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       # taz.de -- Vorgezogene Wahlen auf der Arktisinsel: Rote Sonne über Grönland
       
       > Die Regierung der Arktisinsel zerbrach am Streit um den Uran-Bergbau. Bei
       > den Wahlen am Dienstag geht es auch um den Weg zur Selbstständigkeit.
       
   IMG Bild: Uran? Nein, danke! Demonstration gegen eine geplante Uranmine am 3. April in Nuuk, Grönland
       
       Stockholm taz | Die lachende rote Sonne auf gelbem Grund gehört seit
       Monaten zum Stadtbild von Grönlands Hauptstadt Nuuk und anderen Orten der
       Arktisinsel. Mit dem Logo der Anti-Atomkraft-Bewegung gehen die
       GrönländerInnen immer wieder auf die Straßen. Dabei gibt es hier gar keine
       Atomkraft, die nächsten AKWs liegen in Kanada, mehr als 2.000 Kilometer
       Luftlinie entfernt. Woher also die Sorge? Auf Grönland soll Uran abgebaut
       werden. Auf den meisten Transparenten ist die rote Sonne deshalb von dem
       Slogan „Urani? Naamik“ – „Uran? Nein, danke“ – umrahmt.
       
       Diskutiert wird das Projekt schon seit mehr als einem Jahrzehnt. Aber
       zuletzt zeichnete sich im Parlament eine Mehrheit ab, die das
       Bergbauvorhaben genehmigen lassen will. Am Streit darüber zerbrach im
       Februar die Regierung des zu Dänemark gehörenden autonomen Territoriums. An
       diesem Dienstag finden deshalb vorgezogene Neuwahlen statt, im Wahlkampf
       war die Uranfrage das beherrschende Thema.
       
       „Man kann nicht in der Nähe eines Urantagebaus leben“, sagt Mariane
       Paviasen. Sie ist stellvertretende Vorsitzende der linken Inuit
       Ataqatigiit, die aus den letzten Wahlen als stärkste Oppositionspartei
       hervorgegangen war. Paviasen lebt im südgrönländischen Narsaq. Der Ort mit
       seinen 1.300 EinwohnerInnen liegt nur sechs Kilometer vom Kvanefjeld
       entfernt, wo der Minenbetrieb geplant ist. Die Bergregion, die auf
       Grönländisch Kuannersuit heißt, ist Teil einer geologischen Formation, die
       als eine der mineralreichsten der Erde gilt.
       
       Vor allem werden hier reiche Vorkommen an Seltenen Erden vermutet, Metalle,
       die man für die Elektronik in Smartphones und E-Autos, für Windkraftwerke,
       Solarzellen oder LED benötigt – und auch für avancierte Waffensysteme.
       Diese Rohstoffe waren ein wesentlicher Grund für den missglückten Vorstoß
       des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, [1][der Dänemark vor zwei
       Jahren die Insel abzukaufen] versuchte. Bislang hat China quasi ein Monopol
       auf Seltene Erden.
       
       ## Atommüll würde Trinkwasser gefährden
       
       Neben diesen gibt es im Kvanefjeld auch reiche Uranvorkommen. Wenn man die
       Seltenen Erden wie geplant in einem Tagebau abbaggern würde, würde man
       gleichzeitig zwangsläufig auch das Uran fördern. Die chemischen
       Hinterlassenschaften des Produktionsprozesses sollen zusammen mit niedrig
       radioaktivem Abfall hinter einem künstlichen Damm in einer Seedeponie in
       den Bergen gelagert werden. KritikerInnen befürchten, dass das die
       Trinkwasserversorgung gefährdet und die hier auftretenden starken Winde
       zugleich radioaktiven Staub über Dutzende Kilometer verbreiten.
       
       Für Paviasen gibt es nur eine Option: das Kvanefjeld in Ruhe zu lassen.
       „Wir riskieren ansonsten, in einem Land zu leben, das für nichts mehr
       genutzt werden kann. Wo man nicht jagen oder fischen kann, weil alles
       verstrahlt ist.“
       
       Die einheimische Urani-Naamik-Opposition steht mit ihrem Widerstand nicht
       allein. Im Februar schlossen sich 141 Umweltorganisationen aus aller Welt
       einem Aufruf gegen jede Art von Urangewinnung auf Grönland an. „Grönland
       und die Arktis zu beschützen, ist nicht nur eine lokale, regionale oder
       nationale, sondern eine globale Aufgabe“, sagt Diego Marin vom [2][European
       Environmental Bureau] (EEB), dem größten Netzwerk europäischer Umwelt-NGOs.
       
       Grönland brauche nun einmal die Einkünfte, die durch Ausbeutung der reichen
       Bodenschätze des Landes zu erzielen sind, lautet die Gegenposition, die vor
       allem die sozialdemokratische Siumut vertritt. Sie hat das Land seit 2018
       regiert. „Wie wollen wir denn ansonsten unser Sozialsystem finanzieren“,
       fragte dieser Tage die stellvertretende Vorsitzende Inga Dora Markussen in
       einem Interview mit dem dänischen Rundfunk: „Das Kvanefjeld hat
       unglaubliches Potenzial: viele Arbeitsplätze, reiche Einnahmen für die
       Staatskasse.“
       
       ## Hoffnung auf Finanzspritzen
       
       Derzeit hängt Grönlands Haushalt noch am finanziellen Tropf Dänemarks. Ein
       Drittel des Staatsbudgets, umgerechnet über 500 Millionen Euro jährlich,
       schießt Kopenhagen zu. Siumut rechnet damit, dass allein das, was der
       Fiskus an Steuern und Abgaben aus dem Kvanefjeld/Kuannersuit-Projekt
       erhalten würde, fast der Hälfte des bislang vom Mutterland gestopften
       Haushaltslochs entsprechen würde.
       
       Die GegnerInnen des Projekts stellen solche Kalkulationen infrage: Steuern
       zahlen Unternehmen auf Gewinne. Gerade internationale Grubenkonzerne haben
       sich aber den Ruf erworben, diese perfekt verstecken zu können, sodass sie
       allenfalls in irgendwelchen Steuerparadiesen anfallen. Sollten sich die
       Hoffnungen auf eine kräftige Finanzspritze für die Staatskasse tatsächlich
       bewahrheiten, könnte dieses Minenprojekt allerdings durchaus „ein seriöser
       Schritt zu ökonomischer Selbstständigkeit werden“, sagt Javier Arnaut,
       Dozent an Grönlands arktischer Universität Ilisimatusarfik. Ökonomische
       Selbstständigkeit gilt als Voraussetzung für die politische
       Selbstständigkeit des Landes.
       
       Die volle Unabhängigkeit von Dänemark steht auch bei Inuit Ataqatigiit und
       den anderen Parlamentsparteien ganz oben auf der Prioritätenliste.
       Alternative oder zusätzliche Staatseinnahmen zu den jetzigen, die vor allem
       von Sektoren wie Fischfang und Tourismus generiert werden, würden von allen
       Parteien deshalb gerne gesehen. Und dabei spielt Mineraliengewinnung
       durchaus eine Rolle. Nicht weniger als 72 Projekte zur Förderung von
       Bodenschätzen – von Eisen über Zink und Edelsteinen bis zu Gold – befinden
       sich derzeit in verschiedenen Projektphasen.
       
       Großen Widerstand gibt es aber, sobald es um Uran geht. Bis 2013 gab es in
       Grönland sogar ein [3][gesetzliches Verbot der Urangewinnung], das damals
       vom Parlament mit einer Stimme Mehrheit aufgehoben wurde – um Kvanefjeld
       überhaupt zu ermöglichen.
       
       Das Gebiet mit den Uranvorkommen liegt im relativ wenig besiedelten Süden
       des Landes. Es ist nicht nur besonders naturschön, sondern gilt auch als
       „Speisekammer Grönlands“. Hier wird ein Großteil der landwirtschaftlichen
       Produkte erzeugt und umfassende Schafzucht betrieben. Von Uranstaub
       belastetes Gras in den Bergen und verstrahlter Tang am Fjord könnten das
       Ende für die landwirtschaftliche Produktion bedeuten.
       
       ## Auch Peking hat Interessen
       
       Und es gibt noch einen Haken. Greenland Minerals, die das
       Kvanefjeld-Projekt betreiben will, ist juristisch zwar eine australische
       Gesellschaft, hinter ihr stehen aber chinesische InvestorInnen. In einer
       Analyse des dänischen Instituts für internationale Studien DIIS kommen
       dessen ExpertInnen zu dem Schluss, dass es Peking nicht nur um Seltene
       Erden und Uran geht, sondern um ein strategisches Interesse an Grönland.
       
       Chinesische Unternehmen haben bereits Förderlizenzen für eine Eisen- und
       eine Kupfermine auf der Insel erworben. Kopenhagen musste intervenieren, um
       den Kauf eines Hafens und die Beteiligung an Verkehrsinfrastrukturprojekten
       durch chinesische Firmen zu verhindern. Dänemarks militärischer
       Nachrichtendienst warnte kürzlich „vor besonderen Risiken, die aufgrund der
       engen Verbindungen zwischen Wirtschaftsunternehmen und dem politischen
       System mit umfassenden Investitionen Chinas auf Grönland verbunden sind“.
       
       Der Ausgang der Wahl zum Inatsisartut, dem grönländischen Parlament, könnte
       so nicht nur die Zukunft des Kvanefjeld entscheiden, sondern auch die der
       57.000 BewohnerInnen der größten Insel der Erde. Siumut will laut
       Wahlprogramm einen Betrieb des Tagebaus genehmigen, Inuit Ataqatigiit das
       Projekt endgültig kippen. Nach den jüngsten Umfragen lagen die GegnerInnen
       vorne.
       
       Kein Wunder, dass sich Greenland Minerals mit einer massiven PR-Kampagne,
       darunter ganzseitigen Zeitungsannoncen und Bannerwerbung im Internet, in
       den Wahlkampf eingemischt hat. „Für die steht unheimlich viel auf dem
       Spiel“, sagt Per Nikolaj Bukh, Ökonomieprofessor an der Universität
       Aalborg: Es geht um Milliardenprofite.
       
       6 Apr 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Donald-Trump-moechte-Groenland-kaufen/!5616122
   DIR [2] https://eeb.org/
   DIR [3] /Parlament-fuer-Uranabbau/!5056339
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reinhard Wolff
       
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