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       # taz.de -- Amtsenthebungsverfahren in den USA: Verstörende Szenen aus dem Kapitol
       
       > Mit schockierenden Videos geht die Anklage in den ersten Tag des
       > Prozesses. Die Rekonstruktionen zeigen, wie zielstrebig die Eindringlinge
       > waren
       
   IMG Bild: Demokratin Stacey Plaskett hielt eine von zahlreichen aufrüttelnden Reden
       
       New York taz | Es war alles noch schlimmer. Am ersten Tag des zweiten
       Impeachment-Prozesses gegen Donald Trump zeigt die Anklage am Mittwoch im
       US-Senat bislang unveröffentlichte [1][Aufnahmen der Sicherheitskameras] im
       Kapitol. Darin flieht ein Senator (Chuck Schumer) im Laufschritt vor den
       herannahenden Stürmern, knüppeln und treten Eindringlinge auf einen am
       Boden liegenden Polizisten. Darin verbarrikadieren sich MitarbeiterInnen
       der Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi in einem
       Konferenzraum, während von außen Eindringlinge gegen die Tür treten und
       nach der Sprecherin des Repräsentantenhauses rufen, der sie eine Kugel in
       das Gehirn schießen wollen und eskortieren Sicherheitsleute den
       Ex-Vizepräsidenten Mike Pence in Sicherheit, während ein paar Gänge weiter
       der Ruf ertönt: „Knüpft ihn auf“.
       
       Die 100 US-SenatorInnen, von denen die meisten am 6. Januar nicht ahnten,
       dass die Eindringlinge, die mit Schusswaffen, Tasern und Metall-Knüppeln
       durch das Kapitol rannten, nur wenige Schritte von ihnen entfernt waren,
       sitzen mucksmäuschenstill in ihren Sesseln, als die AnklägerInnen aus dem
       Repräsentantenhaus am Mittwoch immer neue, brutale Details liefern. Die
       TV-Kameras, die das Impeachment-Verfahren live übertragen, sind
       ausschließlich auf das Redner-Pult gerichtet.
       
       Aber ReporterInnen im Saal sehen PolitikerInnen beider Parteien, die beim
       Zuhören den Atem anhalten. Andere, die nervöse Zuckungen im Körper haben.
       Und einen Kapitolspolizisten, der seinen Blick an die Decke heftet, um
       seine Tränen zu stoppen.
       
       Die Demokratin von den Jungferninseln Stacey Plaskett hält am
       Mittwochnachmittag eine von zahlreichen aufrüttelnden Reden. Wie die
       anderen demokratischen AnklägerInnen spickt sie ihre Rede mit Videos. Die
       stummen Aufnahmen aus den Überwachungskameras des Kapitols ergänzt sie mit
       Lageplänen zu den Positionen der Eindringlinge.
       
       ## Eindringlinge hatten hochrangige Personen im Visier
       
       Die Rekonstruktionen des Tathergangs zeigen, wie zielstrebig die
       Eindringlinge waren. Sie hatten beide Kammern des Parlaments im Visier
       sowie die nach Trump höchstrangigen Personen in der politischen Hierarchie.
       Die Videos zeigen auch, dass die Stürmer sich auf einer Mission für
       Präsidenten wähnen. „Wir wollen Donald Trump“, skandieren sie. Einer
       kleinen Gruppe von Polizisten, die sich ihnen entgegen stemmen, drohen sie:
       „Euer Boss schickt uns“.
       
       Die AnklägerInnen wollen die Öffentlichkeit im Land und die
       RepublikanerInnen im Senat davon überzeugen, dass Ex-Präsident Trump
       verantwortlich ist. Um ihn im Amtsenthebungsverfahren zu verurteilen und um
       ihm das Recht auf künftige öffentliche Ämter entziehen zu können, brauchen
       sie die Stimmen von mindestens 17 RepublikanerInnen im Senat. [2][Bislang
       sind sie davon weit entfernt].
       
       Die AnklägerInnen beschreiben den Sturm auf das Kapitol als das Ergebnis
       einer monatelangen Vorgeschichte. Der Ex-Präsident spielte darin die
       zentrale Rolle. Seit dem Frühling des letzten Jahres hat er seine Basis auf
       „gefälschte Wahlen“ und auf „das größte Wahldesaster der Geschichte“
       vorbereitet. Während seine eigene Popularität sank, behauptete Trump, dass
       er die Wahlen nur verlieren könne, wenn es „Manipulationen“ gäbe.
       
       Nach dem 3. November intensivierte er seine Kampagne. Er wartete auf
       Twitter und bei öffentlichen Auftritten mit täglich neuen Geschichten auf.
       Erfand „illegale Stimmen“, redete von „Toten, die gewählt haben“ und von
       „Müllhalden von weggeworfenen Stimmzetteln“. Am Mittwoch sagt der Demokrat
       und Mitglied des Anklageteams, Eric Swalwell, dem Senat: „Alles war recht,
       um die Wut anzustacheln.“
       
       ## Schlachtrufe stammten aus Trumps Repertoire
       
       In den zwei Monaten vor dem Tag, an dem Joe Biden mit mehr als sieben
       Millionen Stimmen Vorsprung gewann, marschierten von Trump aufgewiegelte
       bewaffnete AnhängerInnen nachts vor Privatwohnungen von WahlbeamtInnen auf
       und belagerten Wahlzentren in den entscheidenden Swingstates. Ihre
       Schlachtrufe stammten unmittelbar aus dem Repertoire von Trump. Sie
       skandierten: „Stoppt den Diebstahl“ und „Stoppt die Auszählung“.
       
       Die Ergebnisse der Briefwahl, an der sich fast nur demokratische
       WählerInnen beteiligt hatten, wollten sie nicht anerkennen. Parallel
       fochten die Anwälte des Präsidenten die Wahlergebnisse vor Dutzenden von
       Gerichten an. Trump bedrängte republikanische PolitikerInnen in einzelnen
       Bundesstaaten, die Wahlergebnisse in seinem Sinne zu frisieren.
       
       Kurz vor Jahresende begann Trump damit, seine AnhängerInnen aufzufordern,
       zum 6. Januar nach Washington zu kommen. „Es wird wild“, versprach er. Als
       Mitte Dezember schon einmal Tausende seiner UnterstützerInnen in der
       US-Hauptstadt gegen das Wahlergebnis demonstrierten, dankte er den
       „Patrioten“. Und schwieg dazu, dass einer ihrer Sprecher an dem Tag zur
       „Zerstörung der Republikanischen Partei“ aufrief und dass am Ende der
       Demonstration Mitglieder der radikal rechten Gruppierung Proud Boys
       Straßenschlägereien und Angriffe auf schwarze Kirchen in Washington
       anzettelten.
       
       Trump kennt seine Basis, sagte Anklägerin Plaskett am Mittwoch vor dem
       US-Senat. Der Ex-Präsident habe gewusst und gewollt, dass sie wütend,
       aggressiv und bewaffnet ist. Und es sei auch keine Überraschung für ihn
       gewesen, was sie am 6. Januar in Washington vorhatten. Denn seine
       MitarbeiterInnen hätten die Webseiten und Chat-Rooms der Rechten sorgfältig
       beobachtet.
       
       ## Sie diskutierten vorher online Lagepläne des Kapitols
       
       Dort diskutierten Trump-AnhängerInnen Lagepläne des Kapitols, die eigene
       Bewaffnung und die geplante Gewalt gegen SpitzenpolitikerInnen. Dort
       schreiben sie: „Bringt Handschellen mit.“ Und: „Das Kapitol ist unser
       Ziel.“ Sie empfahlen: „Bereitet euch auf Krieg vor.“ Die Gruppe „Frauen für
       Trump“, die offiziell zu der „Rettet-Amerika-Demonstration“ am 6. Januar
       aufgerufen hatte, sprach von der Ankunft von „Trumps Kavallerie“ in
       Washington.
       
       Was passiert ist, „war kein Zufall“, sagt Anklägerin Plaskett dem Senat:
       „Es war Absicht. Donald Trump hat es monatelang vorbereitet. Ohne ihn hätte
       dieser Angriff nicht stattgefunden.“ Chef-Ankläger Jamie Raskin fasst das
       zusammen: Trump ist der „Chef-Aufwiegler“.
       
       Bei seiner letzten Rede vor dem Angriff auf das Kapitol forderte Trump am
       Mittag des 6. Januar seine AnhängerInnen auf, zum Kapitol zu ziehen, um die
       „schwachen Republikaner“ und seinen Vizepräsidenten dazu zu bringen, „das
       Richtige zu tun“. Er ermunterte sie, „bis zur Hölle“ zu kämpfen und
       versprach, dass er selbst nie aufgeben und nie seine Niederlage eingestehen
       werde.
       
       Selbst nach diesen Worten hätte er die tödliche Gewalt im Kapitol noch
       verhindern können. Ein Wort des Ex-Präsidenten – darin waren sich am 6.
       Januar VertreterInnen beider Parteien einig – hätte den Sturm auf das
       Kapitol gestoppt. Doch Trump ignorierte die Appelle der gewählten
       PolitikerInnen, die ihn aus ihren Verstecken im Kapitol anflehten, ein
       Machtwort zu sprechen. Am Mittwoch sagt der texanische Demokrat und
       Ankläger Joaquin Castro vor dem Senat: „Er wollte nicht, dass sie das
       Kapitol verließen.“
       
       11 Feb 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.youtube.com/watch?v=ZSQ8auQLxjA&feature=youtu.be
   DIR [2] /Impeachment-gegen-Donald-Trump/!5747788
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dorothea Hahn
       
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