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       # taz.de -- Entschuldigungen im Hollywood-Film: Noch nie was Dümmeres gehört!
       
       > Aus aktuellem Anlass werfen wir einen Blick auf das wandlungsfähige Thema
       > Entschuldigungen im Hollywood-Film. Wichtig ist es dort allemal.
       
   IMG Bild: I'm sorry: Oliver Barrett (Ryan O'Neal) und Jennifer Cavalleri (Ali Macgraw) in „Love Story“ (1970)
       
       Erster großer Streit einer ersten großen Liebe: Er, Oliver Barrett (Ryan
       O’Neal), Harvardstudent aus bestem East-Coast-Hause, schaut voller Hass auf
       seine reichen, konservativen Eltern, weil diese sie, seine frisch
       Vermählte, Jenny Cavilleri (Ali MacGraw), musikalisch hochbegabte,
       bettelarme Radcliffe-Studentin, [1][aus klassistischen Gründen] ablehnen.
       Um sich zu rächen, will er eine Einladung zu Papas (Ray Milland) 60.
       Geburtstag ausschlagen.
       
       Jenny mit ihrem weichem Herz und ihrem tief verankerten Familiensinn
       versucht trotzdem, ihn zu überreden, denn „dein Papa liebt dich doch!“ Als
       das nicht klappt, ruft sie selbst bei Olivers Vater an. Aber Oliver schlägt
       ihr den Hörer (Bakelit-Festnetzapparat, der Film, „Love Story“, ist von
       1970) aus der Hand.
       
       Die Luft brennt, der Haussegen ist heruntergepoltert, sie rennt aus der
       Wohnung. Oliver hinterher, sucht sie den ganzen Tag. Im Konservatorium
       reißt er alle Türen auf, läuft über den Campus, das Spinett klimpert
       „Schicksalsmelodie“, es wird dunkel, aus Dramagründen übernimmt die volle
       Orchestermontur. Schließlich trottet Oliver zurück in das Häuschen, kann es
       nicht fassen: Hat er seine erste, große, wahre Liebe verjagt? Hat er Jenny
       verloren?!
       
       ## Nie um Verzeihung bitten müssen
       
       Nein: Jenny sitzt auf den Treppenstufen, schlotternd vor Kälte, mit
       Glyzerintränen in den klimpernden Wimpern – sie hat vor lauter Ehekrach den
       Schlüssel vergessen. „Jenny, I’m sorry …“, beginnt er. Und sie antwortet
       mit dem Satz, den Arthur Hillers wunderschöne Arm-reich-Polit-Romanze nach
       einem Drehbuch von Erich Segal (der mit der Romanadaption seines eigenen
       Skripts kurz darauf ein weiteres Mal absahnte) nach Ansicht des gemütvollen
       Publikums auf den Punkt brachte: „Love means never having to say I’m
       sorry!“
       
       Damit ist zumindest zwischen den beiden wieder alles in Butter. Kurz
       darauf, darum ist der Film ja so ergreifend, erkrankt die patente Jenny an
       teuer zu behandelndem Krebs. Oliver fasst sich ein Herz und bettelt den
       verhassten Vater um Geld an, sagt ihm – oh dieser Barrett’sche Stolz! –
       aber nicht, wofür, und bekommt keins. Jenny stirbt (vielleicht darum?). Als
       Oliver gebrochen das Krankenhaus verlässt, bleibt er in der Drehtür
       stecken, durch die Dad gerade hereinkommt – eine großartig exemplarische
       Szene für den Generationen-Gap, die erstickend-toxische Männlichkeit.
       
       Der alte Barrett, nichtsahnend, läuft dem Sohn hinterher auf die Straße:
       Ich hab gehört, deine Frau ist krank – kann ich helfen? Jenny ist tot, sagt
       Oliver. „I’m sorry …“, stammelt der Alte. Damit folgt der zweite Teil von
       Segals humanistischer Abhandlung über Entschuldigungen: „Love means never
       having to say I’m sorry“, wiederholt Oliver gegenüber seinem Vater. Jenny
       wäre glücklich: Alle Papis lieben ihre Bambini, das hat der verlorene Sohn
       eingesehen.
       
       ## Sinn und Unsinn von Verzeihung
       
       Weil jener Filmzitat-Listen-Spitzenreiter-Satz neben seinem Kommentar zu
       Sinn und Unsinn von Verzeihung auch noch ziemlich kitschig ist, denkt sich
       Regisseur Peter Bogdanovich zwei Jahre später etwas dazu aus. In der
       letzten Szene seiner Post-Screwball-Comedy „Is’ was, Doc?“ sitzt wiederum
       Ryan O’Neal alias Musikprofessor Howard Bannister tieftraurig im Flugzeug,
       hat – anscheinend – das Einzige verloren, was je Leidenschaft in sein
       nerdiges Leben brachte: die clevere, redselige Chaos-Braut Judy ([2][Barbra
       Streisand] mit Ballonmütze).
       
       Doch, oh Wunder, plötzlich hört er sie quatschen. Er dreht sich um. „Judy,
       I’m sorry“ beginnt er. Sie fällt ihm ins Wort: „Love means never having to
       say I’m sorry!“ („Lieben bedeutet, niemals um Verzeihung bitten zu
       müssen“), flötet sie, wie Ali MacGraw zwei Jahre zuvor gegenüber O’Neal
       (damals Oliver), und klimpert mit den Wimpern. „That’s the dumbest thing
       I’ve ever heard“ („Was Dümmeres hab ich noch nie gehört“), antwortet
       O’Neal. Kuss und Schluss.
       
       27 Mar 2021
       
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