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       # taz.de -- Trauer nach Tod im Polizeigewahrsam: Wie starb Qosay K.?
       
       > Qosay K., der am vorigen Wochenende im Delmenhorster Polizeigewahrsam
       > gestorben war, wurde beerdigt. Kritik an der Polizei wird nur anonym
       > laut.
       
   IMG Bild: Eher Trauer als Wut: die Beerdigung von Qosay K. in Oldenburg
       
       Oldenburg taz | Hunderte Menschen stehen am Donnerstagmittag auf dem
       jesidischen Gräberfeld des Parkfriedhofs Bümmerstede in Oldenburg. Einige
       Männer und Frauen spielen Oboe und Tambourin. Ein Sarg, bedeckt mit Blumen
       und einem Tuch, wird in ein offenes Grab gelassen. Mehrere Frauen rufen
       laut und schlagen sich auf die Brust. Vielen Teilnehmer*innen sieht man
       ihre Trauer an. Der 19-jährige Qosay K. wird gerade im Kreise seiner
       Familie und Freund*innen beigesetzt.
       
       [1][Am Freitagabend] war Qosay K. im Wollepark in Delmenhorst gegen 18.30
       Uhr von Zivilpolizist*innen beim „mutmaßlichen
       Betäubungsmittelkonsum“ kontrolliert worden. Er rannte weg und wehrte sich
       laut Darstellung der Polizei gegen eine Festnahme. Pfefferspray kam zum
       Einsatz und mehrere Beamt*innen „fixierten“ Qosay K., heißt es. Eine
       Behandlung durch Sanitäter*innen soll er abgelehnt haben. In der
       Gewahrsamszelle sei der 19-jährige dann kollabiert, lag eine Zeit im Koma
       und verstarb später im evangelischen Krankenhaus Oldenburg.
       
       Auch knapp eine Woche nach den Ereignissen ist einiges unklar. Eine erste
       Obduktion habe „äußere Gewalt“ als Todesursache ausgeschlossen, hieß es von
       der ermittelnden Staatsanwaltschaft Oldenburg. Das schriftliche Ergebnis
       einer zweiten, von der Familie beantragten Untersuchung steht noch aus. Um
       welche Betäubungsmittel es sich gehandelt haben soll, lässt die
       Staatsanwaltschaft auch auf mehrfache Nachfrage weiterhin unbeantwortet.
       Auch eine toxikologische Untersuchung steht noch aus.
       
       Am Mittwochnachmittag wandte sich die Familie von Qosay K. über die Kanäle
       der jesidischen Gemeinde Oldenburg erstmals an die Öffentlichkeit und
       bedankte sich für das ausgedrückte Mitgefühl über den Verlust ihres Sohnes.
       Ein klares Bild der Umstände des Todes hätten sie noch nicht, versuchten
       dies aber auf dem Rechtsweg zu erlangen.
       
       Der Oldenburger Rechtsanwalt Cahit Tolan unterstützt sie dabei. Am Rande
       der Beerdigung sagte Tolan der taz, momentan arbeite er noch daran, alles
       besser nachvollziehen zu können und ein Anwaltsteam zusammenzustellen. Es
       gebe verschiedene Abschnitte, die der Klärung bedürften. Das seien unter
       anderem die Festnahme an sich, der Einsatz des Pfeffersprays – und die
       Frage, warum die Polizei Qosay K. nicht unmittelbar in ein Krankenhaus
       brachte. Es gebe beispielsweise Anhaltspunkte dafür, dass das Gesicht von
       Qosay K. nach der Auseinandersetzung geschwollen gewesen sei.
       
       Ob der Einsatz der Polizei unverhältnismäßig war, sei zu diesem Zeitpunkt
       unklar. „Es sind aber Indizien gegeben, nach denen man das Vorgehen der
       Polizei unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit prüfen muss“, sagt
       Tolan. Mit weiteren Ergebnissen rechnet er erst in mehreren Monaten. Vor
       Abschluss der Ermittlungen bitten die Angehörigen von Qosay K. darum, von
       Demonstrationen abzusehen, nicht vorzuverurteilen und Mutmaßungen zu
       unterlassen.
       
       Denn vor allem auf Instagram und Facebook hatten User*innen schwere
       Vorwürfe gegen die eingesetzten Polizeibeamt*innen sowie die Polizei
       Delmenhorst erhoben. In Posts hieß es, die Polizei habe übermäßige Gewalt
       angewendet und die Rettungssanitäter*innen Qosay K. nicht richtig
       behandelt. Wasser sei ihm verwehrt worden. Einige User*innen schrieben
       auch von eigenen Erfahrungen, die sie im Polizeigewahrsam in Delmenhorst
       gemacht haben wollen. Beamte hätten sie etwa auf der Wache
       zusammengeschlagen. Einer teilt eine Fotomontage eines Polizisten und eines
       SS-Manns. Wenig später wird der Beitrag gelöscht und um Entschuldigung
       gebeten. Auch ein Teil der Anschuldigungen ist wieder von den Accounts
       verschwunden. Zu groß sei die Angst, dass Behörden die Trauerfeier
       verhindern könnten, hieß es zunächst als Erklärung.
       
       Auf Nachfrage wollten sich Jugendliche, die am Donnerstagnachmittag im
       Wollepark in Delmenhorst an einer kleinen Gedenkstätte für Qosay K. saßen,
       nicht öffentlich und mit Namen äußern – auch aus Respekt vor der Familie.
       Sie berichteten jedoch, es komme speziell im Wollepark immer wieder zu
       Polizeieinsätzen. Die Situation habe sich in den letzten Jahren
       verschlimmert. Eine weitere Gruppe, die ebenfalls anonym bleiben möchte,
       sagte der taz, auch sie fühlte sich durch anlasslose Kontrollen
       schikaniert. Zur Anzeige gebracht hätte sie Übergriffe aber nie.
       
       Am Dienstag meldete sich der Polizeipräsident von Oldenburg Johann Kühme
       erstmals zu den Anschuldigungen zu Wort und verurteilte die Vergleiche mit
       „Nazi-Schergen“. Gleichzeitig wiederholte er die Bewertung des Vorfalls als
       „tragischen Unglücksfall“. „Absurd und infam“ sei die Unterstellung, dass
       bei der Delmenhorster Polizei Zelleninsass*innen zusammengeschlagen
       würden. Das sei eine Verunglimpfung seiner Kolleg*innen. „Sie haben mein
       volles Vertrauen.“ Gegenüber dem NDR sagte Kühme, es liefen keine
       Ermittlungen gegen seine Beamt*innen – lediglich ein
       Todesursachenfestellungsverfahren.
       
       Im Viertel um den Wollepark ist die Stimmung weiter merklich angespannt. An
       vielen Häuserfronten steht Qosay K.s Name, an einer Wand auch, dass er
       durch Polizeigewalt gestorben sei. Längst scheint für manche in der Gegend
       klar, wer die Verantwortung für den Tod trägt – jenseits der
       Ermittlungsergebnisse.
       
       12 Mar 2021
       
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