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       # taz.de -- Übertritt zum Judentum in Israel: Per Konversion zum Staatsbürger
       
       > Es bringt Israels Ultraorthodoxe auf die Palme: Neuerdings bekommen auch
       > Gläubige einen Pass, die nach den Regeln der Reformbewegung konvertieren.
       
   IMG Bild: Ultraorthodoxe bei einem Trauerzug in Jerusalem Anfang Dezember 2020
       
       Tel Aviv taz | Mittlerweile hat Facebook es geblockt, das Video, in dem
       Hunde zu sehen waren mit einer Kippa auf dem Kopf. „Dies ist ein Jude, und
       dies ist auch ein Jude“, hatte eine Voice-Over-Stimme gehässig dazu
       erklärt. Die israelische Partei United Torah Judaism hatte den Clip
       veröffentlicht und damit scharf die jüdische Reformbewegung angegriffen.
       Deren Regeln für einen Übertritt zum Judentum seien so lax, dass selbst
       Hunde konvertieren könnten.
       
       Den Zorn der Partei hervorgerufen hatte eine Gerichtsentscheidung, die in
       weiten Teilen des [1][ultraorthodoxen Lagers] in Israel einen Sturm der
       Entrüstung losgetreten hat. Seit der Gründung des Staates Israel hatten
       ultraorthodoxe Institutionen – im Gegensatz zu den Strömungen des Reform-
       und des konservativen Judentums – in religiösen Fragen das Sagen im Land.
       
       Dieses Monopol hat Israels Oberster Gerichtshof in Jerusalem mit einer
       historischen Entscheidung nun beendet: Nicht-israelische Staatsbürger, die
       innerhalb Israels über ein nicht-ultraorthodoxes Konversionssystem zum
       jüdischen Glauben übertreten, können die israelische Staatsbürgerschaft
       erhalten, hatte dieser vergangene Woche bestimmt. Schon 2005 hatten
       Strömungen des Reform- und des konservativen Judentums eine Petition an das
       Oberste Gericht gerichtet.
       
       Die Entscheidung des Obersten Gerichts betrifft unmittelbar nur sehr wenige
       Personen, die im System des Reformjudentums oder konservativen Judentums
       konvertieren. Dies sollen lediglich 30 bis 40 Fälle pro Jahr sein. Dass die
       Entscheidung dennoch so hohe Wellen schlägt, liegt daran, dass sie eine der
       grundlegenden Fragen Israels berührt: Wer ist in den Augen des jüdischen
       Staates Jude?
       
       ## Konversionen 1970 anerkannt
       
       1970 wurde das israelische Rückkehrgesetz geändert, das bis dahin allen
       Jüdinnen und Juden das Recht zugesprochen hatte, Staatsbürger*in zu
       werden. Eine Definition, wer als Jude verstanden wurde, fehlte jedoch.
       
       Erst mit der Gesetzesänderung mehr als zwanzig Jahre nach Staatsgründung
       wurde die Frage beantwortet: „Jude“, so heißt es in der Ergänzung von 1970,
       „bedeutet eine Person, die von einer jüdischen Mutter geboren wurde oder
       zum Judentum konvertiert ist“. Das Gesetz legte also lediglich fest, dass
       eine Konversion anerkannt wird, nicht aber, welche Form der Konversion
       Gültigkeit hat, ob also auch Konversionen nach den weniger strengen Regeln
       des Reform- oder konservativen Judentums zählen.
       
       Doch obwohl die Frage theoretisch lange Zeit ungeklärt blieb, hatte in der
       Praxis stets das Oberrabbinat die Kontrolle darüber, genauso wie über
       andere jüdische Lebensereignisse wie Heirat, Scheidung und Beerdigung. All
       diese sind in Israel nicht in den Händen staatlicher, sondern religiöser
       Institutionen.
       
       „Das Reformjudentum und das konservative Judentum standen einer Gründung
       des Staates Israel skeptisch gegenüber“, erklärt Shuki Friedman, Direktor
       des Zentrums für Religion, Nation und Staat am Israelischen
       Demokratieinstitut in Jerusalem. „Die orthodoxen Strömungen aber waren
       schon hier, hatten bereits vor Gründung des Staates das Oberrabbinat
       gegründet und so dann die institutionelle Religion übernommen.“
       
       Die orthodoxen Bewegungen haben seitdem jeglichen Einfluss der
       konservativen und Reformbewegung zu verhindern versucht. Mit der
       Entscheidung des Obersten Gerichtshofs wurde das ultraorthodoxe Monopol nun
       gebrochen.
       
       ## Euphorie unter Juden in den USA
       
       In den USA hingegen mit der zweitgrößten jüdischen Community weltweit – je
       nach Zählweise sind es zwischen fünf und neun Millionen – ist das
       Verhältnis zwischen den religiösen Strömungen umgekehrt. Lediglich rund
       fünf Prozent der jüdischen US-Amerikaner*innen bezeichnen sich als
       ultraorthodox.
       
       Die meisten der US-Juden fühlen sich entweder dem Reformjudentum oder dem
       konservativem Judentum verbunden oder bezeichnen sich als säkular. Unter
       ihnen wurde die Entscheidung euphorisch begrüßt; für sie kommt es einer
       späten Anerkennung ihres Lebensstils gleich: „Jahrelang“, so Friedman, „hat
       Israel, Heimstätte vieler amerikanischer Juden, ihnen jegliche Anerkennung
       des Glaubens von Reformjuden und konservativen Juden versagt.“
       
       In Israel kündigten die ultraorthodoxen Parteien an, die Entscheidung zu
       bekämpfen und in der Knesset ein Gesetz durchzubringen, dass die
       Entscheidung des Obersten Gerichtes rückgängig macht.
       
       Friedman hält es jedoch nicht für wahrscheinlich, dass es wirklich dazu
       kommt: „Jeder weiß, dass eine Rücknahme dieser Entscheidung einen
       Rieseneinfluss auf die Beziehungen zwischen Israel und den nicht-orthodoxen
       Gemeinden in den Vereinigten Staaten haben wird“, erklärt er. „Wer auch
       immer nach der [2][Parlamentswahl im März] Ministerpräsident sein wird,
       wird wohl verhindern, dass es dazu kommt.“
       
       11 Mar 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Judith Poppe
       
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