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       # taz.de -- Protokoll einer Mutter zum Homeschooling: „Mein Kind ist isoliert“
       
       > Eine Hamburgerin wünscht sich, dass ihr älterer Sohn wieder zur Schule
       > kann, denn er sei einsam. In der Pubertät müssten Kinder sich lösen
       > können.
       
   IMG Bild: Einige Stunden Unterricht am Laptop sind zu wenig Tagesstruktur, klagt eine Mutter
       
       Hamburg taz | Neulich traf ich eine Nachbarin beim Spazierengehen. Sie
       sagte: Schön, dass die Schule wieder losgehe. Ihre drei dürften hin. Ich
       sagte, [1][bei uns nur eins von zweien]. Da sagte sie, das sei halt Pech.
       Ich habe das Gefühl, jeder sitzt jetzt im eignen Saft. Ignoriert die Sorgen
       des anderen. Versucht nur, selbst durchzukommen. Es ist kaum möglich,
       Allianzen zu bilden.
       
       Ich habe ein Sechstklässlerkind, das darf zur Schule, und einen
       Achtklässler, der darf nicht. Und das ist dramatisch, weil das Kind nicht
       rund läuft. Er kam im Lockdown in die Pubertät. Und beides ist keine gute
       Kombination.
       
       Im ersten Lockdown hatten sich beide Kinder zurückgezogen und stark
       vereinzelt. Also gar nicht mehr getroffen mit anderen. Das jüngere Kind hat
       sich dann im Mai, Juni davon erholt. Das ältere nicht. Ich habe zu spät
       begriffen, dass was im Argen liegt und dass er sich selbst isoliert hat.
       
       Ich denke, Pubertät ist eine Zeit, in der Kinder sich von den Eltern lösen
       müssen und anfangen, zu rebellieren und abzulehnen, wofür die Eltern
       stehen. Nur sind die [2][Kinder seit Monaten mit uns eingesperrt], haben
       keine anderen Idole.
       
       ## Soziale Ängste entwickelt
       
       Sicher, das ist auch eine Veranlagungs-Sache. Und Eltern müssen schauen,
       dass sie nichts dramatisieren. Aber man kann auch nicht nichts tun. Mein
       Kind hat soziale Ängste entwickelt. Er kommt kaum aus dem Zimmer, trifft
       sich nicht mit Freunden. Ist in keiner Whatsapp-Gruppe mehr drin. Die haben
       sich inzwischen neu gebildet.
       
       Er war nie unbeliebt. Aber er trifft niemand mehr, ist auf Tauchstation. Er
       ist nur über das Minecraft-Spielen mit zwei Kumpeln verbunden. Laut
       Diagnose einer Psychologin hat er eine Spielsucht. Ein Therapieplatz ist
       gerade nicht zu haben. Alles sei ausgebucht.
       
       Wir erhielten jetzt Verhaltenshinweise. Wir sollen ihm Struktur bieten. Die
       Schule mit dem „Distanzlernen“ am Laptop reicht dafür nicht aus. Manchmal
       sind es acht Stunden, oft aber nur zwei, drei oder auch mal nur eine am
       Tag. Wir sollen ihm Computerspielen erlauben, aber die Zeit begrenzen. Nur
       ist das schwierig im Homeschooling, weil mein Kind für die Schule online
       verfügbar sein muss. Auch wenn wir WLAN abstellen, findet er ein
       Schlupfloch. Die sind ja nicht blöd, die Kids.
       
       Es heißt zwar, es gibt Notbetreuung an den Schulen, aber eine Zeit lang
       hatten wir geglaubt, es ist gar nicht mehr erlaubt, die Kinder
       hinzuschicken. Es kam seit Januar von der Schule gar keine Abfrage mehr,
       wer das möchte. Es entstand ein Druck, das nicht zu tun. Der Lehrer sagte,
       schicken sie ihn doch. Aber da saß er allein in der Klasse.
       
       Die Schulleiterin war nett, bot an, eine Lerngruppe einzurichten. Aber es
       fanden sich keine anderen Eltern, die bereit waren, ihr Kind in die Schule
       zu schicken. Auch private Verabredungen sind schwierig. Zwei-, dreimal habe
       ich es versucht. Ich hatte den Eindruck, die ließen sich nur aus
       Pflichtgefühl darauf ein.
       
       Ich versuche Bewegung anzubieten. Wir gehen joggen, haben eine
       Tischtennisplatte gekauft. Und Mitte März war für zwei Wochen auch wieder
       Fußballtraining in der Gruppe erlaubt. Das hatte ihm gut getan. Da hatte
       ich das Gefühl, er kommt wieder etwas in Gang. Das Serotonin, dass sich bei
       Bewegung bildet, hat ihn glücklich gemacht. Nun ist wieder nur Einzelsport
       erlaubt.
       
       Ich soll auf regelmäßigen Mahlzeiten bestehen. Oft kommt er gar nicht. Da
       muss ich hingehen, die Kopfhörer abnehmen. Dann ist er erst mal sauer.
       
       ## Manchmal rufe ich nur noch an
       
       Ob das anstrengend ist für mich als Mutter? Es ist schwer, ihn loszulösen.
       Ihn ins Familienleben zu integrieren, ist äußerst anstrengend, weil er sein
       Zimmer oben hat. Man stumpft ab. Manchmal rufe ich nur noch an und er nimmt
       nicht ab, weil sein Handy stumm ist.
       
       Was ich fordere? Ich kenne andere Mütter, die von ihren Kindern das Gleiche
       berichten. Es sollten möglichst schnell die Klassen, die noch zu Hause
       sind, in die Schulen kommen, gern auch erst mal nur im Wechselunterricht.
       Ich höre Eltern, die sich über Tests und Mundschutz im Klassenraum
       beklagen. Denen möchte ich sagen: Ihr könnt doch froh sein, dass eure
       Kinder in der Schule sind! Also, mein Sohn müsste sofort hin.
       
       Und ich weiß vom Hamburger Schulfrieden. Alle haben Angst, das Thema
       anzufassen. Aber der Schulfrieden ist geschlossen worden, als wir noch
       keine Pandemie hatten. Deshalb sollten wir eine Rückkehr zum neunjährigen
       Abitur erwägen. Dann könnten alle Kinder in Ruhe ihre schulischen Defizite
       und die Seelen heilen lassen.
       
       28 Mar 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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