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       # taz.de -- Kunst der Woche: Sprudelnd durch die verkehrte Welt
       
       > Auf Fußhöhe: Anne-Mie van Kerckhoven bei Barbara Thumm. Im HKW: „CC:
       > World“ mit Hito Steyerl, Teju Cole u. a. Im Kreuzberg Pavillon: Zora
       > Mann.
       
   IMG Bild: Meg Stuart: „Intermission“, 2020, Filmstill
       
       Mittlerweile hat man schon derart lang keine Galerie mehr betreten, man
       weiß gar nicht, ob sich hinter den verschlossenen Türen wirklich Kunst
       befindet, oder ob ihre stete Ausstellung im Web nur noch ein virtueller
       Trug in digitaler Superschärfe ist. Doch, es gibt die Kunst, beteuerten am
       vergangenen Sonntag viele Galerien und Projekträume und machten auf
       Initiative der Plattform Index ein letztes Mal in diesem Winter die Lichter
       in ihren Schaufenstern an. Zumindest ein bisschen konnte dann auf die
       Straße dringen, was hinter der Fassade zu sehen sein könnte.
       
       Die Videoprojektion, mit der Galeristin Barbara Thumm am Sonntag die
       kommende Ausstellung von Anne-Mie van Kerckhoven ankündigte, war – lässig.
       In die untere Ecke der Glastür zur Galerie gescreent, der Sound nicht zu
       hören. Doch selbst der Glimpse aus Fußhöhe brachte die sprudelnde
       Multiperspektive der „futuristischen Feministin“ (Zitat Michelle Grabner)
       Anne-Mie van Kerckhoven hervor: Ihre Zeichnungen, Aquarelle, Fotografien
       und digitalen Grafiken lösen einander in dem Video zu einem Strom aus
       Bildern und Informationen ab.
       
       Darauf wandeln sich modernistische Interieurs zu Dekors oder
       Gesellschaftsszenen zu Frauenkörpern. Geschriebene Sprache mengt sich in
       die poppig-bunte Bilderflut der 1951 geborenen Belgierin, wie das tolle
       Begriffstriple „Einstein“, „Ennui“, „Eros“. Ihr kognitives Strömen ist
       voller Referenzen. Textfragmente des Situationisten Raoul Vaneigem sollen
       in die Zeichnungen auf Plexiglas und das Video geflossen sein, die
       [1][Barbara Thumm] dann ab dem 5. März in einer tatsächlichen Ausstellung
       der Galerie zeigen will, obwohl sie zunächst nur virtuell eröffnen kann.
       
       Die Verkehrtheit der Welt 
       
       Unsere Welt sei „verkehrt“ schrieb Raoul Vaneigem 1979 in seinem „livre des
       plaisirs“ und forderte eine „globale Subversion der Gesellschaft“. Heute,
       nach einem Jahr der Pandemie, ist die Welt noch verkehrter, auch wenn dies
       auf den vom Lockdown geleerten Straßen nicht zu sehen ist. Mit der
       digitalen Serie „CC: World“ rückt das [2][HKW] [3][[Link auf
       https://www.hkw.de/en/programm/projekte/2020/cc_world/start.php]]diese
       Verkehrtheit ins Blickfeld, zumindest auf unseren Bildschirmen.
       
       In Briefen, filmischen Essays und Soundbeiträgen beobachten über dreißig
       Künstler:innen und Wissenschaftler:innen die Orte der Welt, an
       denen sie seit einem Jahr festsitzen. Die Konzeptkünstlerin Fatima Al
       Quadiri erspürt mit dunklen Sounds den Vorabend der Black Lives Matter
       Proteste in Los Angeles, Schriftsteller Teju Cole wirft per Video in die
       medialen Turbulenzen des letzten Jahres und Choreografin Meg Stuart kehrt
       im leeren Gebäude des HKW Social Distancing zum Social Approaching zwischen
       Mensch und Architektur um.
       
       Umgedeutete Werkzeuge der Gewalt 
       
       Eine schon ungewohnte Zärtlichkeit kommt einem auch vom Schaufenster des
       [4][Kreuzberg Pavillons] entgegen. Man erkennt die Art der bunten Figuren,
       die Zora Mann hier installiert hat, nicht gleich: Totems? Fetische? Es sind
       Schutzschilde der Polizei, eigentlich Werkzeuge der Gewalt. Bemalt mit
       ausstrahlenden Kompositionen in zarten Farben – man fühlt sich an die
       abstrakte Malerei Hilma Af Klints erinnert – oder mit schwarz-weißen
       Folkloreornamenten, gibt Zora Mann den Schilden eine sanfte
       Wesenhaftigkeit. Und so stehen sie plötzlich neben einem, in zaghafter Nähe
       zueinander. „Love Affair“ ist der Titel dieser Schaufenster-Installation.
       Und, wie schön, es ist eine Love Affair zu dritt.
       
       2 Mar 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://bthumm.de/
   DIR [2] https://ccworld.hkw.de/
   DIR [3] https://www.hkw.de/en/programm/projekte/2020/cc_world/start.php
   DIR [4] https://kreuzbergpavillon.tumblr.com/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sophie Jung
       
       ## TAGS
       
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