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       # taz.de -- Urteil im Prozess gegen KSK-Soldaten: Alles völlig normal
       
       > Ein KSK-Soldat wurde verurteilt, weil er Bundeswehr-Munition in seinem
       > Garten vergraben hat. Nur: Was hatte er damit vor?
       
   IMG Bild: KSK-Soldat Philipp S. (Mitte) vor der Urteilsverkündung im Landgericht in Leipzig
       
       LEIPZIG/CALW taz | Am vorletzten Prozesstag bringt der Verteidiger von
       Philipp Sch. ein Dokument in den [1][Prozess] ein. Es ist eine dienstliche
       Beurteilung aus dem Jahr 2018. Da sie voller militärischer Abkürzungen ist,
       wird der Soldat im Zeugenstand gebeten, sie vorzutragen. Es ist Philipp
       Sch.s letzter Vorgesetzter, der Chef der inzwischen aufgelösten 2. Kompanie
       des Kommandos Spezialkräfte. Er hat die Beurteilung verfasst.
       
       Oberstleutnant W. attestiert Philipp Sch. ein „hohes taktisches
       Verständnis“ und stets beeindruckende Ergebnisse, das gelte insbesondere
       für die Ausbildungsvorhaben, die er verantworte. Er habe eine soziale Ader,
       sei „unverzichtbare Stütze der Kompanie“. Und: „Sein Potenzial auf hohem
       Niveau ist nicht ausgeschöpft.“
       
       Doch was in dieser sehr guten Beurteilung steht, die auch KSK-Kommandeur
       Markus Kreitmayr bestätigte, zeigt nur eine Seite des Oberstabsfeldwebels
       Philipp Sch. Zum Zeitpunkt der Beurteilung war er längst wegen
       Rechtsextremismusverdachts im Blick des Bundeswehrgeheimdienstes MAD. Und
       nun steht der 45-Jährige vor dem Landgericht Leipzig, weil im Mai 2020 rund
       7.000 Schuss Munition, Sprengstoff, Zünder und Waffen gefunden wurden,
       vergraben im Garten. Im Haus fand man ein SS-Liederbuch,
       Neonazi-Zeitschriften und Postkarten mit Hakenkreuz.
       
       Vordergründig geht es im Schwurgerichtssaal des Leipziger Landgerichts um
       Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz. Aber der Fall hat auch eine
       enorme politische Dimension. Er war der Anlass für Verteidigungsministerin
       Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), mit dem „eisernen Besen“ beim KSK
       durchzufegen, wie sie es nannte.
       
       ## Illegale Munitionsamnestie
       
       Es hätte leicht passieren können, dass es nie zum Prozess gekommen wäre.
       Denn im Frühjahr 2020, kurz nachdem der MAD Hinweise auf Philipp Sch.s
       Waffenversteck bekam und diese an das LKA Sachsen weitergab, erlaubte der
       KSK-Kommandeur in Calw, Baden-Württemberg, seinen Leuten, Munition
       sanktionsfrei zurückzugeben. Diese als „Aktion Fundmunition“ bezeichnete,
       wohl illegale Munitionsamnestie, die im Prozess beiläufig zur Sprache kam
       und [2][die die taz öffentlich machte], ist ein Politikum geworden. Sie
       stellt die [3][gesamten Reformbemühungen] beim KSK infrage.
       
       Philipp Sch. jedoch brachte seine Munition nicht zurück nach Calw, sondern
       beließ sie bei sich zu Hause, in Collm in Sachsen, 500 Kilometer entfernt –
       weil ihm das Vertrauen in die Führung fehlte, wie er aussagte.
       
       Am Freitag wurde er nach sechs Prozesstagen zu zwei Jahren Haft auf
       Bewährung verurteilt. Sobald die Strafe rechtskräftig ist, muss er die
       Bundeswehr verlassen. Die Staatsanwaltschaft hatte zwei Jahre und sechs
       Monate Haft ohne Bewährung gefordert, die Verteidigung eine zehnmonatige
       Bewährungsstrafe. Philipp Sch. verfolgt das Urteil äußerlich regungslos.
       Als die Sitzung geschlossen ist, kommen seine Verlobte und seine Mutter auf
       ihn zu und umarmen ihn.
       
       Aufgeklärt ist der Fall mit dem Urteil nicht. Es bleibt offen, was Philipp
       Sch. mit der Munition tatsächlich vorhatte. Und welche Rolle dabei seine
       rechtsextremistische Einstellung spielte, die im Prozess vor allem von der
       Verteidigung heruntergespielt wurde. Auch der Richter sprach in der
       Urteilsbegründung lediglich davon, dass es „genügend Anhaltspunkte für eine
       rechtsnationale Einstellung“ gebe. Man werde bei der Bundeswehr aber auch
       kaum Linke und Grüne finden, „ich will gar nicht von Autonomen sprechen“.
       
       ## Abzwacken war nicht schwer
       
       Im Prozess haben mehrere KSK-Soldaten ausgesagt, sie gewährten ungewohnte
       Einblicke in eine militärische Spezialeinheit, über die es bis vor nicht
       allzu langer Zeit mehr Mythen als Fakten gab. Manchmal schauen sie dabei
       nach links zur KSK-Presseoffizierin im Saal, ob sie gerade doch nicht zu
       viel ausplaudern.
       
       Es gab immer viel Munition in Calw, das KSK verschießt etwa zehnmal so
       viele Patronen wie andere Einheiten. Zwar betonen alle der Befragten
       irgendwie, dass natürlich die Regeln eingehalten werden, aber am Ende ist
       klar: Es war nicht so schwer, Patronen oder Sprengstoff abzuzwacken. Weil
       das Vieraugenprinzip bei der Munitionsausgabe nicht immer eingehalten wird
       und weil es nicht unbedingt auffällt, wenn an einem Übungstag von 50
       Kilogramm Sprengstoff 2 Kilo eingesteckt werden.
       
       Wann und wie genau die Patronen und der Sprengstoff von Calw in Philipp
       Sch.s Besitz kamen, konnte das Gericht nicht klären. Seine Erklärung dazu
       sei „in allen Punkten seltsam“, sagte der Richter in der Urteilsbegündung.
       
       Philipp Sch. hatte behauptet, es habe Engpässe gegeben und das Material sei
       für Ausbildungszwecke bestimmt gewesen. Er habe Restbestände erst im
       Kasernenkeller gelagert, dann Mitte 2017 im Garten vergraben. Er habe Angst
       vor Ermittlungen gehabt, die sich nach der Abschiedsfeier für Pascal D.,
       den Chef der 2. Kompanie im April 2017, ankündigten. Eine Party, auf der
       Schweineköpfe geworfen, Rechtsrock gehört und Hitlergrüße gezeigt wurden.
       
       ## Was ist schon normal?
       
       Die Kameraden vom KSK wurden auch zur politischen Einstellung von Philipp
       Sch. befragt. Ob da irgendetwas bekannt sei, will der Vorsitzende Richter
       wissen. Eine rechte, eine nationalsozialistische Einstellung?
       
       Politische Aspekte hätten bei ihren Gesprächen keine Rolle gespielt, sagt
       ein Stabsfeldwebel, der mit Philipp Sch. bei Großübungen zu tun hatte.
       Philipp Sch. sei konservativ, so die Aussage eines Soldaten, mit dem er
       zusammen in Afghanistan war, also „so wie die CDU vor 10 bis 15 Jahren“.
       Auch ein Soldat, mit dem Sch. eine Fahrgemeinschaft bildete, wird gefragt,
       wie er dessen politische Orientierung einordne. „Völlig normal“, sagt er.
       Aber was ist schon normal beim KSK in Calw?
       
       Bei Abschiedsfeiern kam es taz-Recherchen zufolge in Calw immer wieder zu
       Grenzüberschreitungen, so erzählen es mehrere Personen aus dem Umfeld von
       Philipp Sch. und dem KSK. Einmal soll etwa die Frau eines Soldaten in einer
       Burka durch den Wald gescheucht worden sein.
       
       Und auch beim sogenannten Teichfest, das immer im Sommer von der 2.
       Kompanie für das gesamte KSK ausgerichtet wurde, gab es nicht nur
       Bratwürste vom Grill, sondern auch sehr leicht bekleidete Frauen, weswegen
       es in Calw mitunter hieß: Die Ehefrauen sollten besser nicht dabei sein,
       weil sonst die Ehe nicht mehr lange halte. Hitlergrüße auf diesen
       jährlichen Kasernenfeiern wurden der taz geschildert, Hitlergrüße beim
       Tanzen. Niemand soll das unterbunden haben.
       
       ## Alles andere als unpolitisch
       
       Und Philipp Sch. stand dort nicht nur am Rand. Er war den Schilderungen
       zufolge ein enger Vertrauter des damaligen Kompaniechefs Pascal D., der
       inzwischen wegen der Hitlergrüße auf seiner Feier rechtskräftig verurteilt
       ist. Neben ihm soll auch Philipp Sch. den Arm gehoben haben. Die einzige
       anwesende Frau, die als Trophäe für den Gastgeber vorgesehen war und die
       die Ermittlungen damals ins Rollen brachte, will Sch., den glatzköpfigen
       „Nazi-Opa“, erkannt haben. Und sie ist nicht die Einzige außerhalb des
       Gerichtssaals, die ihn für alles andere als unpolitisch hält.
       
       Philipp Sch. sei „sehr deutsch“, heißt es in seinem Umfeld. Sein Interesse
       am Zweiten Weltkrieg sei groß, in seinem Regal hätten Bücher zur Waffen-SS
       und das Buch „Der Krieg, der viele Väter hatte“ gestanden. Dieser Klassiker
       der geschichtsrevisionistischen Literatur ist bei mehreren KSK-Soldaten
       beliebte Lektüre. Und vor ein paar Jahren erst soll sich Philipp Sch. „Mein
       Kampf“ bestellt und seinem Sohn, der damals kaum im Teeanger-Alter war, die
       Lektüre nahegelegt haben.
       
       Doch Philipp Sch. sticht mit seiner Gesinnung im KSK offenbar nicht heraus.
       Manche Soldaten im KSK zieht es zur rechtsextremen Identitären Bewegung,
       für andere war Pegida in Dresden ein Ausflugsziel, wie es im Umfeld der
       Einheit heißt. Ab 2015 trat die Gesinnung bei Philipp Sch. und anderen
       Kameraden stärker hervor. Gegen Flüchtlinge, gegen Merkel, gegen die
       Regierung. Manche sollen sogar damit geprahlt haben, im Falle eines
       gewaltsamen Konflikts in Deutschland könnten sie eine Führungsrolle
       übernehmen und sagen, wo es langgeht.
       
       Die JVA Dresden, wo Philipp Sch. in Untersuchungshaft saß, hielt ihn für
       gefährlich. Über Monate galten höchste Sicherheitsstandards, inklusive
       Einzelhaft und ständiger Beobachtung. Ein Psychologe habe bei Philipp Sch.
       ein „manipulatives Verhalten“ feststellen können, sagte die kommissarische
       JVA-Leiterin vor Gericht. Weil er so gut in Kampf- und Befreiungstechniken
       ausgebildet war, sei die JVA von einer möglichen Eigen- und Fremdgefährdung
       ausgegangen. Die Verteidigung kritisierte das Vorgehen als völlig
       überzogen.
       
       ## Ein Netzwerk?
       
       Ob es ein Netzwerk rund um Philipp Sch. gegeben hat, wurde im Prozess
       nicht geklärt. Sicher ist: So wie Philipp Sch. Munition gehortet hat, haben
       andere KSKler Lebensmittel und Vorräte eingelagert. Als Vorbereitung auf
       eine drohende Katastrophe. Die Kaserne in Calw sollte auch ein Safe-House
       des Hannibal-Netzwerkes sein, ein Rückzugsort für einen ominösen „Tag X“.
       
       Es gibt bislang allerdings keine Hinweise auf eine direkte Verbindung
       zwischen Philipp Sch. und dem Netzwerk des KSK-Soldaten André S. alias
       Hannibal. Es gibt aber Verbindungen von Philipp Sch. ins Umfeld der
       Preppergruppe Nordkreuz in Mecklenburg-Vorpommern, die Teil dieses
       Netzwerkes ist. Zwei ihrer Mitglieder stehen unter Terrorverdacht, ihr Chef
       wurde verurteilt, weil er Waffen und Zehntausende Schuss Munition zu Hause
       hortete.
       
       Philipp Sch. hatte per Whatsapp Kontakt zu [4][Sven J.], einem
       Wasserschutzpolizisten aus Rostock. Im Februar hat die dortige
       Staatsanwaltschaft Anklage gegen diesen Polizisten erhoben, weil er
       Munition und Waffen in seinem Haus lagerte, auch solche, die unter das
       Kriegswaffenkontrollgesetz fallen.
       
       Die Ermittler*innen waren nur auf Sven J. aufmerksam geworden, weil er
       mit dem später verurteilten Nordkreuz-Chef Chatnachrichten mit
       rechtsextremen Inhalten austauschte. Auf dem Handy von Philipp Sch. war
       außerdem die Nummer eines Mannes gespeichert, der einen Schießplatz in
       Mecklenburg-Vorpommern betreibt. Und über diesen Schießplatz beschaffte
       sich der Nordkreuz-Chef einen Großteil der Munition.
       
       12 Mar 2021
       
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