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       # taz.de -- Olympia ohne ausländische Zuschauer: Kümmerling im Spieleparadies
       
       > Weil das Vorsorgeprinzip wieder einmal das Handeln bestimmt, finden die
       > Olympischen Sommerspiele in Tokio ohne ausländische Fans statt.
       
   IMG Bild: Japan bleibt unter sich: Olympia in Tokio wird zum sehr exklusiven Event
       
       Manchmal hilft nur ein Blick in die Geschichte: Die Olympischen Spiele von
       Antwerpen, veranstaltet im [1][Sommer des Jahres 1920], stehen im Zeichen
       der Spanischen Grippe, vielmehr noch unter dem Eindruck des Ersten
       Weltkriegs. Es ist zwar schon eine Weile her, dass die dritte Welle der
       Virusgrippe mit einer wesentlich höheren Sterblichkeit, als wir sie von
       Corona kennen, zu Ende gegangen ist. Aber die Grippe scheint erst vor
       wenigen Wochen aufgegeben zu haben.
       
       Deutsche sind als ehemalige Kriegstreiber nicht eingeladen, dafür durfen
       die anderen Mannschaften erstmals unter der olympischen Flagge antreten;
       auch der olympische Eid wird zum ersten Mal gesprochen. Und: Zuschauer sind
       in Antwerpen erlaubt, es wird nicht einmal Fieber gemessen an den
       Stadiontoren. Die Ticketpreise sind zwar teilweise sehr hoch, weswegen
       manche Wettbewerbe nicht so gut besucht sind, aber wer will, kann zum
       Beispiel erstmals Eishockeymannschaften (im August!) zujubeln.
       
       Damals hatten die akut krisengeschüttelten Gesellschaften ein anderes
       Verhältnis zum Tod, das Risiko war ein ständiger Begleiter im Alltag, und
       wenn das Schicksal zuschlug, dann wurde das mit einem gewissen Fatalismus
       hingenommen. Eine höhere Gewalt hatte genommen, was ihr beliebte. Außerdem
       konnten sich vor allem die Alten daran erinnern, dass es [2][im 19.
       Jahrhundert mit Typhus, Cholera und Tuberkulose weit schlimmer] um die
       Gesundheit der Europäer stand. Heute haben wir den PCR-Test und den
       moralischen Anspruch, so viel Risiko zu vermeiden wie möglich. Duldsamkeit
       ist einer Machbarkeitsillusion gewichen.
       
       Unter diesen Vorzeichen wurde am Samstag verkündet, dass die Olympischen
       Sommerspiele ein Jahrhundert nach Antwerpen ohne ausländische Zuschauer
       stattfinden werden. Nur Medienmenschen aus aller Herren Länder sind
       zugelassen, sie müssen sich allerdings einem strengen Hygienekonzept fügen
       und zum Beispiel angeben, wo sie wann sind.
       
       ## Enttäuschung im Team USA
       
       Dieses Verdikt trifft vor allem die USA hart, denn Olympiatourismus gehört
       dort zum sportiven Kulturgut. Die Fans aus Salt Lake City oder Atlanta,
       zumeist gewandet in Khaki-Shorts und Polohemd, gehören zu den treuesten in
       der Szene. Kein Wunder, dass Team USA insgeheim hoffte, „dass diese
       Botschaft niemals kommen würde“. Es wolle weiterhin für Möglichkeiten
       eintreten, mit denen „amerikanische Fans die Spiele persönlich erleben
       können“, heißt es.
       
       „Nie zuvor ist es passiert, dass es ausländischen Zuschauern verboten
       wurde, während der Spiele ins Gastgeberland einzureisen“, verrät der auf
       Olympia spezialisierte Professor Jean-Loup Chappelet von der Uni Lausanne,
       und man weiß nicht, ob der Gelehrte sein Bedauern äußert, eine Anklage
       formuliert oder schlicht konstatiert. Fakt ist aber auch, dass die
       kommenden Spiele nur ein Rudiment sein werden, ein Kümmerling unter den
       großen Sportfesten der Vergangenheit.
       
       Das bunte und laute Treiben wurde einem Vorsorgeprinzip geopfert, das in
       Japan eigentlich schon seit Monaten sehr gut funktioniert – im Gegensatz
       zum Corona-Murks in deutschen Landen. Allein ein Blick auf Inzidenzen,
       Fallzahlen und Todesfälle verdeutlicht, [3][wie unterschiedlich die
       Pandemie in Japan und Deutschland läuft].
       
       Während hier im Wochen-Schnitt teilweise 894 Menschen pro Tag mit oder an
       Corona gestorben sind, waren es dort in der Hochphase 98. Während es hier
       im 7-Tages-Schnitt über 25.700 positiv Getestete gab, waren es in Japan in
       der Spitze 6.390. Es ist verständlich, dass sich Japan das Virus nicht mit
       einer großen Reisewelle ins Land holen will, wo es doch bis dato so gut
       läuft.
       
       Das Opfer ist ein Sportfest, das eigentlich als „Beweis für den
       menschlichen Triumph über das Virus“ (Japans Organisationskomitee)
       abgehalten werden sollte. Wäre das Virus ein vernunftbegabtes Wesen, es
       hätte wohl sehr gelacht mit seinem Kumpel aus Spanien.
       
       21 Mar 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Olympische_Sommerspiele_1920
   DIR [2] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/185394/umfrage/entwicklung-der-lebenserwartung-nach-geschlecht/
   DIR [3] https://ourworldindata.org/coronavirus/country/japan
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Markus Völker
       
       ## TAGS
       
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