser Menschen gefährden würde.
       
       Diese Länder fallen aus Ihrem Konzept heraus? 
       
       Natürlich nicht. Wir kapitulieren doch nicht vor dem Unrecht. Aber man muss
       maßgeschneiderte Konzepte entwickeln. Dazu gehört auch, das Thema immer
       wieder gegenüber den politisch Verantwortlichen zur Sprache zu bringen. Mal
       hinter den Kulissen, mal öffentlich.
       
       Gleichzeitig exportiert Deutschland Waffen an Länder, die LGBTI verfolgen.
       Wie passt das zusammen? 
       
       Deutschland hat eine der restriktivsten Rüstungsexportrichtlinien und wir
       entscheiden immer auch im Einzelfall, welche innerstaatlichen Entwicklungen
       einen Export gefährden. Selbstverständlich schließen wir dabei vor
       Menschenrechtsverletzungen in bestimmten Staaten nicht die Augen. Deshalb
       haben wir teilweise Rüstungsexporte auf Eis gelegt.
       
       Wie viel Geld wird die Bundesregierung in die Umsetzung des Konzepts
       stecken? 
       
       Wir haben die Projektmittel in den vergangenen Jahren deutlich ausgeweitet.
       Ich hoffe, dass wir in Zukunft noch mehr Projekte fördern können. Ich kann
       mir auch vorstellen, dass wir internationale Koalitionen wie den
       Global-Equality-Fund noch stärker unterstützen.
       
       Organisationen aus der Zivilgesellschaft hatten angeregt, feste
       Finanzierungsquoten [1][für LGBTI-Projekte ins Konzept aufzunehmen]. Warum
       haben Sie das nicht gemacht? 
       
       Wir haben einen engen Austausch mit der Zivilgesellschaft geführt. Die
       Forderung ist so nicht an mich herangetragen worden. Ich weiß auch nicht,
       ob eine feste Quote hilft. Ich kann mir auch Fälle vorstellen, wo wir
       kurzfristig aufstocken sollten, aber es dann wegen starrer Quoten nicht
       könnten.
       
       Die FDP fordert, notfalls Entwicklungsgelder zu streichen, wenn ein Staat
       die Strafen für LGBTI-Personen verschärft. 
       
       Unser Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit beruht maßgeblich
       darauf, dass das Geld nicht in erster Linie den Staaten zur Verfügung
       gestellt wird. Es geht an internationale Organisationen und die
       Zivilgesellschaft, es fließt in nachhaltige Entwicklung und Projekte vor
       Ort. Ob am Ende eine finanzielle Sanktionierung ein sinnvolles Instrument
       sein kann, muss im Einzelfall geprüft werden.
       
       Im Konzept beansprucht die Bundesregierung für sich, international eine
       „Vorreiterrolle“ einzunehmen. Aber auch hierzulande haben LGBTI immer noch
       nicht dieselben Rechte wie heterosexuelle und cis-geschlechtliche Menschen.
       Das [2][fängt schon beim Adoptionsrecht für lesbische Mütter an]. Ist es
       nicht wohlfeil, von oben herab ins Ausland zu schauen? 
       
       Ich gucke nicht von oben herab. Ich erwähne in Gesprächen mit
       LGBTI-Aktivistinnen und -Aktivsten immer, welchen Weg ich persönlich
       gegangen bin. Der war nicht immer leicht. Deutschland hat sich über
       Jahrzehnte sehr schwer getan.
       
       Tut es noch immer. 
       
       Nur weil es in Deutschland noch Baustellen gibt, heißt das noch lange
       nicht, dass wir unseren Einsatz auf der internationalen Ebene nicht
       ausbauen sollen. In all diesen Fragen hilft es auch immer, den
       internationalen Austausch zu pflegen. Da lernen wir auch gern von Anderen.
       Deutschland ist nicht immer an der Spitze der Bewegung.
       
       Zum Schluss eine linguistische Frage: Im Konzept wird das Gendersternchen
       verwendet, im Auswärtigen Amt ansonsten bisher nicht. Ändert sich das
       jetzt? 
       
       Uns war es erst mal wichtig, in einem Inklusionskonzept die Inklusion auch
       bei der Sprache ernst zu nehmen. Hier im Haus haben wir noch keine
       generelle, verpflichtende Haltung. Das hängt sehr stark von den Kolleginnen
       und Kollegen und dem jeweiligen Thema ab. Auch in der Gesellschaft gibt es
       dazu ja noch keine festen Regeln. Wir sollten das mit allen in der
       Bundesregierung besprechen, das wird sicher auch Kontroversen hervorrufen.
       Vielleicht kann das Konzept dafür ein Startschuss sein.
       
       3 Mar 2021
       
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