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       # taz.de -- Energetische Kriterien beim Bauen: Greenwashing statt Nachhaltigkeit
       
       > Mehr als ein Viertel aller Energie verbrauchen Gebäude. Wenn die
       > Klimaschutzziele erreicht werden sollen, muss sich beim Bauen vieles
       > ändern.
       
   IMG Bild: Dem Klima hilft auch kein Blattgold: Boran Burchhardts 2017er-Kunstprojekt „Veddel vergolden“
       
       Auf dem G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm haben die Staats- und
       Regierungschefs von acht der größten Industrienationen verabredet, dass ab
       2030 alle Gebäude im Passivhausstandard gebaut werden sollen. Doch die
       damit einhergehenden Regeln werden in ähnlicher Weise unterlaufen, wie das
       die Automobilindustrie bei den Abgasgrenzwerten getan hat. Das geschieht
       auf vielfältigste Weise.
       
       Noch im Jahr des Gipfels entwickelte die Hamburger Hafencity ein eigenes
       Zertifizierungssystem, angelehnt an den Standard der Deutschen
       Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB). Das Besondere an diesen
       Systemen ist die Vervielfachung der Bewertungskriterien, sodass die
       energetischen Kriterien nur noch unter „ferner liefen“ eine Rolle spielen.
       So wird etwa die Qualität der Gebäudehülle unter den 36 Kriterien des
       DGNB-Labels nur mit drei Prozent gewichtet, wenn es darum geht, ein Gebäude
       mit „Gold“ oder gar „Platin“ zu zertifizieren. Ein solches Label ist gut
       für die Presseerklärungen der Investoren, aber miserabel für den
       Klimaschutz.
       
       Die Wohnungsbaulobby hat sich auch beim neuen Gebäudeenergiegesetz (GEG)
       durchgesetzt. Damit wird der energetische Standard von 2016 bis 2023
       eingefroren und erst dann überprüft. Das zentrale Argument dabei lautete,
       dass das Bauen nicht zu teuer werden dürfe. Gleichwohl wird munter mit
       teuren Klinkerfassaden, Kellern und Garagen geplant. Die Hamburger
       Versuche, wenigstens die Ölheizungen zu verbieten, wurden durch das GEG
       ausgehebelt – bis 2026 können nun noch neue Ölheizungen eingebaut werden.
       
       Klinkerfassaden wiederum werden von der Hamburger Stadtplanung vielerorts
       explizit gefordert. War es bisher üblich, zumindest auf den Rückseiten in
       den Innenhöfen helle Putzfassaden zuzulassen, so ändert sich das nun mit
       dem neuen Oberbaudirektor Franz-Josef Höing: Er möchte auch in den privaten
       Innenhöfen Klinker sehen oder zumindest ähnlich anspruchsvolle Fassaden.
       Doch welches öffentliche Interesse besteht an solch einer Verdunkelung der
       Innenhöfe? Und ist Hamburg wirklich eine „Klinkerstadt“, wie behauptet
       wird?
       
       Gern argumentieren Stadtplaner damit, dass Putzfassaden mit darunter
       liegender Wärmedämmung unökologisch seien. Aber hinter dem Klinker verbirgt
       sich der gleiche Dämmstoff. Das ist heute unvermeidlich. Der Unterschied
       ist nur, dass Vollklinkerfassaden höchstens 20 Zentimeter Dämmung zulassen,
       sonst müssen sie aufwendig gesichert werden. Damit wird eine Passivbauweise
       verhindert oder zumindest erschwert.
       
       Bei Architekturwettbewerben formulieren die Stadtplaner alle Anforderungen
       an die Gestaltung der Gebäude bis ins Detail in die Ausschreibung hinein.
       Nur bei der energetischen Bewertung werden die Vorgaben dann äußerst mager.
       
       Ein zentraler Bestandteil der Hamburger Klimaschutzplans ist die
       Wärmewende. Der Fernwärme wird ein hoher ökologischer Wirkungsgrad
       unterstellt, schließlich werden ja Strom und Wärme gleichzeitig erzeugt und
       so der Brennstoff besser ausgenutzt. Der Wirkungsgrad wird durch den
       Primärenergiefaktor (PEF) dargestellt, der den gesamten Energieaufwand und
       -verlust auf dem Weg vom Rohstoff zum Energiekunden einbezieht. Je kleiner
       dieser Faktor ist, umso weniger muss ein Gebäude isoliert werden, denn es
       wird ja schon mit umweltfreundlicher Energie versorgt.
       
       Den Preis dafür zahlen die Mieter: Sie verbrauchen mehr Energie als
       bautechnisch nötig wäre. Zudem ist die Fernwärme eine der teuersten
       Energiearten. Sie kostet rund 30 Prozent mehr als Gas oder Pellets.
       
       Nicht bewertet wird dabei die CO2-Bilanz der Fernwärme. Denn ein guter
       Primärenergie-Faktor kann durchaus mit einer geringen CO2-Einsparung
       einhergehen. Der Hamburger Senat und die Gutachter zum GEG hatten angeregt,
       mehr auf die CO2-Bilanz zu schauen, aber die Bundesregierung hat sich
       dagegen entschieden, aufgrund der Lobbyarbeit diesmal nicht nur der
       organisierten Wohnungswirtschaft, sondern auch der Stadtwerke und
       Wärmeversorger.
       
       Es ist sehr bedauerlich, dass auch eine städtische Gesellschaft wie die
       Saga sich an diesem Spiel beteiligt, um höhere Wärmedämmstandards zu
       verhindern.
       
       Was der Primärenergiefaktor bei Energieträgern ist, ist die graue Energie
       bei Gebäuden. Es ist die Energie, die für die Herstellung eines Gebäudes
       insgesamt gebraucht wird – von der Rohstoffgewinnung über den Betrieb bis
       zur Entsorgung. Es gehört zu den gepflegten modernen Legenden, dass
       bestehende Häuser CO2 sparen, da sie nun mal gebaut sind. Richtig ist: Im
       Bestand sind die Gebäude vor 1980 immer noch die größten Energieschleudern,
       durch die hohen Heizkosten.
       
       Trotzdem stellte Oberbaudirektor Höing im NDR die Frage: „Reißen wir diese
       Bestände ab oder gibt es eine Möglichkeit, sie zu ertüchtigen?“ Der
       Energieverbrauch beim Bau neuer Häuser sei hoch; ein Drittel aller
       Rohstoffe werde für neue Gebäude verbraucht. Künftig möchte er bestehende
       Gebäude klimaschonend weiter nutzen, statt sie zu ersetzen.
       
       Was im Denkmalschutz verständlich ist, wird falsch insbesondere bei den
       schlecht gebauten Häusern des Wiederaufbaus. Hier hat eine Modernisierung
       hohe Kosten und eine schlechte Lebenszeit-Energiebilanz zur Folge.
       Sinnvoller ist es, über „Urban Mining“ beim Abriss die Baustoffe
       wiederzuverwenden, und damit enkeltaugliche Gebäude neu zu bauen.
       
       ## Unbeliebte Lüftungssysteme
       
       Dazu gehört auch eine kontrollierte Lüftung, gegen die die Wohnungs- und
       Gebäudewirtschaft immer noch starke Vorbehalte hat. Neben einer mangelnden
       Dämmung der Gebäudehülle ist die unkontrollierte Lüftung eine wesentliche
       Ursache für hohe Wärmeverluste. Im Passivhaus wird darum auf Systeme mit
       Wärmerückgewinnung gesetzt, die frische Luft gefiltert zur Verfügung stellt
       – ein großer Vorteil in Innenstadtlagen und für Allergiker. In Zeiten der
       Pandemie sind Be- und Entlüftungssysteme im Winter existenziell.
       
       Hier rächen sich auch die Versäumnisse im Schul- und Hochschulbau, wo
       bisher weitgehend auf mechanische Lüftungssysteme verzichtet wurde.
       Bezeichnend für die Versäumnisse ist der Neubau für die
       Hafencity-Universität (HCU), in der ja immerhin Architekten und Stadtplaner
       ausgebildet werden. Im Architektur-Wettbewerb wurde für den Neubau der sehr
       effiziente Energiestandard KFW 40 angestrebt.
       
       ## Umweltzeichen in Gold
       
       Welcher Standard tatsächlich erreicht worden ist und wie die
       Verbrauchszahlen sind, ist in der Öffentlichkeit unbekannt, so wie die
       Energieverbrauchswerte aller öffentlichen Gebäude in Hamburg. Dafür ist das
       Gebäude mit dem Hafencity-Standard Gold zertifiziert worden.
       
       Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank von den Grünen war begeistert:
       „Der schöne Anlass der Eröffnung wird durch die Verleihung
       des,Umweltzeichens HafenCity' in Gold durch die Hafen City GmbH
       abgerundet“, lobte sie in einer Pressemitteilung. „Es ist vorbildlich, dass
       auch der Bau der HCU so modern gestaltet wurde, dass er den heutigen
       Umweltstandards nicht nur entspricht, sondern diese sogar übertrifft.“
       
       Die Lehrenden sehen das differenzierter: Im Sommer überhitzen die Räume, im
       Winter brauchen die Arbeitsplätze Zusatzheizungen. „Dass es ein für mein
       Verständnis mittelmäßiges Objekt geworden ist, liegt einzig und allein am
       Bauherren, der Freien und Hansestadt Hamburg. Hier wurde nach der
       Elbphilharmonie-Beinahe-Pleite gespart, wo es nur ging“, sagt ein Dozent,
       der nicht genannt werden möchte. „Daran ist dann am Ende nicht nur die
       Lüftungsanlage für die Seminarräume und Büros gescheitert, sondern auch
       eine fassadenintegrierte Photovoltaik und vieles andere, was energetisch
       geplant war.“
       
       7 Apr 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Joachim Reinig
       
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