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       # taz.de -- Künstler Peter Möller aus Melle: Der Übersehene
       
       > Peter Möller ist Lagerarbeiter und Uni-Dozent. Als Künstler erschafft er
       > irritierende Welten – mal als Installation, mal als Zeichnung oder als
       > Text.
       
   IMG Bild: Reagiert gerne auf Orte: Peter Möller 2010 auf Island, eingehüllt in einen Mantel aus Wollgras
       
       Osnabrück taz | Es muss ein eigenartiger Anblick gewesen sein: Peter Möller
       in seinem grauen, grotesk kegelförmigen Mantel aus Wollgras-Ähren, in der
       Einsamkeit der Küste von Skagaströnd, in Nordwestisland. 11 Jahre ist das
       jetzt her. Aber Kunst, auch sehr eigenartige, sehr gewöhnungsbedürftige,
       sind die Fischer hier oben gewohnt. Dutzende Künstler aus aller Welt folgen
       jedes Jahr dem Ruf der Nes Artist Residency in das 500-Einwohner-Örtchen an
       der Húnaflói-Bucht, in die sich auch schon mal Eisbären verirren, aus
       Grönland.
       
       Peter Möller hat den Mantel noch. Aber als Ausstellungsstück hat er
       ausgedient, denn wie das mit Binsen so ist: Mit der Zeit werden sie
       brüchig, beginnen zu stauben. „Irgendwann bringe ich ihn dorthin zurück, wo
       er entstanden ist“, sagt Möller, und man merkt: Der Gedanke gefällt ihm.
       
       Seine Kunst ist oft eine Reaktion auf den Ort, an dem sie entsteht, für den
       sie entsteht; das war auch bei seinen Binsen so, aus den nordischen
       Sümpfen. „Da war diese Kälte, dieser extreme Wind!“, sagt er. „Da war diese
       Stärke und Leere der Landschaft! Es war mir, als müsse ich mich bedecken
       dagegen.“
       
       Peter Möller, der eine Wohnung in Berlin hat, und eine im niedersächsischen
       Melle, wo er herkommt, macht es nichts aus, wenn seine Kunst eigenartig
       wirkt, gewöhnungsbedürftig. „Mancher findet sie provokant, irritierend“,
       sagt er. „Aber das stört mich nicht. Ich mag nichts Gefälliges, das ist
       einfach nicht mein Wesen. Mich macht zu große Zustimmung immer skeptisch.
       Fänden alle schön und gut, was ich mache, würde mich das anöden!“
       
       ## Sonnenblumen im Wohnzimmer
       
       Möller macht, was er macht, weil er es machen will, machen muss. Er macht
       es nicht für einen Markt, für Bekanntheit, für wirtschaftlichen Erfolg.
       „Ich verstehe, dass es Leute gibt, die damit nichts anfangen können“, sagt
       er. „Aber die hängen sich dann eben Van Goghs Sonnenblumen ins Wohnzimmer.“
       
       Möller liebt die Verstörung. 1.000 Begriffe bedecken, ohne einen Sinn zu
       ergeben, eine Wand. Als Wortskulptur? Hoch über einem
       Miniatur-Zuckerrübenfeld ist ein räderloser roter Mazda aufgebockt, in dem
       ein Radio Popcharts und Nachrichten spielt? Komplex ist das, mehrgründig.
       Einmal hätte Möller beinahe einen riesigen Goldwürfel gebaut, aus Rigips,
       Styropor und Verbandskasten-Rettungsdecken, in ihm eine schmelzende
       Eissäule, und drum herum, auf einer Eiszeit-Moräne, hätten vier Schafe und
       ein Kamel gegrast, als Vertreter des Winters und des Sommers. Hintersinn,
       der nach Entschlüsselung verlangt.
       
       Bei seiner vierstufigen Gartenpyramide „Mount Veggi“, 2015, auf dem
       Ledenhof in der Innenstadt von Osnabrück, war das schon einfacher. Als
       symbolhafte Wiederbelebung einer runtergekommenen, ursprünglich kunstvoll
       begrünten Wasserspielwelt, einer „Leerstelle in der Mitte der Stadt“, war
       die temporäre Konstruktion aus Hunderten von Paletten, Rollrasen und
       Pflanz-Strohballen ein „Plädoyer für mehr Grün im öffentlichen Raum“. Oben
       drauf, bissig anarchisch, eine Regenwurmflagge.
       
       Über 1.000 Setzlinge hat Möller damals für sein Urban Gardening
       herangezogen. Korn- und Ringelblume wuchs hier, Grün- und Weißkohl, Kamille
       und Kapuzinerkresse, Wicke und Pimpinelle, Fenchel und Aubergine. Jeden Tag
       kam Möller aus Melle zum Gießen. Und ganz oben, auf einem kleinen, freien
       Plateau, fanden Künstlerkollegen einen Ort zum Ausstellen, Passanten einen
       Ort für ein Selfie.
       
       ## Künstlerisches Gärtnern
       
       „Ich wollte Hemmschwellen senken“, sagt Möller. „Es gibt ja Leute, die
       scheuen sich davor, in die Kunsthalle zu gehen.“ Möller weiß gut, wovon er
       spricht. Er lebt kein bohemehaftes, akademisch-elitäres Künstlerleben. Er
       arbeitet als Lagerarbeiter in der Industrie. „Hat sich so ergeben“, sagt
       er. Er sagt es schlicht, ohne Bedauern.
       
       2021 wird ein weiterer „Mount Veggi“ in Melle zu sehen sein, vielleicht
       auch erst 2022. Auch dort wird er ein Begegnungsraum sein, ein Freiraum,
       eine Intervention, eine Besetzung, ein Fingerzeig. Der Melleraner Berg ist
       nicht der erste Nachfolger des Bergs von Osnabrück. Möllers „Mount Veggi“
       stellt ja, ganz wortwörtlich, eine Öko-Forderung: „Zieht Gemüse hoch!“ Je
       mehr Standorte, desto besser.
       
       Sogar eine Art Programmschrift gibt es dazu, ein skurriles „Kompendium
       künstlerischen Gärtnerns“. 2019 kam es im winzigen, hoch ambitionierten
       Berliner Bübül-Verlag heraus. Tanja Langer, dessen Leiterin, selbst
       Künstlerin: „Ein wirklich tolles Projekt! Da kann noch viel kommen!“
       
       Ursprünglich hat Möller mal Grafikdesign studiert, und dazu figürliche
       Plastik, in Bielefeld: „Ziemlich anachronistisch eigentlich, das macht ja
       kaum noch jemand.“ In Berlin hat er Kommunikationsdesign dran gehängt. Und
       dass er heute im Lager steht, in einem Metallbetrieb, verwundert schon ein
       bisschen. Denn wer seine Projekte zählt, im In- und Ausland, seine
       Arbeitsaufenthalte, von Maastricht bis München, seine Lehrveranstaltungen
       und Vorträge, von Paris bis Düsseldorf, die Preise und Förderungen, die er
       bekommen hat, braucht viel Zeit.
       
       Schüler hat er unterrichtet, eine Professurvertretung steht in seinem
       Lebenslauf. Aber Möller ist niemand, der sich vordrängt, der viel Wirbel um
       sich macht. Er ist einfach nur er selbst, erschafft sich seine eigene Welt,
       unabhängig von dem, was Trend ist. Und deshalb, so scheint es, hat ihn die
       Kunstwelt ein bisschen übersehen.
       
       Als neugierig beschreibt er sich, als emotional und lebenshungrig. Auch als
       unangepasst. Und er sagt: „Ich mag Menschen. Mir ist mein Gegenüber nicht
       egal.“ Wer mit ihm spricht, merkt sofort, dass das stimmt. Offenheit teilt
       sich mit, Nachdenklichkeit, Natürlichkeit.
       
       Möllers Bandbreite ist groß. Da sind seine oft partizipativen
       Temporärinstallationen. Da sind seine „zeichnerischen Recherchen“,
       angefangen mit seiner „Möllerei“, einer Kartografie der Orte seiner
       Kindheit. Multiperspektivische, wie verschlüsselt wirkende Lagepläne
       entstehen dabei, nach Wochen der Erkundung, und es sind nicht nur
       architektonische Grund-, Auf- und Seitenrisse, sondern gleichsam Echos aus
       der Vergangenheit.
       
       Auch die Menschen dieser Orte sind einbezogen, auch das Vergehen der Zeit,
       denn Orte verändern sich ja, während man sie betrachtet. „Das ist wie
       Stimmen, die einander durchdringen“, sagt Möller. „Organisch fühlt sich das
       an, sehr bereichernd. Das ist für mich jedes Mal wie ein kleiner
       Lebensabschnitt, wie ein Geschenk.“
       
       Inkonsequenz hat man ihm vorgeworfen, wegen dieses Nebeneinanders von
       Techniken und Genres. Möller sieht das anders: „Das bin einfach ich. Ich
       versuche, mir meine Mittel zu erweitern.“ Wichtig ist ihm vor allem: „Ich
       möchte am Zeitgeist sein. Und das bin ich irgendwie auch.“
       
       ## Ins nächste Kunst-Treppenhaus
       
       Derzeit sitzt Möller an einem Text. An einer Geschichte über einen fiktiven
       Ort. Vielleicht wird es später Zeichnungen zu ihm geben. Viel verraten
       möchte er darüber noch nicht. Es geht um eine halb verfallene
       Gründerzeitvilla. Um ein düsteres, hässliches, „phobisches“ Treppenhaus
       entlang der Wände, das in der Mitte ein tiefes Auge lässt. Um die Bewohner,
       zu denen eine Ratte zählt. Wieder ein neues Genre.
       
       Möller kommt vom Lande. Daher vielleicht auch seine Erdung, seine
       Bescheidenheit. Aber vom Lande kommen, und zugleich in der Großstadt leben,
       das heißt auch: Viele Welten kennen, das Urbane ebenso wie die Natur. Und
       das hilft, auch künstlerisch. Nicht nur, wenn man im Binsenmantel in Island
       am Meer steht.
       
       7 Mar 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Harff-Peter Schönherr
       
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