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       # taz.de -- Die Grünen im Wahlkampf: Aufregen über Habeck
       
       > In einem Interview hat der Grünen-Chef die Parteiposition zu
       > Wikileaks-Gründer Julian Assange nicht sofort parat. Auf Twitter hagelt
       > es dafür Häme.
       
   IMG Bild: Offenbart auch manchmal einige Wissenslücken: Grünen-Chef Robert Habeck
       
       Berlin taz | Man fragt das lieber nochmal bei der Pressestelle nach, sicher
       ist sicher. Fordern die Grünen die Freilassung von Julian Assange? „Wir
       wollen, dass Julian Assange aus der Auslieferungshaft freikommt“, sagt die
       Parteisprecherin am Mittwoch. „So, wie es Robert Habeck gesagt hat.“ Gut zu
       wissen, ganz genau wusste man das zuletzt nicht, und das lag am
       Vorsitzenden selbst.
       
       Ein Videoschnipsel mit Grünen-Chef Habeck sorgte am Mittwoch in den
       Sozialen Netzwerken für Aufregung, auf Twitter trendete der Hashtag #Habeck
       – dort sammelten sich dutzende hämische Kommentare, viele von
       konservativen, liberalen oder ganz rechten Accounts. Was war passiert?
       
       Habeck war Ende Januar der Einladung des Journalisten Tilo Jung gefolgt.
       Der interviewt in seinem Format „jung & naiv“ regelmäßig PolitikerInnen und
       veröffentlicht das Ergebnis auf Youtube. Am Ende des fast zweistündigen
       Gesprächs fragt Jung die Position Habecks zu verschiedenen Themen ab. Etwa:
       „Werdet ihr für eine Vermögensteuer kämpfen?“ oder „Werdet ihr für einen
       deutschlandweiten Mietendeckel kämpfen?“
       
       Dann kommt Jung zur Außenpolitik. Er will wissen, ob die Grünen sich in der
       Regierung so wie für [1][Alexei Nawalny] auch für andere Dissidenten
       einsetzen werden, etwa für Julian Assange. Habeck antwortet: „Ja.“ Jung
       setzt nach. Ob Habeck die Freilassung von Assange fordere? Schließlich,
       fügt er hinzu, setzten sich die Grünen ja auch dafür ein, dass Nawalny
       freigelassen wird.
       
       ## Nicht sehr trittsicher
       
       Habeck antwortet: „Ein faires Verfahren fordern wir.“ Auf nochmalige
       Nachfrage („Warum nicht die Freilassung?“) ergänzt er: „Julian Assange
       muss, dazu gehört, dass er aus der Haft entlassen wird, muss ein Verfahren
       bekommen, das nicht politisch motiviert ist.“ Als Jung ihm vorhält, dass es
       bei Assange um ein politisches Verfahren gehe, dass das Ganze ein Angriff
       auf die Pressefreiheit sei, überlegt Habeck. Mehrere Sekunden vergehen.
       Dann sagt er: „Doch. Ich fordere die Freilassung von Julian Assange.“
       
       Ändert der Grünen-Vorsitzende da innerhalb weniger Sekunden vor laufender
       Kamera seine Meinung? Weil ihn ein Journalist in die Enge treibt? So sehen
       es viele auf Twitter. „Der schnellste Flip-Flop der Welt“, kommentiert etwa
       FDP-Vorstandsmitglied Johannes Vogel. „Entweder Habeck hat keine Ahnung von
       der Sache oder er ändert binnen 40 Sekunden seine Meinung zu Assange“,
       schreibt ein Journalist der Bild-Zeitung.
       
       Habeck wirkt in dem Video ohne Zweifel nicht sehr trittsicher, und er hat
       nicht sofort und präzise die grüne Position parat. Aber dass er die Meinung
       wechselt, stimmt nicht. Habeck sagt schnell, dass Assange aus der Haft
       entlassen werden müsse – und endet mit der offiziellen, allerdings
       verkürzten Grünen-Position.
       
       Erst Anfang Januar sagte Margit Stumpp, die medienpolitische Sprecherin der
       Fraktion: „Wir schließen uns der Forderung des UN-Sonderbeauftragten Nils
       Melzer an, Assange jetzt schnellstmöglich aus der unrechtmäßigen Haft im
       Hochsicherheitsgefängnis zu entlassen.“ Unsouverän wirkt Habecks kurze
       Nachdenkpause dennoch: Bei anderer Gelegenheit wusste er nicht, wie die
       Pendlerpauschale funktioniert – oder was die Bundesanstalt für
       Finanzaufsicht (BaFin) genau macht.
       
       Ob es sinnvoll ist, zwei so unterschiedliche Fälle wie Nawalny und Assange
       in einen Topf zu werfen, ist allerdings eine andere Frage.
       Wikileaks-Gründer Julian Assange sitzt in einem britischen Gefängnis,
       zuletzt hatte ein Londoner Gericht entschieden, [2][dass er nicht in die
       USA ausgeliefert wird]. Die US-Justiz will ihn anklagen, weil er brisante
       Geheimdokumente veröffentlichte.
       
       Alexei Nawalny ist ein russischer Oppositionspolitiker und Blogger. Nach
       einem Giftanschlag wurde er auch in Deutschland behandelt. Im Januar war er
       nach Moskau zurückgeflogen, wurde dort festgenommen und zu einer
       mehrjährigen Haft im Straflager verurteilt.
       
       24 Feb 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Alexei-Nawalny-vor-Gericht/!5753398
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       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrich Schulte
       
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