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       # taz.de -- Dekolonisierung in Berlin: Zwei Problemstraßen weniger
       
       > Wegen Kolonialbezug kriegt die Wissmannstraße in Neukölln bald einen
       > neuen Namen. Für die gleichnamige Straße in Grunewald wird noch gesucht.
       
   IMG Bild: Studierende in Hamburg stürzten sein Abbild schon 1968: Kolonialist von Wissmann im Museum
       
       BERLIN taz | Dass in einer Stadt innerhalb von wenigen Monaten gleich zwei
       nach demselben Kolonialisten betitelte Straßen umbenannt werden, hat es
       vermutlich noch nicht gegeben. In Berlin passiert gerade genau das: Die
       [1][Neuköllner Wissmannstraße] wird ab dem 23. April Lucy-Lameck-Straße
       heißen, benannt nach der ersten Frau in der Regierung Tansanias. Für die
       Wissmannstraße in Grunewald ist der Umbenennungsprozess voll im Gange. Bis
       zum 9. April sammelt der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf noch Vorschläge
       für eine Neuwidmung.
       
       Der bisherige Namensgeber Hermann von Wissmann war im damaligen
       Deutsch-Ostafrika für diverse Kolonialverbrechen verantwortlich. Im
       heutigen Tansania schlug er 1889/1890 Widerstände gegen die
       Kolonialherrschaft mit äußerster Gewalt nieder. Zudem war Wissmann an
       sogenannten Strafexpeditionen beteiligt. Dabei wurden Dörfer geplündert, in
       Brand gesetzt und die Bewohner:innen zu Zwangsarbeit gezwungen.
       
       Bei der Suche nach einem neuen Straßennamen machte kürzlich der prominente
       Magier David Copperfield Schlagzeilen: Nach einem Bericht der Berliner
       Morgenpost soll er am 5. März bei einer Videokonferenz zur Umbenennung
       vorgeschlagen haben, die Straße nach dem jüdischen Zauberer Günther Dammann
       zu benennen.
       
       Ob David Copperfield wirklich in dem Meeting dabei war, ist indes fraglich:
       Drei bei dem Termin Anwesende berichten auf taz-Anfrage unabhängig
       voneinander, dass sich Copperfield in der Videokonferenz nicht bemerkbar
       gemacht habe. Der Vorschlag, die Straße nach Dammann zu benennen, ist
       mittlerweile dennoch beim Bezirk angekommen.
       
       Günther Dammann, auch bekannt als Robertini, lebte zwischen 1926 und 1938
       mit seiner Familie in der Wissmanstraße, ehe er ein Opfer der Schoah wurde.
       1939 wurde er zunächst als Zwangsarbeiter in eine Berliner Fabrik
       verschleppt, bevor die Nazis ihn 1942 in das Konzentrationslager Riga
       deportierten und dort ermordeten.
       
       ## Jury auf Namenssuche
       
       Wie Annegret Hansen (SPD), Vorsteherin der Bezirksverordnetenversammlung
       (BVV) von Charlottenburg-Wilmersdorf, am Telefon berichtet, kam der
       Vorschlag allerdings gar nicht direkt von Copperfield: Ein Charlottenburger
       Magier habe den Vorschlag als Mittelsmann eingebracht. Bisher liege
       außerdem noch ein weiterer Vorschlag vor. Bevorzugt werde allerdings nach
       einer Namensgeberin gesucht.
       
       Wenn die Vorschläge im April beisammen sind, entscheidet eine Jury darüber,
       welchen Namen die Straße in Zukunft tragen soll. Teil des Gremiums sind
       jeweils ein Mitglied der sechs BVV-Fraktionen, zwei Vertreter:innen von
       Decolonize Berlin und drei Anwohner:innen. Anschließend stimmt die BVV
       darüber ab.
       
       In Neukölln war dieser Prozess zügig verlaufen – auch dank einer Novelle im
       Straßengesetz, die Umbenennungen von Straßen mit Kolonialbezug erleichtert.
       Bis eine Entscheidung auch in Grunewald steht, könne es allerdings noch ein
       paar Monate dauern, erklärt Hansen.
       
       Auch in anderen Städten wurden Wissmannstraßen schon umbenannt: In Erfurt,
       Leipzig und Frankfurt (Oder) bereits zu DDR-Zeiten Anfang der 50er-Jahre.
       Auch Bochum und Stuttgart haben bereits nach dem Kolonialisten benannte
       Straßen umbenannt. Bundesweit verbleiben (neben den beiden Straßen in
       Berlin) aktuell noch 12 weitere Straßen und Plätze, die nach Wissmann
       benannt sind – etwa in Delmenhorst, Nürnberg, Düsseldorf und Solingen.
       
       Zur Namenssuche in Berlin-Grunewald betont Tahir Della von Decolonize
       Berlin: „Für eine Benennung nach einem Opfer des Nationalsozialismus wären
       wir offen. Es ist uns aber auch wichtig, Leuten zu gedenken, die im Kontext
       des Kolonialismus Widerstand leisteten.“
       
       24 Mar 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Schnelle-Strassenumbenennung-in-Berlin/!5731548
       
       ## AUTOREN
       
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