URI: 
       # taz.de -- Aufstand in Myanmar: Ihr stiller Kampf gegen die Junta
       
       > Während die Bevölkerung in Myanmar gegen das Militär kämpft, verweigern
       > weltweit Diplomat:innen den Putschisten den Dienst. Auch in Berlin.
       
   IMG Bild: Myanmar im März 2021: Demonstrierende versuchen sich vor scharf schießenden Militärs zu schützen
       
       Berlin taz | Bis vor Kurzem zählte es zu Chaw Kalyars Aufgaben an Myanmars
       Botschaft in Berlin, diejenigen zu unterstützen, die von der früheren
       Militärregierung ihre Staatsbürgerschaft aberkannt bekommen hatten. Nun ist
       sie selbst eine von ihnen.
       
       Die schmächtige Myanmarin sitzt auf einem Sofa in einer Wohnung in Dahlem,
       ihre Hände ineinandergefaltet, die Beine überkreuzt. Sie verweigert ihrer
       neuen Regierung, einer Militärjunta, die sich vor wenigen Wochen an die
       Macht geputscht hatte, den Dienst. Seit 17 Tagen geht sie nicht mehr zur
       Arbeit in der Botschaft. „Unter diesem Regime wollen wir nicht arbeiten“,
       erklärt Chaw Kalyar. Um den Widerstand der Bevölkerung niederzuschlagen,
       die seit Wochen überall im Land zu Hunderttausenden auf die Straße geht,
       geht [1][das Militär mit rücksichtsloser Brutalität] vor.
       
       2.258 Menschen wurden seit dem Putsch verhaftet oder angeklagt. 224
       Menschen getötet; viele von ihnen per Kopfschuss regelrecht hingerichtet.
       Das ist der Stand am Freitagmorgen. Die Zahl steigt fast stündlich. Eine
       schwangere Frau wurde erschossen, nachdem sie mehreren Studenten in ihrem
       Haus vor dem Militär Schutz geboten hatte. Menschen werden auf allen vieren
       durch die Straßen getrieben. Im Internet kursieren Fotos von den
       entstellten Folteropfern des Regimes. Die Menschen auf den Straßen
       versuchen sich mit Backblechen und Satellitenschüsseln vor den Kugeln ihrer
       eigenen Armee zu schützen.
       
       „Das Mindeste, was wir von hier aus tun können, ist diesem Regime den
       Dienst verweigern“, sagt Chaw Kalyar. Sie sagt „wir“, denn sie ist damit
       nicht allein. Eine Kollegin und ein Kollege von der Botschaft in Berlin
       schlossen sich ihrem Protest an.
       
       Von Tokio bis Los Angeles versagen weltweit bisher rund 20 myanmarische
       Diplomaten der Militärjunta den Dienst. Unter ihnen auch der UN-Botschafter
       in New York, der in einer aufsehenerregenden Aktion mitten in einer Rede in
       der Generalversammlung live kundtat, dass er der Junta nicht zur Verfügung
       stehe. An den Moment kann sich Chaw Kalyar sehr genau erinnern. Sie konnte
       die Tränen nicht zurückhalten. „So ein mutiger Schritt.“ Endlich war da
       etwas, was ihr Orientierung gab. Sie wusste, was sie zu tun hatte.
       
       ## Per Facebook aktenkundig
       
       Wie alle wichtigen Ankündigungen in Myanmar wurde Chaw Kalyars Entscheidung
       aktenkundig, als sie sie am 4. März auf Facebook postete. 10.000 Likes und
       eine Menge Freundschaftsanfragen habe sie bekommen. „Viele Menschen boten
       uns Hilfe an“, sagt sie. Als die Kollegen das Entlassungsschreiben
       überbrachten, taten sie das mit dem Hinweis, dass es ihnen wahnsinnig leid
       tue, sagt Chaw Kalyar.
       
       Am 1. Februar [2][hatte sich in Myanmar das Militär] zurück an die Macht
       geputscht. „Wir waren geschockt“, sagt ihre Kollegin Myat Zar Zar Khaing.
       Eigentlich sollte an dem Tag das neue Parlament vereidigt werden. Es war
       erst das zweite Mal nach mehr als einem halben Jahrhundert Militärdiktatur,
       dass die Bürger Myanmars ihre Volksvertreter in echten Wahlen bestimmen
       durften. Statt der Vereidigung wurden im Morgengrauen überall im Land
       Abgeordnete und Parteimitglieder von Aung San Suu Kyis Nationaler Liga für
       Demokratie NLD festgenommen.
       
       Auch in Deutschland reisten hier lebende myanmarische Staatsbürger mitten
       in der Pandemie aus allen Ecken des Landes nach Berlin, um bei den Wahlen
       im Herbst mitzuentscheiden. „Die Leute investierten ihre Zeit und ihr Geld,
       um zur Wahl zu gehen“, sagt Chaw Kalyar. Sogar ein über 80-Jähriger sei aus
       Hamburg angereist, um seine Stimme abzugeben. Doch es sollte umsonst sein.
       Weil die NLD eine überwältigende Mehrheit von 83 Prozent der zu vergebenden
       Sitze im Parlament gewann, sah das Militär seine Macht schwinden, faselte
       von Wahlbetrug und griff auf eine altbekannte Methode zurück: den Putsch.
       
       Auch an der Botschaft in Berlin schnellte man danach rasch wieder in die
       alten Zeiten der Junta zurück. Regelmäßig erhielten Chaw Kalyar und ihre
       Kollegen aus der Hauptstadt Naypyidaw Propagandapamphlete zur Verteilung an
       Abgeordnete und Medien in Deutschland.
       
       Chaw Kalyar ärgert sich, dass sie keines der Hefte von ihrem Bürorechner an
       der Botschaft gesichert hat, sind sie doch ein Beleg der Propaganda des
       Regimes. In der letzten Ausgabe, an die sie sich erinnern kann, wurde ein
       Vorfall in einer Bank, in der Kunden festgenommen wurden, die ihr Geld
       abheben wollten, zu einer Mär über Unruhestiftung in der Bevölkerung. Doch
       inzwischen wissen die Menschen es besser. „Wir hatten über die Sache schon
       Stunden vorher auf Social Media gelesen“, sagt Myat Zar Zar Khaing.
       
       Die drei haben gehört, dass die Botschaft inzwischen die Mietverträge ihrer
       Apartments in Berlin gekündigt hat. Außerdem habe man die Bundesrepublik
       gebeten, die Diplomatenvisa der drei Abtrünnigen zu annullieren. Die
       Entscheidung darüber stehe noch aus. Um sich selbst machen sie sich im
       Moment nur bedingt Sorgen. In Deutschland, das wissen sie, besteht nicht
       die Gefahr, dass sie nachts aus ihren Wohnungen geholt werden, so wie das
       ihren Kollegen vom Außenministerium in Myanmar passiert ist. Viele von
       ihnen sitzen inzwischen im Gefängnis, weil sie in den Streik getreten sind.
       
       ## Sie wollen kein weiteres Militärregime
       
       „Wir mussten so lange unter diesem Regime leiden. Wir können das nicht noch
       einmal durchmachen“, sagt Chaw Kalyar. Und ihr Kollege Myo Htet San
       ergänzt: „Wir wollen nicht, dass die Generation unserer Kinder wieder in
       Unterdrückung aufwächst.“ Er hat selbst einen Sohn und eine Tochter im
       Teenageralter. Beide leben mit ihm in Berlin. Viele ihrer Altersgenossen in
       Myanmar sind jetzt bei den Protesten gegen das Militär dabei.
       
       1988, bei der letzten großen Revolution gegen die Junta, war Chaw Kalyar
       eine von ihnen. Sie war damals 16 Jahre alt. Tausende wurden getötet, auch
       viele ihrer Freunde. Andere flohen, um zu überleben, in den Dschungel der
       Grenzgebiete. Chaw Kalyar blieb und schlug sich durch.
       
       Zehn Jahre später, in denen sie mehrere Gelegenheitsjobs hatte und ein
       wegen häufiger Schließung der Universitäten brüchiges Studium, fing sie
       beim Außenministerium an. Damals unter Diktator Than Shwe. Die
       Militärherrschaft war zur Normalität geworden, und Chaw Kalyars Hoffnungen
       auf eine Revolution hatten sich zerstreut. Am Ende müsse man eben auch
       überleben, meint sie.
       
       Die drei Diplomaten erinnern sich an damals und rätseln, wie sich das
       Regime früher nannte: SLORC (State Law and Order Restoration Council) oder
       SPDC (State Peace and Development Council)? „Alles dasselbe Militär, nur
       ein anderer Name“, winkt Chaw Kalyar ab.
       
       Anders als früher gebe es dieses Mal kein Zurück mehr zur Normalität. „Die
       Situation jetzt ist völlig anders“, sagt Chaw Kalyar. „Wir können nicht
       mehr einfach so weitermachen wie vorher.“ Das Internet dient als
       permanenter Livestream der Ruchlosigkeit des Militärs. Im ganzen Land
       wissen die Menschen, dass sie im Kampf gegen das Militär vereint sind.
       Außerdem gebe es inzwischen als Alternative zum Militär eine demokratische
       und durch die Wahlen legitimierte Politikerelite.
       
       ## Verschlechterte Ernährungslage
       
       Das Welternährungsprogramm warnt, dass viele Menschen in Myanmar bald
       Schwierigkeiten haben könnten, ihre Familien zu ernähren. Im
       ostastiatischen Land seien die Preise für Kraftstoff und
       Grundnahrungsmittel gestiegen. Große Teile des Landes liegen seit den
       Streiks lahm. Wie es für die sie selbst weitergeht, wissen die drei
       ehemaligen Botschaftsangehörigen auch nicht.
       
       Mit dem Militär reden zu wollen sei, wie „einem Büffel die Harfe zu
       spielen“, sagt Chaw Kalyar. Die Generäle hätten noch nie auf irgendjemand
       gehört und würden das auch dieses Mal nicht tun. Deshalb seien ihr alle
       Mittel recht, um das Militär zu stoppen. Notfalls auch Gewalt.
       
       Lieber wäre es ihr allerdings, wenn die Schattenregierung der abgesetzten
       NLD-Abgeordneten und NLD-Oberen, die aus dem Untergrund agiert, es schaffen
       würde, mächtiger zu werden. Direkten Kontakt habe sie bisher noch nicht zur
       Untergrundregierung gehabt, sie stehe aber jederzeit zur Verfügung, einen
       Posten zu übernehmen. Als Beamte haben sie sich verpflichtet dem Volk zu
       dienen. „Und genau das tun wir. Wir sind nicht diejenigen, die die Regeln
       brechen“, sagt sie.
       
       19 Mar 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Myanmar-nach-dem-Putsch/!5755166
   DIR [2] /Militaerputsch-in-Myanmar/!5746433
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Verena Hölzl
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Myanmar
   DIR Militärjunta
   DIR Aung San Suu Kyi
   DIR Putsch
   DIR Schwerpunkt Myanmar
   DIR Schwerpunkt Myanmar
   DIR Schwerpunkt Myanmar
   DIR Schwerpunkt Myanmar
   DIR Schwerpunkt Myanmar
   DIR Schwerpunkt Myanmar
   DIR Schwerpunkt Myanmar
   DIR Schwerpunkt Myanmar
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Ein Jahr nach dem Militärputsch: Die Verzweifelten von Myanmar
       
       Seit dem Putsch gegen die Regierung von Aung San Suu Kyi leben die Menschen
       in Angst. Viele sind geflohen, doch gibt es auch starken Widerstand.
       
   DIR Reaktionen auf Gewalt in Myanmar: Kopfschüsse am Feiertag
       
       Am Militär-Feiertag tötet das Regime so viele Menschen wie nie zuvor. Es
       hatte mit Schüssen in Köpfe und Rücken gedroht. Die Welt reagiert.
       
   DIR Militärputsch in Myanmar: Diktatur oder Revolution
       
       Folter und Mord – das Militär in Myanmar wird noch viele Opfer fordern und
       das Land in den Abgrund führen. Dialog und Kompromisse sind derzeit
       unvorstellbar.
       
   DIR Widerstand gegen Militärputsch in Myanmar: Weitere Tote bei Protesten
       
       Seit Beginn des Putsches sollen insgesamt mehr als 230 Menschen ums Leben
       gekommen sein. Die Einwohner Yangons fliehen vor der Gewalt aus der
       Metropole.
       
   DIR Myanmar nach dem Putsch: Chinas brennende Probleme in Yangon
       
       Wem könnte die Brandstiftung in chinesischen Fabriken in Yangon nach dem
       Wochenende mit einer Rekordzahl an getöteten Demonstrant:innen nutzen?
       
   DIR Gegenregierung in Myanmar: Aufruf zur Revolution
       
       In Myanmar ist aus den Massenprotesten gegen den Putsch ein Generalstreik
       geworden. Jetzt ruft das Untergrundparlament auf facebook zum Widerstand.
       
   DIR Widerstand gegen das Militärregime: Gegenregierung ruft zur Revolution
       
       In Myanmar wendet sich die nach dem Putsch gebildete Untergrundregierung
       erstmals mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit. Wieder viele Tote.
       
   DIR Generalstreik in Myanmar: Tote und Verletzte
       
       In Myanmar gehen die Proteste weiter, obwohl Polizei und Militär immer
       brutaler vorgehen. Nachts terrorisieren sie mit Razzien ganze Viertel.