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       # taz.de -- Peng will Biontech-Impfstoffanleitung: Sie haben es in der Hand
       
       > Das Polit-Kollektiv Peng ruft zum Leak des Rezepts für den
       > Biontech-Impfstoff auf. Es kritisiert die weltweit ungleiche Verteilung
       > der Impfstoffe.
       
   IMG Bild: Bitte bei Wikileaks hochladen
       
       Berlin taz | Auf die Mitarbeiter*innen der Biontech-Impfstoffwerke in
       Mainz und Marburg wartet am Mittwochmorgen ein moralischer Appell: „Deine
       Arbeit kann Leben retten – oder Profite maximieren“, heißt es auf mehreren
       Großplakaten und Haltestellenpostern vor den Werkstoren, verbunden mit der
       Aufforderung: „Leake den Biontech Impfstoff.“
       
       Hinter dem direkten Aufruf steht das [1][Berliner Polit-Kollektiv Peng],
       das die Gerechtigkeitsfrage angesichts der [2][weltweit ungleichen
       Verteilung der Impfstoffe] zum Gegenstand seiner neuen Kampagne gemacht
       hat. Wie üblich bei ihren Aktionen gibt es dazu ein Video und mit
       [3][biontech-leaks.org] eine eigene Website.
       
       „In Anbetracht dieser globalen Krise, in der nicht alle Länder den gleichen
       Zugang zu den Impfstoffen haben, muss das Wissen geteilt werden“, sagt
       Kampagnensprecherin Robin Barnabas im Gespräch mit der taz. Erst dann
       könnten mehr Fabriken, auch im Globalen Süden, in die Produktion einsteigen
       und dafür sorgen, dass Menschen nicht noch Jahre auf eine Impfung warten
       müssen.
       
       Nach Plänen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sollen mittels der
       [4][Covax-Initiative], einem globalen Einkaufsmechanismus, in diesem Jahr
       20 Prozent der Bevölkerung in den ärmsten Ländern geimpft werden. Selbst
       wenn das gelingen sollte, heißt das im Umkehrschluss: Während die
       Bevölkerungen in vielen westlichen Ländern noch in diesem Jahr durchgeimpft
       werden sollen, wird das in großen Teilen Afrikas nicht vor 2023 der Fall
       sein. Sie stehen am „Ende der Impfstoffwarteschlange“, wie Barnabas sagt.
       Von zwei Milliarden Dosen, die Biontech bis einschließlich 2021 produzieren
       will, sind 98 Prozent für zahlungskräftige Länder mit Exklusivverträgen
       vorgesehen, nur 40 Millionen Dosen für Covax.
       
       ## Industrienationen blockieren
       
       Peng will die Veröffentlichung der Herstellungsanleitung für den
       [5][mRNA-Impfstoff]. Die Kampagnenseite verlinkt zur Enthüllungsplattform
       Wikileaks und zum Datenkollektiv Ddosecrets, bei denen geleakte Unterlagen
       hochgeladen werden könnten. Eine Veröffentlichung und der damit
       einhergehende Wissenstransfer würde andere Hersteller zumindest theoretisch
       in die Lage versetzen, das Vakzin selbst herzustellen.
       
       Trotz des komplizierten Verfahrens wären laut Schätzungen von
       Expert*innen weltweit mehr als 1.000 Unternehmen, darunter viele
       indische, fähig, mRNA-Impfstoffe zu produzieren – auch relativ kurzfristig.
       In der Schweiz wird der vergleichbare Impfstoff von Moderna von einem
       Chemieunternehmen hergestellt, das zuvor keine Erfahrung mit der Produktion
       von Impfstoffen hatte. In Marburg vergingen von der Ankündigung Biontechs,
       die Behringwerke vom Pharmakonzern Novartis zu übernehmen, bis zum Start
       der Impfstoffproduktion Ende Januar keine fünf Monate.
       
       Um rechtssicher produzieren zu können, bräuchte es für Staaten und
       Unternehmen aber auch noch das Patent, das Biontech und Pfizer für sich
       beanspruchen. Dabei könnten bei Katastrophen wie der Coronapandemie laut
       dem TRIPS-Abkommen der WTO über geistige Eigentumsrechte Patentrechte auch
       ausgesetzt werden. Diesen Weg [6][haben Südafrika und Indien im Oktober bei
       der WTO beantragt] und über 100 Länder schlossen sich an. Dagegen stehen
       jedoch jene Industrienationen, in denen die Pharmakonzerne ihren Sitz
       haben, von den USA über Kanada und der Schweiz bis zur Europäischen Union.
       In einer Stellungnahme aus dem Bundesjustizministerium hieß es, der Antrag
       sei „nicht zielführend“.
       
       ## Profitinteressen stehen im Vordergrund
       
       Lara Dovifat von der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen sagt im
       Gespräch mit der taz, die Politik schütze das „Interesse der Industrie auf
       Absatzmärkte, Monopolstellungen und hohe Preise“. Es ginge „eher um
       Kapitalinteressen als um das Überleben von Menschen im Rest der Welt.“ Wie
       auch die Aktivist*innen von Peng weist sie zudem die Argumentation
       zurück, dass es ohne Patentrechte keine Innovation gebe.
       
       Einerseits findet die Grundlagenforschung überwiegend an öffentlichen
       Universitäten statt, andererseits gibt es massive öffentliche
       Unterstützung. Allein Biontech profitierte bei seiner Impfstoffentwicklung
       von einer staatlichen Förderung von 375 Millionen Euro sowie weiteren 100
       Millionen von der europäischen Investitionsbank. Beim Impfgipfel Anfang
       Februar hat Biontech einen möglichen Finanzbedarf von bis zu 400 Millionen
       Euro für die Reservierung von Kapazitäten und Rohstoffen dargelegt;
       Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat angekündigt, darüber zu beraten.
       
       Am 1. und 2. März will die WTO zunächst auf ihrer Generalversammlung und
       eineinhalb Wochen später auf dem TRIPS Council erneut über den Antrag zur
       Aussetzung der Patente beraten. Bislang weigerten sich die westlichen
       Staaten auch nur über den Antragstext zu diskutieren, so Dovifat. Ein
       Scheitern des Antrages wäre für sie auch angesichts der Patentpolitik der
       vergangenen Jahrzehnte „nicht überraschend“.
       
       ## Patent braucht Rezept
       
       Aber ohne das technische Know-how, wie die Impfstoffe zu produzieren sind,
       hilft auch die Aussetzung der Patente nicht. „Es muss das Wissen geteilt
       werden, wann welche Chemikalie in welchen Topf hinzugefügt werden muss“,
       sagt Dovifat. So hat der Impfstoffhersteller Moderna zwar zugesichert,
       seine Patentrechte in Pandemie-Zeiten nicht durchzusetzen, aber das
       praktische Wissen zur Herstellung teilt die Herstellerfirma Lonza nicht.
       Auch deshalb hält Dovifat den Aufruf von Peng für ein spannendes Mittel, um
       zivilgesellschaftlichen Druck zu erzeugen.
       
       Dass die Regierungen dafür nicht gänzlich unempfänglich sind, zeigten
       moralische Appelle, etwa von Bundeskanzlerin Angela Merkel oder Frankreichs
       Präsidenten Emmanuel Macron an die Hersteller, ihr Wissen zu teilen. Wenn
       die eigene Impfstoffversorgung ins Stocken gerät, scheint man selbst in der
       Union bereit, über drastische Maßnahmen nachzudenken. So sagte der
       Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei Manfred Weber vor einer
       Woche: „Das Know-how, das Biontech hat, muss auch eventuell unter Zwang
       bereitgestellt werden.“
       
       Sobald die Herstellungsanleitungen bekannt sind, könnten auch Länder des
       Globalen Südens Zwangslizenzen erteilen und damit den bestehenden
       Patentschutz außer Kraft setzen. Bei der Herstellung von HIV-Medikamenten
       hat das etwa Südafrika schon gemacht – und wurde von westlichen
       Pharmafirmen und Regierungen mit Klagen und der Androhung von
       Wirtschaftssanktionen überzogen. Letztlich aber half
       zivilgesellschaftlicher Druck dem Land, mit seiner Praxis durchzukommen.
       
       Auf ein ähnliches Szenario könnte auch die Aktion von Peng abzielen. Auf
       den deutschen Staat jedenfalls hoffen sie nicht; stattdessen appellieren
       sie an die Biontech-Mitarbeiter*innen: „Du hast Zugriff auf die geheimen
       Rezepte. Du kannst das Wissen teilen. Du hast es in der Hand. Leake jetzt
       die Herstellungsanleitung für den Biontech-Impfstoff.“
       
       10 Feb 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Peng/!t5012098
   DIR [2] /Politikwissenschaftlerin-ueber-Patente/!5737846
   DIR [3] https://www.biontech-leaks.org/
   DIR [4] /Ungerechte-Impfstoff-Verteilung/!5741644
   DIR [5] /EU-genehmigt-Biontech-Vakzin/!5735270
   DIR [6] /Weltweite-Verteilung-von-Impfstoff/!5745301
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erik Peter
       
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