URI: 
       # taz.de -- CDU/CSU nach den Landtagswahlen: Nichts ist mehr sicher
       
       > Die Union hat ihr Image als Krisenmanagerin verspielt und keine
       > Ersatzrolle in der Hinterhand. Angela Merkel trägt eine Mitschuld an dem
       > Dilemma.
       
   IMG Bild: Geht Angela Merkel als erfolgreiche Krisenmanagerin in der Pandemie?
       
       Wenn Kanzler in der Bundesrepublik gehen, dann oft mit Groll und Kleinmut
       und einer Spur der Zerstörung. Konrad Adenauer demontiert seinen Nachfolger
       Ludwig Erhard wo er konnte, ohne eine Alternative aufzubauen. Helmut Kohl
       wollte 1996 seinen Platz für Wolfgang Schäuble räumen, war dann von seiner
       eigenen Unersetzlichkeit überzeugt und verlor die Wahl. In der
       Spendenaffäre trat er wie ein König auf, der Rechte beansprucht, die sonst
       niemand zustehen. So lange an der Macht zu sein, züchtet destruktive
       Hybris. Der Mächtige, der sich an seine Macht klammert, die unweigerlich
       schwindet, ist eine Figur zwischen Tragik und Groteske.
       
       Der Glaube, einzigartig und unersetzlich zu sein, ist bei patriarchalen
       Figuren weiter verbreitet als bei Frauen. Angela Merkel ist die Erste, die
       freiwillig geht. Sie schien ihren Abschied und ihre Nachfolge kühl und
       pragmatisch, uneitel und vernünftig zu regeln. Aber die Sache mit der Macht
       ist abgründig. Merkel unterstützte ihre Nachfolgerin, Annegret
       Kramp-Karrenbauer.
       
       [1][Doch AKK scheiterte], und zwar an der Kanzlerin. AKK durfte kein Klon
       sein, aber Anti-Merkel erst recht nicht. Sie konnte im langen Schatten der
       Kanzlerin kein eigenes Profil gewinnen. Die Macht führt ein Eigenleben,
       unabhängig vom Willen der Beteiligten. Die Idee, sie wie einen Stab in
       einem Staffellauf zu übergeben, hat nicht nur etwas ungut Dynastisches. Sie
       ist auch naiv. Macht-Ären enden nicht glatt und bruchlos. Es knirscht,
       brodelt und kracht. Gerade bei der Union. Am Ende einer Ära werden oft
       eruptiv bislang gebundene Kräfte freigesetzt.
       
       Die Vorstellung, die Kanzlerin würde als erfolgreiche Krisenmanagerin in
       der Pandemie ihrem Nachfolger das Kanzleramt besenrein übergeben, hat sich
       in Nichts aufgelöst. Die Union ist in einer mehrfachen Krise. In
       Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz hat die CDU bei den über 60-Jährigen,
       einer Klientel, auf die sie immer bauen konnte, die Mehrheit verloren.
       Nichts ist mehr sicher. Die Bundestagswahl ist seit Sonntag wieder offen.
       
       ## Merkels Machttechniken versagten in der Pandemie
       
       Die bewährten Machttechniken der Kanzlerin haben in der Pandemie versagt –
       nämlich Macht durch Moderation auszuüben und immer nur auf Sicht zu fahren.
       Merkel ist in der Ministerpräsidentenkonferenz zuletzt gescheitert. Sie
       wollte keine Öffnungen, manche LänderchefInnen sahen das anders. Das
       Ergebnis ist eine konfuse Ansage, dass beides geschieht: Öffnung und
       Schließung. Macht durch Moderation?
       
       Ein noch gravierender Kratzer im MacherInnen-Image der Kanzlerin ist der
       Mangel einer langfristigen Strategie und [2][das Versagen der
       Unionsminister beim Ordern von ausreichend Impfstoff, der Maskenbeschaffung
       und den Schnelltests]. Merkels taktische Stärke ist situatives Agieren,
       möglichst ohne sich auf fixe Ziele festzulegen, auf die man im Falle des
       Scheitern ja festgenagelt werden könnte. „Zögern als Machtstrategie“ hat
       das Ulrich Beck mal genannt. In der Pandemie hat die Kanzlerin mit starrem
       Blick auf die Inzidenzzahlen das ganze Bild aus dem Blick verloren.
       
       Einen Plan, mit welchem Schritten man aus der Krise kommt, gibt es aus dem
       Kanzleramt nicht. Zu alledem fehlt Merkel, wie die Bundespräsidentenkür
       zweimal zeigte, bei Personalfragen das Gespür. Ausgerechnet Jens Spahn und
       Andreas Scheuer, den unfähigsten CSU-Minister seit Langem, zu den obersten
       Testbeschaffern zu promovieren, einen Fehlgriff zu nennen, ist eine
       Untertreibung.
       
       ## Weichgespültes Merkel-Bild
       
       Merkels Aufstieg begann mit einem präzisen Angriff auf Helmut Kohl und
       dessen Rolle im Spendenskandal. Es ist mehr als eine ironische Pointe, dass
       21 Jahre später eine Affäre, in der es um illegales Geld und die
       Vermischung von Politik und kommerziellen Interessen geht, ihren
       störungsfreien Abschied verhagelt. Merkel hatte nie Einwände gegen die
       [3][Verzahnung von Politik und Wirtschaft, ein Merkmal des bundesdeutschen
       Korporatismus] – im Gegenteil. Sie hat für den Chef der Deutschen Bank im
       Kanzleramt mal eine Geburtstagsfeier ausrichtet.
       
       Wenn es in Brüssel gegen jede ökologische Vernunft kurzfristige
       Profitinteressen der deutschen Autoindustrie durchzusetzen galt, war auf
       die Kanzlerin immer Verlass. All das ist in dem weichgespülten Merkel-Bild,
       an dem auch Grüne und Linksliberale mitgemalt haben, gnädig wegretuschiert
       worden. Dass die Union in Sachen Korruption und Wirtschaftsnähe so anfällig
       ist, geht auch auf ihr Konto.
       
       Die Union ist in 16 Jahren zur Merkel-Partei geworden, weit mehr als die
       SPD je eine von Helmut Schmidt, Willy Brandt oder Gerhard Schröder war. Was
       ist die CDU eigentlich ohne Merkel? Laschet hat miserable Startbedingungen,
       um eilig Antworten zu geben. Die Wahlen gingen verloren. Der Bonus als
       fähige Corona-Krisenmanagerin ist perdu. Das trifft die Union ins Herz.
       Denn sie ist zu einer postideologischen Organisation geworden, die Macht
       verwaltet und pragmatische Problemlösungen anbietet. Andere Sinnressourcen
       hat sie nicht mehr. Deshalb ist alles, was die CDU jetzt tut, ein
       Hochseilakt.
       
       In den nächsten Monaten wird die Kanzlerin noch immer da sein, als halb
       gescheiterte Krisenmanagerin. Der Kanzlerkandidat, Armin Laschet oder
       Markus Söder, wird neben ihr seine Rolle suchen und manchmal an AKK denken
       müssen. Die alte Macht ist noch da und geht nur langsam, die neue ist erst
       halb da. Für diese Situation gibt es keine Blaupause. Wenn die Macht in
       Gefahr gerät, ist die Mitleidslosigkeit der Union und ihre Neigung zur
       Panik nie zu unterschätzen. Dieser Strudel kann auch Merkel, die
       Unangreifbare, noch erfassen.
       
       Im Herbst wird, wenn es mit dem Impfen doch mal klappt, die Krise in den
       Hintergrund treten – und damit vielleicht auch der Krisenflop der Union.
       Aber auch bei der Frage, welche Sicherheiten die Post-Corona-Gesellschaft
       braucht, wirkt die programmatisch leere Union ratlos. Und auch das ist ein
       Erbe der Merkel-Zeit.
       
       16 Mar 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Annegret-Kramp-Karrenbauer-im-Interview/!5714247
   DIR [2] /Folgen-des-Maskenskandals-in-der-CDU/!5754659
   DIR [3] /Lobbyregister-und-Geld-bei-der-Union/!5751031
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Reinecke
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Landtagswahl in Baden-Württemberg
   DIR Merkel-Nachfolge
   DIR AKK
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
   DIR Bundesregierung
   DIR Schwerpunkt Landtagswahl in Rheinland-Pfalz
   DIR GNS
   DIR CDU/CSU
   DIR Armin Laschet
   DIR Schwerpunkt Korruption
   DIR Nebeneinkünfte
   DIR Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Schwerpunkt Korruption
   DIR CDU/CSU
   DIR Schwerpunkt Hannibals Schattennetzwerk
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Dobrindt zu Korruption in der Union: Systematischer Realitätsverlust
       
       CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt kritisiert die korruptionsbedingte
       Kritik an der Union. Damit offenbart er sein verzerrtes Bild der Realität.
       
   DIR CSU-Korruptionsskandal: CSU beschwört den neuen Geist
       
       Mit einem Zehn-Punkte-Plan will die CSU gegen ihre Raffkes vorgehen. Söder
       spricht von einem scharfen Schwert, die Opposition ist nicht überzeugt.
       
   DIR Union in Unruhe: Gefühlszustand: aufgewühlt
       
       Seit sie die jüngsten Landtagswahlen verloren hat, fragt man sich in der
       CDU: Ist uns das Kanzleramt noch sicher?
       
   DIR Pandemie-Management in Deutschland: AstraZeneca ist nicht das Problem
       
       Der Ruf nach dem Rücktritt von Gesundheitsminister Spahn ist berechtigt.
       Der Stopp für Impfungen mit AstraZeneca ist ihm jedoch nicht anzulasten.
       
   DIR Folgen des Maskenskandals in der CDU: Grund zur Verunsicherung
       
       Der Maskenskandal erschüttert die CDU massiv. Mit ihren Pannen in der
       Coronapolitik nicht genug, gerät die Partei nun auch noch moralisch ins
       Abseits.
       
   DIR Lobbyregister und Geld bei der Union: Die Spur der Korruption
       
       Die Union hat ein vernünftiges Lobbyregister verhindert. Das erstaunt gar
       nicht. Denn undurchsichtige Geldflüsse prägen die Geschichte von CDU/CSU.
       
   DIR Annegret Kramp-Karrenbauer im Interview: „Durchschnaufen wird mir guttun“
       
       Die scheidende CDU-Vorsitzende über Rechtsextremisten in der Bundeswehr,
       die Aufnahme von Geflüchteten und ihr großes Ziel.