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       # taz.de -- Klage gegen australische Regierung: Klimapolitik vor Gericht
       
       > Um einen Präzedenzfall zu schaffen, wollen Jugendliche den Ausbau einer
       > Kohlemine stoppen. Eine Studentin fürchtet den Wertverlust von
       > Kapitalanlagen.
       
   IMG Bild: Australische Kohle: Wirtschaftlich wichtiges Exportgut, aber enorm klimaschädlich
       
       Canberra taz | Acht Teenager und eine fast 90 Jahre alte Nonne – diese
       ungewöhnliche Gruppe  versucht vor einem australischen Gericht,
       Umweltministerin Sussan Ley das Recht abzusprechen, neue Kohleprojekte zu
       bewilligen. Für die 16-jährige Schülerin Anj Sharma ist klar: Die oberste
       Umweltpolitikerin Australiens hat eine Sorgfaltspflicht gegenüber kommenden
       Generationen, die von der eskalierenden Klimakatastrophe betroffen sein
       würden. „Wir sind diejenigen, die mit den Entscheidungen leben müssen, wir
       müssen die nächste Generation unter diesen Entscheidungen großziehen“, so
       Sharma.
       
       Die Schülerin ist Hauptklägerin in einem Prozess, der Geschichte machen
       könnte. Weil Kinder alleine nicht klagen können, wird sie von der
       86-jährigen Nonne Brigid Arthur begleitet. Die Gruppe hat die Unterstützung
       bekannter Juristen, die sie „pro bono“ vertreten. Ziel ist, Ley das Recht
       abzusprechen, den geplanten Ausbau der Kohlemine Vickery im Norden des
       Bundesstaates New South Wales zu bewilligen. Die Expansion dieser schon
       heute massiven Anlage würde den Ausstoß von zusätzlich 100 Millionen Tonnen
       CO2 bedeuten – etwa 20 Prozent der [1][Klimagasproduktion Australiens]. Der
       Staat ist einer der weltweit größten Kohle- und Gasexporteure. Trotz
       wachsendem internationalem Druck und enormem Potenzial für erneuerbare
       Energien will die Regierung die Fossilienindustrie ausbauen.
       
       Ein Sieg vor Gericht wäre ein Präzedenzfall mit Folgen für den gesamten
       Wirtschaftszweig. Juristen zeigen sich vorsichtig optimistisch. Sie
       verweisen auf Entscheide in anderen Ländern. So hatte 2015 ein
       niederländisches Gericht befunden, die Regierung sei verpflichtet,
       Angesicht der Klimaerhitzung die Menschenrechte der Bürger zu schützen.
       
       Anj Sharma und ihre Gruppe von Klimaaktivist*innen sind nicht die
       ersten, die den Schritt vor Gericht wagen. Katta O’Donnell, Jurastudentin
       an der Deakin University in Melbourne, hatte nach einer Vorlesung „erkannt,
       dass solch langweilige Dinge wie Rentenkassen und Staatsanleihen einen
       Einfluss darauf haben, wie die Welt die Klimakrise angehen kann“, erzählt
       sie der taz. Darauf zog die heute 24-Jährige gegen ihre Regierung vor
       Gericht. In einer Sammelklage wirft O’Donnell Canberra vor, das Volk nicht
       über die Risiken aufzuklären, welche die Klimakatastrophe für
       Kapitalanlagen habe – allen voran Staatsanleihen.
       
       ## Klimakrise gefährdet Altersvorsorge
       
       Anleihen sind ähnlich wie Aktien. Aber statt in Unternehmen zu investieren,
       leihen Investoren der Regierung Geld, damit diese etwa Infrastruktur oder
       Gesundheitsversorgung finanzieren kann. In Australien hat sie fast jeder
       Arbeitnehmer im Altersvorsorge-Portefeuille. Wie Aktien können Anleihen an
       Wert verlieren, etwa wenn Anleger die Fähigkeit einer Regierung in Frage
       stellen, das Geld wegen hoher Staatsverschuldung zurückzuzahlen. Laut dem
       Ökonomen Rob Henderson könnte der Wert auch durch „Reputationsrisiken“
       beeinträchtigt werden, da Investoren zunehmend Anleihen aus
       umweltverschmutzenden Ländern meiden. Dieses Risiko gefährde ihre
       Kapitalanlage, sagt O’Donnell. Das ist mehr als eine Hypothese: Die
       schwedische Zentralbank hat sich 2019 von Staatsanleihen der australischen
       Bundesstaaten Queensland und Westaustralien getrennt. Der Grund: die Furcht
       vor den Folgen des Klimawandels.
       
       „Die australische Regierung weiß, dass Klimawandel auch massive
       wirtschaftliche Folgen haben wird“, sagt O’Donnell. „Sie verschweigt das
       aber.“ Die angehende Juristin nennt die [2][katastrophalen Waldbrände] im
       vergangenen Jahr als Beispiel. Schäden in Milliardenhöhe seien entstanden,
       für die nun der Staat aufkommen müsse.
       
       ## Angst um die Zukunft des Planeten
       
       Die junge Studentin räumt ein, dass die Sorge um ihre Altersvorsorge nicht
       ihr Hauptmotiv ist. Sie habe Angst um die Zukunft des Planeten. Canberra
       habe im internationalen Vergleich bescheidene Emissionsreduktionsziele.
       Gleichzeitig ist das Land laut Experten wie keine andere westliche Nation
       bereits von den Folgen der Klimawandels betroffen. „Das [3][Große
       Barriere-Riff] etwa ist wegen Korallenbleiche schon zu 50 Prozent tot“,
       klagt O’Donnell.
       
       Für die Rechtsprofessorin Jaqueline Peel von der Melbourne University ist
       O’Donnells Klage von historischer Bedeutung, „weil sie den Klimawandel mit
       einem realen finanziellen Risiko verbindet, was den Finanzsektor aufhorchen
       lassen könnte“, wie sie gegenüber dem Sender ABC sagte. Peel glaubt, die
       Klage könnte rund um die Welt ähnliche Prozesse auslösen. Die australische
       Regierung hat offiziell keine Stellung bezogen.
       
       15 Mar 2021
       
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