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       # taz.de -- Umweltstaatssekretär über Ausstieg: „Das Atomthema ist durch“
       
       > Die Milliarden-Entschädigung für die AKW-Betreiber ist unvermeidlich,
       > meint Jochen Flasbarth. Den Energiecharta-Vertrag will er stark
       > verändern.
       
   IMG Bild: Unter anderem für seine Abschaltung wollte Vattenfall Geld: Das AKW Krümmel im Jahr 2011
       
       taz: Herr Flasbarth, die Bundesregierung hat sich mit den Atom-Betreibern
       auf eine [1][Entschädigung von 2,4 Milliarden] Euro für den Ausstieg
       geeinigt. Das Umweltministerium war ursprünglich nur von [2][etwa 1
       Milliarde ausgegangen]. Warum wird es jetzt so viel teurer? 
       
       Jochen Flasbarth: Diese Schätzung hatten wir gemacht, bevor das
       Bundesverfassungsgericht im November 2020 ein neues Urteil gesprochen
       hatte, wonach die geplante Regelung unzureichend war. Aber im Vergleich zu
       den 7 Milliarden Euro, die allein Vattenfall vor dem [3][Schiedsgericht in
       Washington] gefordert hat, ist die Summe dann doch moderat ausgefallen. Und
       einen Teil des Geldes bekommt die öffentliche Hand zurück, weil die
       Unternehmen die Zahlung versteuern müssen.
       
       Bisher hatte die Bundesregierung die Berechtigung des Schiedsverfahrens
       komplett bestritten. Nun hat man sich auch dort geeinigt. Ein bisschen
       Angst, zahlen zu müssen, hatten Sie also doch? 
       
       Natürlich. Wir haben zwar gute Argumente angeführt, warum Vattenfalls
       Forderungen unbegründet waren, aber sicher sein konnten wir natürlich
       nicht. Ausgangspunkt der Verhandlungen war allerdings nicht dieses
       Verfahren, sondern die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Es hat
       sich dann lediglich ergeben, dass wir dabei auch das Schiedsverfahren für
       erledigt erklären konnten. Es ist deutlich geworden, dass auch die
       Unternehmen diese Streitigkeiten hinter sich lassen wollen. Ihr
       Geschäftsumfeld in Deutschland ist jetzt geprägt von den Erneuerbaren. Da
       wollen sie mit dem Atomthema öffentlich möglichst wenig in Verbindung
       gebracht werden.
       
       Vattenfalls Klage beruhte auf der Energiecharta. Wäre das nicht ein guter
       Anlass, diesem umstrittenen Vertrag zu kündigen, wie es viele Umweltgruppen
       fordern? 
       
       Nein, ich bin dagegen, aus dem Vertrag auszusteigen; schließlich profitiert
       Deutschland auch davon, wenn Rechtssicherheit für Unternehmen herrscht.
       Aber er muss grundlegend reformiert werden. Wir sind jetzt auf dem Weg in
       eine neue Energiewelt, auch international. Darum muss auch der
       Energiecharta-Vertrag Paris-kompatibel werden, er muss sich am Ziel der
       Klimaneutralität orientieren.
       
       Was heißt das konkret? 
       
       Wir möchten, dass fossile Investitionen dadurch nicht mehr geschützt
       werden. Für Erneuerbare brauchen wir dagegen mehr Rechtssicherheit.
       
       Und wenn es dafür keine Mehrheit gibt? 
       
       Das wird nicht von heute auf morgen zu erreichen sein. Aber für uns ist
       klar: Wenn er sich nicht an den Zielen des Pariser Klimaabkommens
       orientiert, hat der Energiecharta-Vertrag keine Zukunft.
       
       Teilweise wird behauptet, die schwarz-gelbe Laufzeitverlängerung von 2010
       sei der Hauptgrund für die hohe Entschädigung. Ist dieser Vorwurf aus Ihrer
       Sicht berechtigt? 
       
       Nein. Union und FDP verantworten nur einen kleinen Teil der Zahlung: Einen
       Ausgleich von 142 Millionen Euro für Investitionen, die die Betreiber
       zwischen der Laufzeitverlängerung und der erneuten Verkürzung 2011 getätigt
       haben. Der allergrößte Teil der Zahlung, die wir jetzt leisten – 2,3
       Milliarden Euro – wird dafür gezahlt, dass die Katastrophe in Fukushima die
       gesellschaftliche Stimmung verändert hat: Es gab einen sehr lauten Ruf,
       dass Deutschland schneller aus der Atomkraft aussteigt, als im Jahr 2000
       von Rot-Grün festgelegt worden war.
       
       Und wer hat ihn erhört? 
       
       Das war ein parteiübergreifender Konsens, an dem neben Union und FDP auch
       meine Partei und die Grünen mitgewirkt haben. Und die Linke, die sich
       enthalten hat, wollte einen noch schnelleren Ausstieg, der noch höhere
       Zahlungen zur Folge gehabt hätte. Alle diese Parteien sind gemeinsam dafür
       verantwortlich, dass diese Ausgleichszahlungen jetzt stattfinden müssen.
       Und für mich gehört es zum guten demokratischen Umgang miteinander, dass
       man das nicht verunklart, sondern genau so sagt.
       
       2016 hat der Staat den Konzernen die [4][Verantwortung für den Atommüll
       abgenommen]. Hätte man damals nicht einen Verzicht auf die Klagen
       durchsetzen können? 
       
       Ich hätte mir das gewünscht. Aber die überparteiliche
       Kernenergie-Finanzierungskommission KfK hatte das damals leider nicht so
       klar gefordert, das war nicht durchsetzbar. Wenn wir damals gewusst hätten
       wie die Unternehmen heute wirtschaftlich dastehen, wären sie aber
       vermutlich nicht so günstig davongekommen.
       
       Ist das Thema Atomkraft in Deutschland damit jetzt endgültig erledigt –
       oder wird es auch hierzulande angesichts der Klimakrise eine neue Debatte
       geben? 
       
       Für den Staat ist das Kapitel noch nicht abgeschlossen, denn der Atommüll
       wird uns noch viele Jahrzehnte beschäftigen. Aber davon abgesehen ist das
       Thema in Deutschland durch. Keine seriöse politische Kraft fordert eine
       Rückkehr zur Atomkraft. Und die Kostenvorteile der Energiewende sind
       gegenüber nuklearen Phantasien inzwischen so groß, dass die Atomkraft schon
       deshalb keine Chance mehr hat.
       
       Das sieht Joe Biden anders. 
       
       Jeder hat ein Recht auf Fehleinschätzungen. Tatsache ist: Während die
       Erneuerbaren weltweit dynamisch wachsen und immer billiger werden, dauern
       Atomplanungen immer länger und werden immer teurer. Ich bin sicher, dass
       wir auf den wettbewerbsfähigsten Weg gesetzt haben und dass Atomkraft schon
       wegen ihres minimalen Anteils am Gesamtenergiemix weltweit keine Chance
       hat.
       
       11 Mar 2021
       
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