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       # taz.de -- Union in Unruhe: Gefühlszustand: aufgewühlt
       
       > Seit sie die jüngsten Landtagswahlen verloren hat, fragt man sich in der
       > CDU: Ist uns das Kanzleramt noch sicher?
       
   IMG Bild: Desorientierte Verunsicherung?
       
       Wer in diesen Tagen mit Stefan Kaufmann telefoniert, hört einen
       aufgewühlten Mann. Kaufmann, 51, ist CDU-Bundestagsabgeordneter aus
       Stuttgart, im September will er hier erneut das Direktmandat holen. Sein
       Gegenkandidat: der Grüne Cem Özdemir. Dreimal hat Kaufmann den Wahlkreis
       Stuttgart I gegen Özdemir gewonnen, zuletzt mit gerade gut 2 Prozent
       Vorsprung. „Das wird eine Herausforderung“, sagt er jetzt. „Aber ich bin
       und bleibe Optimist.“
       
       Die Zeichen stehen nicht gut. Am vergangenen Wochenende hat die [1][CDU bei
       der Landtagswahl] in Baden-Württemberg eine historische Niederlage
       eingefahren, gerade mal 24,1 Prozent. In Rheinland-Pfalz, wo gleichzeitig
       gewählt wurde, sah es nicht besser aus.
       
       [2][Seitdem ist die Aufregung in der CDU groß]. Es sei nicht gottgegeben,
       dass die CDU den nächsten Bundeskanzler stelle, soll Parteichef Armin
       Laschet am Montag in der Vorstandssitzung gesagt haben. Und: „Wir müssen
       kämpfen.“ Schlechtes Coronamanagement im Bund und immer neue
       [3][Korruptionsverdachtsfälle] in den eigenen Reihen heizen die Unruhe
       weiter an, dazu kommen miese Umfragewerte. Die Union ist zuletzt unter die
       30-Prozent-Marke gerutscht. Schon wird in Berlin über eine mögliche
       [4][Ampelkoalition spekuliert.] Für die Union, deren Hauptprogrammpunkt
       quasi das Regieren ist, wäre das eine Katastrophe.
       
       Kaufmann hat sich am Sonntagabend deutlich zu Wort gemeldet. „Die
       Landespartei muss jetzt mit großer Aufrichtigkeit einen inhaltlichen und
       personellen Erneuerungsprozess einleiten“, [5][schrieb er auf Twitter]. Und
       weiter: „Wenn wir zu alter Stärke zurückfinden wollen, müssen wir die
       Lebenswirklichkeit der Menschen in unserem Land in den Mittelpunkt stellen,
       überzeugende Lösungen auf aktuelle Herausforderungen anbieten und
       Zukunftsperspektiven weisen.
       
       Was genau läuft also falsch bei der CDU, Herr Kaufmann? „Wir bilden die
       Bevölkerung nicht mehr ab und sind meilenweit von den Themen entfernt, die
       die Menschen in der Stadt bewegen.“ Kaufmann holt am Telefon tief Luft,
       dann rasselt er die Zahlen herunter: „Freiburg 13 Prozent, Heidelberg 14
       Prozent, Tübingen 15 Prozent, Mannheim 16 Prozent. Da stehen wir mit 24
       Prozent hier in Stuttgart ja noch gut da – mit 24 Prozent!“ Folgt man
       Kaufmann, gläubiger Katholik und der erste offen schwule
       Bundestagsabgeordnete der CDU, muss seine Partei diverser werden und
       inhaltlich moderner. „Aber man kann den Kreisverbänden ja nicht
       vorschreiben, wen sie aufstellen müssen.“
       
       ## Innerparteiliche Konflikte
       
       Und dann sei ja noch „diese Grundsatzdebatte“, die die CDU nicht los werde.
       Die Frage also, ob sich die CDU wieder ein konservativeres Profil geben
       muss. „Dieser innerparteiliche Konflikt ist seit 2015 unser Begleiter, und
       er ist durch die Wahl von Armin Laschet zum Parteichef noch lange nicht
       ausgestanden.“ Die Parteispitze in Baden-Württemberg hatte sich klar auf
       Seite von Laschets Gegenkandidaten Friedrich Merz gestellt. „Nach jeder
       verlorenen Wahl gibt es die Debatte, dass die Ursache im nicht ausreichend
       bedienten konservativen Profil liegt.“ Aber wenn er sich die
       Wählerwanderung anschaue, sehe er, dass die CDU vor allem an die Grünen und
       die FDP verliere. „Trotzdem steht diese Diskussion immer wieder auf wie ein
       Zombie.“
       
       Ganz anders wird die politische Welt in Greiz im Thüringer Vogtland
       interpretiert. Martina Schweinsburg, 62, Christdemokratin, ist hier
       Landrätin und eine von denen, die sich ein konservativeres Profil für ihre
       Partei wünschen. Im vergangenen Jahr hat sie mit anderen
       KommunalpolitikerInnen dafür plädiert, dass die Thüringer CDU Gespräche mit
       der AfD führen soll. Derweil versteht die Landrätin nicht mehr so recht,
       was ihre Leute in Berlin entscheiden.
       
       Das große Plus der CDU war ja immer, dass die Menschen glaubten, sie könne
       regieren. Die CDU, das waren die Profis, die die Zumutungen der Welt mit
       behutsamer Politik abfederten. Anfangs profitierte die CDU deshalb von
       Corona, die verunsicherten BürgerInnen versammelten sich hinter der
       Regierungspartei. Doch inzwischen droht die Pandemie den Nimbus der CDU zu
       zerstören. Impfen, Teststrategie, vieles läuft schief. Dazu noch die
       Maskenaffäre, bei der sich Unionsabgeordnete bei Geschäften mit
       Schutzmasken persönlich bereicherten.
       
       Im Vogtland lag in der vergangenen Woche die Inzidenz bei über 500.
       Schweinsburg erzählt, wie sie ganze Kitagruppen und Schulklassen testen
       ließ, als einzelne Erzieherinnen und Lehrer erkrankten. „Einmal waren 17
       Kinder in einem Kindergarten positiv, alle ohne Symptome.“ Die Landrätin
       sieht die hohe Inzidenz als Erfolg ihrer Teststrategie. Busse des Roten
       Kreuzes fahren durch den Landkreis und testen Menschen, die vorbeikommen,
       auch in Dörfern. Aus ihren Erkenntnissen leitet Schweinsburg eine ganz
       andere Strategie ab, als sie Gesundheitsminister Jens Spahn vertritt. Sie
       würde eher jüngere, mobile Menschen impfen, die die Pandemie verbreiten.
       
       „Die Menschen sehen doch genau, wie widersinnig die Maßnahmen sind“, sagt
       Schweinsburg. In Supermärkten träten sich die Leute auf die Füße, aber
       kleine Einzelhändler in den Kernen kleiner Städte müssten dicht bleiben,
       kritisiert die Landrätin. „Nur weil die Regierenden in Berlin, München oder
       Düsseldorf ihre Vergnügungsviertel in den Großstädten nicht in den Griff
       kriegen, müssen überall Landgasthöfe mit funktionierenden Hygienekonzepten
       geschlossen bleiben.“ Es sind vor allem ihre eigenen ParteifreundInnen, die
       sie hier kritisiert.
       
       [6][Diana Kinnert] ist in vielem das Gegenteil der Thüringer Landrätin. Sie
       ist jung, großstädtisch, ihre Familie hat Migrationsgeschichte. Aber sie
       ist auch in der CDU. Viele Jahre galt sie hier als Nachwuchstalent,
       inzwischen ist sie 30 Jahre alt und hat ihr einstiges Markenzeichen, eine
       quersitzende Basecap, gegen einen Schlapphut eingetauscht. Die
       Unternehmerin ist Mitglied der Bundeskommission für Gesellschaftlichen
       Zusammenhalt und im Bundesnetzwerk Integration der CDU, zuletzt hat sie den
       rheinland-pfälzischen Spitzenkandidaten Christian Baldauf beraten.
       
       „Die Wahlergebnisse vom Wochenende sind keine Zäsur, sie reihen sich ein“,
       sagt Kinnert am Telefon. Eine Ursache dafür, aus ihrer Sicht: die
       Rückwärtsgewandtheit der CDU. „Über 90 Prozent der Parteimitglieder sind in
       der Zeit von Helmut Kohl in die CDU eingetreten, das schlägt sich auch
       inhaltlich nieder.“ Die CDU brauche eine Erneuerung. Wie es laufen könne,
       habe die Kampagne von Norbert Röttgen für den Parteivorsitz gezeigt. Dieser
       hatte mantraartig wiederholt, er wolle die CDU „weiblicher, jünger und
       digitaler“ machen. „Das war sehr modern, sehr partizipativ, sehr
       zukunftsorientiert“, sagt Kinnert.
       
       Sie ist seit 2009 in der CDU, damals war sie 17. „Ich kenne keine CDU ohne
       Angela Merkel“, sagt Kinnert. Und auch: „Dass Merkel jetzt aufhört, ist ein
       einschneidendes Erlebnis.“ Was dies für die Bundestagswahl bedeute, sei
       noch nicht absehbar. Dass es bislang weder Wahlprogramm noch Kandidaten
       gibt, macht Kinnert langsam besorgt. „Ich befürchte, dass die Zeit knapp
       wird.“
       
       Das sieht Matthias Zimmer anders. Eine frühe Festlegung auf einen
       Kanzlerkandidaten hätte der Union nichts gebracht, sagt der
       Bundestagsabgeordnete aus Hessen. „Solange Angela Merkel regiert, könnte
       sie dem in die Parade fahren.“ Befragt man Zimmer zur Lage der CDU, ist er
       gleich in Rage. „Zum Kotzen“ findet er es, dass Abgeordnete ihr Mandat
       missbraucht haben, um sich zu bereichern. Der 59-jährige
       Politikwissenschaftler sitzt an seinem Schreibtisch am Frankfurter
       Stadtrand, auch ihn erreicht man am Telefon.
       
       Bei den Kommunalwahlen am Sonntag hat auch die hessische CDU schlecht
       abgeschnitten, die Grünen liegen in fast allen großen Städten vorn. Zum
       ersten Mal könnte sich im Frankfurter Stadtparlament sogar eine Mehrheit
       jenseits der CDU formieren. Zimmer gehört dem Präsidium der Landespartei
       an. „Ich dachte, die 24 Prozent bei der Kommunalwahl vor fünf Jahren seien
       der absolute Tiefpunkt.“
       
       Zimmer hat gerade eine Niederlage erlebt. Bei der Wahl des CDU-Kandidaten
       für den Bundestag ist er durchgefallen, obwohl er den Wahlkreis 182 dreimal
       in Folge gewonnen hat. Die Delegierten wählten stattdessen einen Banker vom
       Wirtschaftsflügel. „Ich bin ein Merzgefallener“, sagt Zimmer. Er glaubt, er
       sei auch unterlegen, weil er beim Bundesparteitag nicht für Friedrich Merz
       als CDU-Chef gestimmt hat. Merz sei eine riesige Projektionsfläche für die
       Unzufriedenen, denen der schnelle gesellschaftliche Wandel nicht passt.
       Doch die CDU müsse sich entscheiden: „Nur wenn sie sich dem
       gesellschaftlichen Wandel stellt und auch den WählerInnen in der Mitte ein
       Angebot macht, kann sie Wahlergebnisse von 35 Prozent und mehr erreichen.“
       
       Für die Bundestagswahl liegen 35 Prozent und mehr gerade für die CDU in
       weiter Ferne. Überall ist die Unruhe groß. Wird die Coronapolitik nicht
       erfolgreicher, tauchen weitere Korruptionsfälle auf – dann könnte aus der
       Unruhe auch Panik werden.
       
       20 Mar 2021
       
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