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       # taz.de -- Rechtsextreme Plakatierer in Berlin: „Vortäuschen von Präsenz“
       
       > Die „Identitäre Bewegung“ führte eine Adbusting-Aktion durch. Sie will
       > damit Größe vorgaukeln, sagt Felix Müller von der MBR.
       
   IMG Bild: Demonstrant:innen tolerieren auch braune Flaschen
       
       taz: Herr Müller, kürzlich hat wohl die „Identitäre Bewegung“ (IB) Plakate
       an mehreren S-Bahnhöfen ausgetauscht, die sich gegen Homo- und Transphobie
       richteten. Stattdessen wurden Aufrufe geklebt, eine so bezeichnete
       „Migrantengewalt“ der Polizei zu melden. War es um die Gruppe zuletzt nicht
       sehr ruhig geworden?
       
       Felix Müller: Aus unserer Beratungspraxis heraus können wir bestätigen,
       dass die IB in Berlin kaum noch eine Rolle spielt. Als die Gruppe 2019
       einige Infostände im Ostteil der Stadt betrieb, waren nur etwa 8 Personen
       auszumachen. Vereinzelt wurden Aktivist:innen der IB auf den
       Coronademos gesichtet. Und im September 2020 gab es an der Uni Potsdam eine
       Aktion gegen angebliche „Linksextremisten“ – der Rest entzieht sich unserer
       Kenntnis. Schon in der Vergangenheit reisten Kader aus dem gesamten
       Bundesgebiet an, um auf der Straße überhaupt eine nennenswerte Zahl
       zusammenzubekommen.
       
       Woran liegt der Bedeutungsverlust? 
       
       Wir wissen, dass einige der führenden Aktivist:innen weggezogen sind.
       Dazu macht der Gruppe das „Deplatforming“ zu schaffen: Immer mehr
       Social-Media-Kanäle der IB werden gesperrt. Ohne die gibt es für die Gruppe
       quasi keine Möglichkeit, ihre Aktionen über die eigene Bubble hinaus
       bekannt zu machen.
       
       Wie fügt sich das rechte Adbusting in die Ideologie der IB ein? 
       
       Zunächst ist die Aktionsform wichtig. Es geht darum, mit vermeintlich
       spektakulären Inszenierungen Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, um die
       rechtsextremen Ideen medial wirksam zu verbreiten. Im aktuellen Fall werden
       diverse sexuelle Identitäten abgelehnt, im Kontext einer allgemeinen
       Ablehnung des Liberalismus sowie des demokratischen Freiheitsbegriffs. Es
       wird behauptet, Gewalt gegen homo- und transsexuelle Menschen sei nicht
       relevant, das eigentliche Problem sei eine so genannte Migrantengewalt –
       womit klassisch rassistische Bilder bedient werden. Hier ist wenig Neues zu
       entdecken: Alles läuft auf das völkisch-rassistische Narrativ hinaus,
       nichtweiße Menschen als nicht dazugehörig zu definieren.
       
       Es geht um eine Umdeutung des Diskurses? 
       
       Die IB versucht zu betreiben, was sie „Metapolitik“ nennt, den sogenannten
       Kampf um die Köpfe. Hierfür modernisiert die nicht mehr so neue „Neue
       Rechte“ ihre Aktionsformen – und kopiert die der politischen Gegner. Es
       geht darum, eine Präsenz vorzutäuschen, die so nicht vorhanden ist. Wäre
       die IB in der Lage, 20.000 Menschen auf die Straße zu bringen, würde sie es
       tun – stattdessen werden ein Dutzend Plakate geklebt.
       
       Derzeit tritt die Bewegung unter einem neuen Namen auf, „Gegenkultur
       Berlin“. Was vermuten Sie ist der Grund hierfür? 
       
       Die genauen Hintergründe sind unklar. Der Name erinnert aber stark an den
       Ableger der IB in Halle (Saale), „Kontrakultur“. Hier versuchten die
       Identitären ab 2017, ein „identitäres Zentrum“ aufzubauen, auch der
       AfD-Landtagsabgeordnete Thomas Tillschneider hatte hier sein Büro. Das
       Projekt scheiterte aber 2019 dank des starken antifaschistischen sowie
       zivilgesellschaftlichen Protests.
       
       Sollte die Zivilgesellschaft das nicht einfach ignorieren? 
       
       Als Beratungsinstitution haben wir da keine finale Antwort. Wichtig ist,
       die Frage fortwährend zu stellen, denn wenn Social Media immer weniger eine
       Option ist, bleibt nur die Berichterstattung als Verbreitungsmöglichkeit.
       Auch die Öffentlichkeit hat sich nicht immer informiert gezeigt: Da wurde
       gefragt, wer diese jungen, hippen Leute sind – und ob die wirklich
       rechtsextrem seien. Es ist deshalb wichtig, immer auch über die Strategien
       und die bezweckten Wirkungen zu berichten. Vermieden werden sollte es, neue
       und vermeintlich harmlose Begriffe unhinterfragt zu übernehmen und damit
       die dahinterstehenden alten rechtsextremen Ideen zu transportieren und zu
       reproduzieren. Und wir dürfen den Inszenierungen nicht auf den Leim gehen:
       In dieser Stadt spielt die IB faktisch keine Rolle.
       
       23 Feb 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Timm Kühn
       
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