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       # taz.de -- Digitale Kommunikation: Politische Ökonomie des Emojis
       
       > Emojis sind heute mehr als lustige Symbole für den privaten Chat. Sie
       > sind längst politisches und ökonomisches Kommunikationsmittel.
       
   IMG Bild: Interessen verfolgen mit Windrad und Wasserpistole
       
       Braucht es ein Emoji für den Klimaschutz? Ja, dachte die britische
       Umweltorganisation We Are Possible. Gemeinsam mit der Organisation
       RenewableUK schuf sie ein Symbol für eine Windkraftanlage und reichte im
       März 2020 einen entsprechenden Antrag beim Unicode-Konsortium ein. Das
       [1][Gremium, dem Konzerne wie Apple, Facebook, Netflix und Google
       angehören], ist für die Standardisierung von Emojis zuständig.
       
       Ursprünglich gegründet, um die Kodierung von Schriftzeichen zu
       vereinheitlichen, ist die spendenfinanzierte Organisation mit Sitz im
       kaliforinischen Mountain View eine Art Académie française der Netzwelt. Wie
       der New Scientist zuerst berichtete, lehnte das Gremium den Antrag jedoch
       ab. Zur Begründung hieß es, dass „eine traditioneller geformte ‚Windmühle‘“
       gerade in Prüfung sei. Das vorgeschlagene Symbol würde diesem zu sehr
       ähneln.
       
       Seitdem der Japaner Shigetaka Kurita 1998 den ersten Zeichensatz aus 176
       Symbolen entworfen hat, ist daraus ein kommunikatives Massenphänomen
       geworden. Sechs Milliarden Emojis werden jeden Tag auf der ganzen Welt
       versendet. Emojis gelten als die neue Weltsprache. Die Zeichen sind
       universell und überall verständlich, ein Japaner versteht ein lächelndes
       Gesicht genauso wie ein Europäer oder Afrikaner. Die britischen Oxford
       Dictionaries haben 2015 erstmals ein Emoji zum Wort des Jahres gewählt. Und
       natürlich findet das Sprechen über den Klimawandel auch mit Emojis mit.
       
       Grundsätzlich kann jeder beim Unicode-Konsortium ein neues Emoji
       vorschlagen. Voraussetzung ist, dass es sich semantisch von den anderen
       Zeichen unterscheidet. Bevor also ein Piktogramm für eine neue Hunderasse
       zugelassen wird, wird ein Tier hinzugefügt, das noch nicht in dem
       Zeichensatz vorhanden ist. Die Frage ist: Ist eine Windmühle ein adäquates
       Symbol für die Klimabewegung? Braucht es für alles ein Emoji?
       
       ## Bunt ist nicht gleich divers
       
       Bildzeichen sind ja ein sehr träges System, das sich nur sehr langsam an
       die sich verändernden Lebenswirklichkeiten in einer globalen und pluralen
       Gesellschaft anpasst und diese auch nur schemenhaft abbilden kann. Obwohl
       die Zeichenordnung mit jedem Update immer etwas bunter und diverser wird,
       gibt es bei jeder Neuerung Kritik von Minderheiten. So forderten
       Rothaarige, die zwei Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, ein eigenes
       Emoji für ihre Haarpracht. Seit 2018 können rothaarige Emojis verwendet
       werden.
       
       Allein [2][bunte Bilder verheißen nicht immer Diversität]. Als Apple 2015
       erstmals Emojis mit verschiedener Hautfarbe veröffentlichte, wurde moniert,
       dass sich Nutzer nun mit einer „race“ identifizieren müssten und das Ganze
       nur Folklore sei. „Diese neuen Figuren sind keine Emojis of Color, es sind
       weiße Emojis, die Masken tragen“, kritisierte die Journalistin Paige Tutt
       [3][in der Washington Post]. Je mehr Symbole das Unicode-Konsortium
       hinzufügt, desto mehr Leerstellen werden in der Taxonomie sichtbar.
       
       2019 protestierten Studenten auf den Straßen Delhis und forderten [4][die
       Aufnahme von Biryani in den Unicode-Katalog], ein Reisgericht mit Huhn.
       „Es gibt ein Emoji für Sushi, eines für Tacos, für Burger und Pizzen, aber
       keines für Biryani“, wetterte ein Studentenführer. 43.000 Menschen haben
       eine Petition unterschrieben, auch der indische Ableger von MTV hat sich
       mit der Kampagne solidarisiert – bislang ohne Erfolg. Die Biryani-Fraktion
       muss einstweilen mit dem Curry-Reis-Emoji vorliebnehmen, das auch für das
       japanische Gericht Kare-raisu steht.
       
       Auch die Anhänger des Hinduismus fühlten sich benachteiligt. Lange Zeit gab
       es ein Emoji für eine Kirche, einen Shinto-Schrein, eine Kaaba, eine
       Moschee, eine Synagoge, aber kein Symbol, das die hinduistische
       Weltreligion repräsentiert. 2017 reichte ein Ingenieur vom Indian Institute
       of Technology in Mumbai den Entwurf für einen Hindu-Tempel ein, der jedoch
       vom Unterkomitee zur weiteren Präzisierung zurückgeschickt wurde. Im März
       2019 veröffentlichte das Unicode-Konsortium schließlich einen Hindu-Tempel,
       den die Tech-Konzerne in ganz unterschiedliche Formen gossen: mal blutrot,
       mal sandfarben, mal mit Safranflagge, mal ohne. Der Hintergrund: Der
       Unicode legt lediglich die Bedeutung fest – über Form und Inhalt können die
       Plattformbetreiber in ihren jeweiligen Betriebssystemen entscheiden.
       
       ## Hindu-Tempel und bretonische Flagge
       
       Doch der Teufel steckt im Detail. Das Design des Symbols in der
       Twitter-Version, kritisierte der Rechtswissenschaftler Nayantara
       Ranganathan in einem Aufsatz für das Logic Magazine, ähnele den Plänen
       eines Hindu-Tempels in Ayodhya. In dem symbolträchtigen Ort, der als
       Geburtsstätte des Gottes Rama gilt, zerstörten radikale Hindus 1992 die
       Babri-Moschee. Seitdem tobt zwischen Hindus und Muslimen im Land ein
       erbitterter Streit. Wenn man nun dieses Zeichen nutze, würde man die
       Sprache der Hindu-Nationalisten sprechen und ihre Agenda im Netz
       verbreiten.
       
       Emojis, die zunächst als niedliche Icons daherkommen, sind symbolisch
       aufgeladen – und Gegenstand identitätspolitischer Debatten. Seit
       vergangenem Jahr haben auch die Bretonen ihr eigenes Emoji auf Twitter,
       nachdem die Organisation bzh jahrelang für die Aufnahme der bretonischen
       Flagge geworben hatte. Sogar der französische Außenminister Jean-Yves Le
       Drian, der aus Lorient stammt, trommelte für die bretonische Sache. Für die
       Identität der Bretonen ist es nicht mehr allein konstitutiv, dass die
       Flagge, die „Gwenn ha Du“ genannt wird, über dem Rathaus von Nantes,
       sondern auch im Netz flattert. Bloß: Warum gibt es dann keine Flagge für
       das Baskenland?
       
       Selbst wenn eine Flagge in den Unicode aufgenommen wird, ist das keine
       Garantie, dass sie auch auf dem Smartphone angezeigt wird. Denn das letzte
       Wort haben die Tech-Konzerne. So hat Apple die taiwanische Flagge aus den
       virtuellen Tastaturen seiner Nutzer in Hongkong und Macau kurzerhand
       verbannt. Doch so unterwürfig die Tech-Konzerne gegenüber China agieren, so
       sehr dominieren sie das Unicode-Konsortium. 2016 hat Apple das
       Pistolen-Emoji in seiner iOS-10-Version durch eine Wasserpistole ersetzt
       und seine Nutzer so entwaffnet – obwohl das die eigentliche Symbolik
       konterkariert. Wenn man ein Revolver-Emoji per SMS von einem Samsung-Handy
       auf ein iPhone schickt, erscheint auf dem Apple-Gerät kein stilechter Colt,
       sondern eine grüne Wasserpistole. Eine bizarre Infantilisierung von
       Sprache.
       
       Weil immer mehr gesellschaftliche Gruppen ihre Partikularinteressen in
       Emoji-Code übersetzen wollen, sieht sich das Unicode-Konsortium immer
       stärkeren Lobbyismuseinflüssen ausgesetzt. So forderte eine
       Winzervereinigung die Aufnahme eines Weißwein-Emojis – mit dem
       zweifelhaften Argument der Diversität. Wenn es schon roten gibt, müsste es
       auch weißen und Rosé geben. Das Unicode-Konsortium lehnte den Vorschlag ab.
       Streng genommen ist die Farbe auch gar nicht determiniert. Die Plattformen
       könnten das Emoji mit dem kryptischen Kürzel „U+1F377“ auch mit Weißwein
       füllen.
       
       ## Wolken-Emoji für Cloud-Lösungen
       
       Unternehmen wollen bei der neuen Weltsprache nicht nur mitreden, sondern
       sie auch aktiv mitgestalten. So hat [5][der französische Energiekonzern
       EDF] vor einigen Monaten einen eigenen Zeichensatz für den Klimawandel
       präsentiert, der dem Unicode-Konsortium vorgelegt werden soll: unter
       anderem einen grünen Fußabdruck, Solarzellen sowie Windkraftanlagen. Dass
       ein Energiekonzern kein Symbolbild für Atommeiler oder Kohlekraftwerke
       vorschlägt, ist ja irgendwie klar – das wäre schlecht für die
       Außendarstellung. Gleichzeitig polieren Piktogramme von grünen Landschaften
       und Solarzellen das Bild in der Öffentlichkeit auf.
       
       Längst haben Konzerne dem Unicode ihren Stempel aufgedrückt. So hat IBM das
       Wolken-Emoji gesponsert (das Unternehmen bietet auch Cloud-Lösungen an),
       der Autobauer Ford hat ein Pick-up-Emoji eingeschleust, das dem Oldtimer F
       150 auffallend ähnlich sieht. Solange es in der Welt der bunten Bildchen
       keine Colts und Kohlekraftwerke gibt, können diese Themen auf einer
       Symbolebene nicht verhandelt werden. Es mag ketzerisch klingen, aber
       vielleicht sollte die Umweltbewegung doch besser für ein AKW-Emoji
       trommeln. Dann könnte man auch in Emoji sagen: „Atomkraft? Nein danke“.
       
       18 Mar 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /117-neue-Emojis/!5656354
   DIR [2] /Mehr-Vielfalt-unter-den-Emojis/!5571391
   DIR [3] https://www.washingtonpost.com/posteverything/wp/2015/04/10/how-apples-new-multicultural-emojis-are-more-racist-than-before/
   DIR [4] https://www.wired.co.uk/article/emoji-lobbying-biryani
   DIR [5] https://www.edfenergy.com/media-centre/news-releases/new-emojis-help-public-discuss-net-zero
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Adrian Lobe
       
       ## TAGS
       
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