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       # taz.de -- Die Wahrheit: Unterfickte Nüsse beim Schweißen
       
       > Die gute alte Damenwahl kehrt auf dem Gemüseweg zurück und regelt künftig
       > wieder verlässlich die Fortpflanzung der Spezies Mensch.
       
   IMG Bild: Zwei Gemüse braucht der attraktive Mann für die Female Choice
       
       In einen Netz-Artikel der Süddeutschen Zeitung sehe ich eine Werbeanzeige
       eingebettet, die ich weitaus interessanter finde als den Artikel selbst:
       „Diese zwei Gemüse schmelzen Ihr Bauchfett über Nacht.“
       
       Klicke ich die Reklame an, erhalte ich jedoch nur eine Fehlermeldung. So
       ein Mist – welche fucking zwei Gemüse denn zum Henker? Das steht mal wieder
       nicht dabei. Offenbar hat man den Weg zum rettenden Herrschaftswissen
       bewusst steinig gehalten. Nicht jeder Hinz und Kunz verdient es, erlöst zu
       werden und das Licht der Erkenntnis erblicken zu dürfen.
       
       Von der Natur ist es nämlich gar nicht vorgesehen, dass speziell jeder Mann
       plötzlich schlank, gesund, gebildet, freundlich und somit ein
       Premium-Vermählungskandidat ist. Wo kämen wir da hin? Das funktionierte ja
       schon alleine quantitativ nicht. Denn [1][laut einem Artikel über das
       Phänomen der Female Choice], die das bei fast allen Tierarten außer unserer
       dominierende biologische Prinzip der Damenwahl bezeichnet, haben gegenüber
       achtzig Prozent der Weibchen nur etwa zwanzig Prozent der Männchen eine
       realistische Fortpflanzungschance.
       
       Und die paar Alphaschnuckis müssen sich bei der Werbung auch noch so
       richtig ins Zeug legen: Symbolische Geschenke, schillernde Gefieder,
       atemberaubend choreografierte Balztänze, elaborierte Gesänge und
       Fütterungen mit vom Maule abgesparten Aasbröckchen. Über das Angebot, in
       der Junggesellenstube gemeinsam die Briefmarkensammlung zu sichten, würde
       so eine Auerhenne nur müde kichern.
       
       ## Verwirrte Weibchen
       
       Denn erst der Mensch – ach was, nicht der Mensch: der Mann! – hat das
       Prinzip im Verlauf des „Zivilisationsprozesses“ patriarchal gekapert,
       umgedreht und schließlich so weit pervertiert, dass die verwirrten Weibchen
       hässliche Witzemacher mit nach Hause nahmen oder zu Ku’dammrasern mit ins
       Mietauto stiegen, was im einen Fall früher, im anderen später den sicheren
       Tod und auf lange Sicht auch das Aussterben der Art bedeutet hätte.
       
       Doch die gute alte Mutter Natur lässt sich auf Dauer weder unterdrücken
       noch beiseite schieben. Die Baumwurzel bricht durch den Asphalt, die Motte
       frisst den Wollpullover, das Meer holt sich die Niederlande. Und heimlich,
       still und leise kehrt auf kräftigen Sammetpfötchen nun auch die Female
       Choice zu uns zurück.
       
       Das Männchen muss, was es in den vergangenen zwanzigtausend Jahren komplett
       verlernt hat, auf einmal eine Menge bieten. Zum ersten Mal seit
       vorkultureller Zeit muss es nicht nur öfter mal die Unterhose wechseln,
       sondern obendrein ein Uni-Diplom, coole Klamotten und ein Abo der
       Süddeutschen Zeitung vorweisen. Vor allem aber muss das Bauchfett weg. Das
       sind dann exakt die oberen zwanzig Prozent, für die die Werbeanzeige ja
       auch gedacht ist. Wer möchte da nicht dazugehören? Mein Ehrgeiz ist
       geweckt.
       
       Unter dem Link zum Artikel (irgendwas mit Lothar Matthäus und
       Bundestrainer), der die Bauchfettwerbung mehr schändet denn schmückt, setze
       ich deshalb einen verzweifelten Kommentar ab: „Hilfe. Bei mir öffnet sich
       die Anzeige mit dem Bauchfett nicht. Kann mir bitte wer sagen, um welche
       zwei Gemüsesorten es sich handelt? Gern auch per PN. Danke!“
       
       Ich bekomme keine Antwort – ich soll wohl bleiben, wo ich bin: beim
       Ausschuss. Das hätte ich mir denken können. In Ermangelung belastbarer
       Erkenntnisse stelle ich mir nun eine Gurke und eine Tomate mit
       Schweißerbrillen vor, die im Dunkeln vor dem Bett eines schlafenden Mannes
       stehen und ihn mit Brennern bearbeiten. Das geschmolzene Fett fließt in
       einen Eimer.
       
       Doch noch rechtzeitig entsinne ich mich, dass die Tomate eigentlich als
       Obst gilt, während – Sachen gibt's! – der Rhabarber zum Gemüse und die
       Erdbeere zu den Nüssen zählt. Somit fällt die Tomate als Verantwortliche
       fürs Bauchfett leider flach, während ich mir den Rhabarber (sorry!) beim
       besten Willen nicht mit Schweißerbrille vorstellen kann.
       
       ## Fitte Befruchterkaste
       
       Des Weiteren imaginiere ich mir zum Slogan „Diese drei Öbste schneiden Ihre
       Haare tagsüber“ nunmehr eine Tomate (sic!), eine Birne und eine
       Stachelbeere, die mich frisurentechnisch für die Befruchterkaste fitmachen.
       Auch die nötige Bildung kommt in meiner Fantasie nicht zu kurz: „Diese vier
       Nüsse helfen dir bei deiner BWL-Magisterarbeit am Abend“, und dann sitzen
       da eine Cashew mit randloser Brille, eine Haselnuss namens Hazel, eine
       nerdige Erdnuss und eine Erdbeere vor aufgeschlagenen Lehrbüchern mit mir
       zusammen am WG-Küchentisch. Das alles stelle ich mir also vor.
       
       Was ich mir bei dem schon jetzt im Internet vorherrschenden, aggressiv
       unterfickten Umgangston hingegen nicht vorstellen kann, ist, dass eine
       exorbitante Resterampe dauerwichsender Incels die Lage auf den
       heteronormativen Schlachtfeldern unserer Gesellschaft nachhaltig zu
       entspannen vermag.
       
       Aber wer weiß, vielleicht nimmt es am Ende ja auch Druck vom Kessel
       toxischen Konkurrenzverhaltens, wenn sich mehr als Dreiviertel der Typen
       beruhigt in den bequemen Ohrensessel der sexuellen Chancenlosigkeit
       zurücklehnen können und dabei so undiskriminiert wie unauffällig in der
       Mehrheit wissen – „normal“ halt, wie der weise Checker Wolfgang Thierse
       sagen würde.
       
       Womöglich ist sogar genau das die grundlegende Veränderung, die unsere Welt
       so nötig braucht: Ein gewaltiges Heer gechillter Kurzarbeitsbienen, dazu
       Milliarden prächtig gelaunte Königinnen und eine Handvoll drahtiger
       Drohnen, die diese den ganzen Tag lang begatten müssen, bis der Pinsel
       brummt, so dass sie überhaupt keine Puste mehr für ihren üblichen
       Alphamännchenquatsch haben. Na, viel Spaß, Sisyphos in Pornoland.
       
       Wenn ich es mir recht überlege, will ich da lieber doch nicht mit dabei
       sein. Ich lösche meinen Kommentar.
       
       23 Mar 2021
       
       ## LINKS
       
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