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       # taz.de -- Winzer über deutschen Sekt: „Wir haben ein Riesen-Imageproblem“
       
       > Volker Raumland keltert seit 40 Jahren Sekt. Ein Gespräch über späte
       > Lese, reife Säure und warum auch Leberwurst zu Schaumwein passt.
       
   IMG Bild: Perlen muss es. Aber das ist nicht alles
       
       taz am wochenende: Herr Raumland, in keinem Land der Welt wird so viel Sekt
       getrunken wie in Deutschland. Leben wir in einem Schaumweinparadies? 
       
       Volker Raumland: Schön wär’s, aber wir haben in Deutschland ein
       riesengroßes Imageproblem. Der Begriff Sekt wird für alles verwendet, was
       schäumt. Dazu zählen auch Getränke, die in riesigen Tankanlagen produziert
       werden. Der Anteil an hochwertigem Winzersekt, der in traditioneller
       Flaschengärung individuell erzeugt wird, liegt hingegen höchstens bei zwei
       Prozent.
       
       Für so eine Flasche zahlt man dann aber auch 20 Euro. Einen industriell
       erzeugten Sekt gibt es im Discounter ab 2,49 Euro. 
       
       Wenn es nach mir ginge, müssten solche Produkte Schaumwein heißen und nicht
       Sekt. Wir leiden unter dem Billigimage. In England gilt sparkling wine aus
       Deutschland als sweet and cheap. Was die Qualität angeht, wurden wir von
       der Champagne gnadenlos abgehängt.
       
       Historisch betrachtet waren wir da schon mal weiter. 
       
       Auf der Pariser Weltausstellung von 1900 wurde deutscher Champagner von
       Kupferberg ausgeschenkt. Damals war der Begriff Champagner noch nicht
       geschützt, das kam erst mit dem Versailler Vertrag. Wir haben zwei Kriege
       verloren und im letzten fast alle Händler umgebracht, die mit unseren
       Weinen gehandelt hatten. Aber hauptverantwortlich für den Absturz ist, dass
       wir ein ziemlich technokratisches Land sind, das auch beim Sekt lange Zeit
       nur auf Preis und Masse setzte.
       
       Das ändert sich langsam. Sie gelten als Initiator einer neuen Generation
       von Sektmachern, die mehr auf Geschmack setzt. 
       
       Es tut sich sehr viel, in den letzten Jahren ist die Qualität vieler Sekte
       stark gestiegen. Mit dieser Entwicklung hätte ich nie gerechnet, als ich
       Anfang der 1980er Jahre meinen ersten Sekt abfüllte.
       
       Wie konnten Sie im Sektgeschäft Fuß fassen? 
       
       Ich habe mich verschuldet und 1982 für 35.000 D-Mark Maschinen für eine
       mobile Sektkellerei gekauft. Dann habe ich in den Fachblättern inseriert:
       „Versekte mobil auf Ihrem Weingut.“
       
       Es hat vermutlich gedauert, bis Aufträge reinkamen. 
       
       Überhaupt nicht, innerhalb von wenigen Tagen riefen fast hundert Winzer an.
       Das war die erste mobile Sektkellerei überhaupt, da bestand ein
       Riesenbedarf. Dazu kam, dass 1982 eine sehr große Ernte eingebracht wurde,
       und viele Winzer fragten sich, wohin mit den ganzen Trauben? Da hieß es:
       Der Volker kommt auf den Betrieb und lässt es schäumen.
       
       Klingt nach einem einfachen Erfolgsrezept. 
       
       Das gibt es bei Sekt nicht. Viele Winzer haben bis heute ein falsches Bild
       davon, wie guter Sekt entsteht. Für manchen ist er immer noch ein Neben-
       und manchmal auch Abfallprodukt. Der schlechteste Wein im Keller ist gerade
       recht für die Versektung. Dabei ist Wein relativ einfach zu erzeugen, den
       füllst du ab und verkaufst ihn. Beim Sekt weißt du erst nach Jahren, ob du
       gut gearbeitet hast.
       
       Worauf kommt es an? 
       
       Sekt ist ein empfindliches Produkt, und das Fenster für den idealen
       Zeitpunkt der Traubenlese ist ziemlich eng. Wenn ich die Trauben ein paar
       Tage zu spät lese, bekomme ich mehr Alkohol und die Säure ist reifer –
       beides will ich bei einem guten Sekt aber nicht.
       
       Die Grundweine dürfen nicht zu alkoholisch sein? 
       
       Ja, da bei der zweiten Gärung in der Flasche noch mal Alkohol entsteht.
       Liest man wiederum zu früh, sind die Trauben physiologisch noch nicht zu
       hundert Prozent reif. Dann darf ich sie aber nicht ausquetschen bis zum
       letzten Tropfen, sonst bekomme ich bittere Noten. Leider gibt es Winzer,
       die sagen: Ich lese nur einmal im Herbst, ich mache mir meine Presse doch
       kein zweites Mal schmutzig.
       
       Seit 1988 bewirtschaften Sie in Flörsheim-Dalsheim selbst Weinberge und
       füllen in Ihrem Sekthaus Winzersekt ab, äußerst erfolgreich. Woran haben
       Sie sich dabei orientiert? 
       
       Immer an der Champagne, das ist der Maßstab für mich – ohne sie zu
       kopieren. Wir haben unseren eigenen roten Faden entwickelt. Es hat viele
       Jahre Geduld und unzählige Versuche erfordert, um alles zu
       perfektionieren. Dazu gehören eigene Weinberge und Handlese bei der
       Ernte, ich presse die Trauben möglichst schonend und verwende höchstens die
       ersten zwei Drittel einer Pressung, weil ich dann aromatischere und feinere
       Moste bekomme. Und im Keller braucht Sekt Zeit, das verstehen viele Winzer
       nicht. Meine Sekte müssen mindestens drei Jahre reifen, manche liegen über
       zehn Jahre auf der Hefe. Mit dieser Methode war ich lange Zeit als
       Einzelkämpfer unterwegs.
       
       Das ist heute anders. 
       
       Junge Sektmacher wie Mark Barth oder Niko Brandner beleben die Szene. Die
       neue Winzergeneration macht sich viel mehr Gedanken über die
       Sekterzeugung und beweist mehr Fingerspitzengefühl als die Alten. Das
       sehe ich auch an meinen Töchtern Marie-Luise und Katharina, die inzwischen
       unser Sekthaus leiten. Die Jungen denken nachhaltiger und bringen neue
       Aspekte ein, weil sie sich in der Welt umgesehen haben. Sie verkosten auch
       mehr. Es bringt dich nicht weiter, wenn du immer nur dein eigenes Zeug auf
       der Zunge hast. Es war ein langer Weg, aber deutscher Sekt wird gerade sehr
       positiv wahrgenommen. Jetzt gibt es ein neues Selbstbewusstsein, da helfen
       auch Erfolgserlebnisse, etwa wenn deutsche Winzersekte bei
       Blindverkostungen auch mal Champagner ausstechen.
       
       Champagner ist viel teurer. 
       
       Ich habe schon einige Champagner getrunken, da dachte ich: Na ja, das ist
       nicht schlecht, aber sind die so viel Geld wert? Champagner ist immer auch
       ein Statussymbol, es gibt immer noch viele Etikettentrinker. Ich halte es
       da gern mit der Devise: Sekt ist ein Getränk für Leute, die es sich leisten
       können, keinen Champagner zu trinken.
       
       Wie muss denn ein guter Sekt schmecken und wirken? 
       
       Es gibt noch immer zu viele schlechte Sekte, die bitter schmecken, zu viel
       Alkohol und zu wenig Säure haben. Manche sprudeln zwar schön, aber dann
       passiert nicht mehr viel am Gaumen. Sekt darf nicht müde machen, er muss
       animieren und ein sinnliches Vergnügen sein. Nach der ersten Flasche Sekt
       muss man richtig Lust haben, noch eine zweite aufzumachen.
       
       Sekt kann aber mehr sein als ein Muntermacher. 
       
       Auf alle Fälle. Es ist leider üblich, Sekt nur als Aperitif zu begreifen
       und dann beim Essen zum Wein überzugehen. Das hängt wohl damit zusammen,
       dass Sekt häufig anlassbezogen getrunken wird, zu Silvester, auf Hochzeiten
       und bei Feiern. Er passt aber auch enorm gut zum Essen und lässt die
       Geschmackspapillen aufleben, er kann ganze Menüs begleiten.
       
       Vermutlich eher zu Fisch als zu schwerem Essen? 
       
       Viele denken, dass Champagner und Sekt nur zu Lachs und Kaviar passen. Das
       ist auch ein hinfälliges Klischee. Meine Frau ist ein großer Fan davon,
       Sekt zu einer richtig guten Leberwurst zu trinken. Das ist eine perfekte
       Verbindung.
       
       21 Mar 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rainer Schäfer
       
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