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       # taz.de -- Tod eines ehemaligen Heimkindes: Jonas lebt nicht mehr
       
       > Ein junger Hamburger, der als Kind in der Haasenburg war, beging Suizid.
       > Mütter fordern Gespräche mit der Stadt über Entschädigung und
       > Entschuldigung.
       
   IMG Bild: Jonas wurde in einem Ruhewald bestattet
       
       Hamburg taz | In einem Ruhewald bei Pinneberg wurde am 10. März Jonas L.
       beerdigt. Der junge Hamburger wurde nur 24 Jahre alt. Er nahm sich das
       Leben. Im Alter von zwölf Jahren war er auf Betreiben des Jugendamtes für
       13 Monate in eines der später geschlossenen Haasenburg-Heime in Brandenburg
       gekommen. Seine Mutter Eva L. sagt: „Die Haasenburg hat meinen Sohn
       psychisch kaputt gemacht.“
       
       Sie sei damals erschrocken gewesen, als sie ihr Kind nach sechs Wochen
       besuchen durfte und erlebte, dass er bei jeder Tür fragen musste, ob er
       hindurchgehen dürfe. „Ich dachte: Was sind das für Stasi-Methoden.“ Wenn
       sie mit Jonas telefonierte, weinte er oft, sprach auch von der Angst, auf
       die Fixierliege zu kommen. Die Mutter protestierte bei der Heimaufsicht und
       trug mit dazu bei, dass diese Liegen untersagt wurden. Gelitten hat der
       Junge dort trotzdem. „Die haben meine Psyche gefickt“, sagte Jonas, als die
       taz ihn mit 17 Jahren interviewte.
       
       Zur Vorgeschichte von Jonas’ Tod gehört auch: Er wurde im August 2020 Opfer
       einer Gewalttat. Bei einer Feier im Park verletzten ihn mehrere Männer
       schwer. „Seither hatte er Angst, vor die Tür zu gehen“, sagt die Mutter.
       Damit das Verfahren nicht eingestellt wird, überlegt sie, als Nebenklägerin
       aufzutreten.
       
       Aber Eva L. möchte auch noch einmal ein Gespräch mit den in Hamburg
       politisch Verantwortlichen für die Haasenburg-Heime führen. [1][Die
       Einrichtungen wurden 2013 geschlossen], nachdem eine
       [2][Untersuchungskommission eingesetzt wurde]. Brandenburgs damalige
       SPD-Jugendministerin [3][Martina Münch entschuldigte sich] daraufhin
       öffentlich, dass man den Kindern vorher nicht geglaubt und sie nicht vor
       Übergriffen geschützt hatte.
       
       Auch Hamburg hatte jahrelang Kinder und Jugendliche in diese Heime
       geschickt. Insgesamt 52. Doch Hamburgs Senat entschuldigte sich nicht. Der
       frühere Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) hatte im Sommer 2013 erklärt,
       Hamburger seien von Missständen nicht betroffen und dies auch später nicht
       öffentlich korrigiert.
       
       Eva L. schrieb im Februar 2015 mit Regina S., ebenfalls Mutter eines
       betroffenen Sohns, einen [4][Offenen Brief an Scheele]. „Da uns neben
       unseren eignen Kindern auch noch weitere Hamburger Kinder bekannt sind, die
       von den schwerwiegenden Missständen betroffen waren, muss man sich an
       dieser Stelle fragen, was Sie zu dieser Äußerung verleitet haben mag?“,
       fragten die Frauen den Senator. „Mit wem haben Sie darüber gesprochen? Mit
       uns und unseren Kindern nicht!“ Sie forderten Scheele auf, Kontakt mit den
       Hamburger Betroffenen aufzunehmen und die Sache politisch aufzuarbeiten.
       
       Die taz schrieb über den Brief und fragte, ob Scheele mit den Müttern
       sprechen werde. Sein [5][Sprecher] lehnte dies ab. Begründung: Es liefen in
       Brandenburg ja noch Ermittlungen. Nun schloss die Staatsanwaltschaft
       Cottbus diese aber bald darauf ab. Mit [6][enttäuschendem Ergebnis]: Sie
       wurden so merkwürdig geführt, dass der Hamburger Anwalt von Jonas L. eine
       Beschwerde einlegte. Denn es wurden nicht einmal Zeugen gehört.
       
       Jonas L. hatte im taz-Interview gefordert, dass Ehemalige Schmerzensgeld
       erhalten: „Viele, die ich damals sah, hatten blaue Flecken, Blutergüsse und
       Hautabschürfungen im Gesicht.“ Und er fuhr fort: „Das Schlimmste war aber,
       wenn man sich aggressiv geäußert hat, haben die etwas, das nennt sich
       Schutzkleidung. Knieschützer, Händeschützer und Helm. Und da muss man sich
       auch schlafen legen mit den Sachen. Das hat über Nacht ziemliche Abriebe
       gegeben, denn es war ziemlich eng. Da hatte man noch mehr Abschürfungen
       von, an den Gelenken und alles.“
       
       Jonas L. erstattete im August 2013 Anzeige, unter anderem, weil er, nachdem
       er wütend im Kreis lief, von Betreuern am Boden „begrenzt“ wurde und dabei
       blaue Flecken und Abschürfungen erlitt. Er schilderte mehrere Begrenzungen.
       
       Im April 2015 bekam Jonas L. Post. Das Verfahren wurde eingestellt. Die
       Vorwürfe seien verjährt. Nur der Paragraf für „Misshandlung von
       Schutzbefohlenen“ habe eine Frist von zehn Jahren. Um ihn anzuwenden, müsse
       das Opfer „gequält, roh misshandelt oder böswillig vernachlässigt“ worden
       sein. Die von Jonas genannten Verletzungen reichten nicht, um von Quälen
       auszugehen.
       
       Laut Eva L. hat dieser Ausgang ihren Sohn getroffen. Auch zur taz sagte
       Jonas, er sei enttäuscht. Die Cottbuser Staatsanwältin warb seinerzeit um
       Verständnis, dass das Strafrecht strenge Maßstäbe anlege. Es sei zur
       Aufarbeitung der Causa Haasenburg ungeeignet. Man brauche andere Wege, um
       den Opfern zu helfen.
       
       Aber was dann? Im März 2018 standen in Brandenburg doch noch [7][zwei
       Erzieher vor Gericht]. Angeklagt, einem Hamburger Jungen bei einer
       Begrenzung das Handgelenk geschädigt zu haben. Das Verfahren wurde
       abgebrochen, nachdem beide bereit waren, dem Jungen 1.500 Euro
       Schmerzensgeld zu zahlen.
       
       ## Wunsch nach Entschädigung
       
       „Es war nicht viel Geld, aber der Junge hat sich doch darüber gefreut, weil
       sein Leid bis dahin nicht anerkannt wurde“, sagt Regina S., die damals beim
       Prozess zuschaute. Die Mutter schlägt nun vor, Hamburg solle einen Fonds
       einrichten, aus dem alle Betroffenen in der Art entschädigt werden. „Fast
       alle, die ich kenne haben heute große Probleme, stehen ohne Schulabschluss
       und Perspektive da und haben das Vertrauen in das Hilfesystem verloren.“
       „Es muss etwas passieren“, sagt auch Eva L. „Ich verstehe nicht, warum sie
       nicht entschädigt werden“.
       
       Detlef Scheele hat mittlerweile eine Nachfolgerin. Melanie Leonhard war
       früher Jugendpolitikerin der SPD und auch mit der Haasenburg befasst. Die
       beiden Mütter wären immer noch an einem Gespräch interessiert. Auf die
       Frage der taz, ob Leonhard sich anhören würde, was die Frauen zu sagen
       haben, erklärt ihr Sprecher, solche Gespräche müssten direkt mit den
       Betroffenen vereinbart werden.
       
       Eva L. sagt, sie werde schreiben. „An sich müsste die Politik auf uns
       zukommen.“ Auch Regina S. überlegt sich das. Die Abgeordnete Sabine
       Boeddinghaus (Linke) hält das Anliegen der Mütter für berechtigt. „Ich
       werde SPD und Grüne ansprechen, ob es möglich ist, einen interfraktionellen
       Antrag für Entschädigung und Entschuldigung auf den Weg zu bringen.“
       
       22 Mar 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Schliessung-der-Haasenburg-Heime/!5055500
   DIR [2] /fileadmin/static/pdf/2013-11-06_Endbericht-der-Kommission-zur-Haasenburg_Druckfassung-01-11-13.pdf
   DIR [3] https://www.maz-online.de/Brandenburg/Haasenburg-Heime-in-Brandenburg-Martina-Muench-raeumt-Fehler-des-Jugendamts-ein
   DIR [4] https://www.geschlossene-unterbringung.de/2015/02/offener-brief-von-zwei-muettern-zur-geschlossenen-unterbringung-in-der-haasenburg-an-den-hamburgischen-sozialsenator-detlef-scheele/
   DIR [5] /Kritik-an-Heimpolitik/!5021932
   DIR [6] /Missbrauch-in-Haasenburg-Heimen/!5253825
   DIR [7] /Prozess-Skandal-in-Haasenburg-Heimen/!5490730
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kaija Kutter
       
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