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       # taz.de -- Rechte an Corona-Impfstoffen: Patentierter Massenmord
       
       > Impfstoffpatente gehören Pharmakonzernen. Ohne sie könnten
       > Produktionsstätten weltweit größere Mengen herstellen.
       
   IMG Bild: Produktionsstätte des Pharmaunternehmens Sinovac in São Paulo, Brasilien
       
       Es gibt unterschiedliche Arten von Massenmord. Eine heißt „Patent“. In
       einer Welt extremer sozialer Unterschiede entscheiden Patente, wer
       überleben darf. Deswegen haben jene, die in einer globalen Pandemie
       wiederholt verhindern, dass die Patentrechte für Covid-19-Arzneien,
       Impfstoffe und medizinische Produkte ausgesetzt werden, Blut an den Händen.
       Das ist keine Übertreibung, das ist tödlicher Ernst.
       
       Die Europäische Union hat im März zum achten (!) Mal einen diesbezüglichen
       [1][gemeinnützigen Vorschlag der Regierungen Indiens und Südafrikas bei der
       Welthandelsorganisation] blockiert, unisono mit den USA und Großbritannien.
       Die Mitgliedsländer einigten sich stattdessen darauf, das Thema Mitte April
       erneut zu behandeln. Während wir hierzulande über ausbleibende
       Liefermengen klagen, haben die Menschen in jedem zweiten Land auf Erden
       [2][so gut wie keine Impfungen erhalten].
       
       Grund dafür ist, dass die Impfstoffe den Pharmakonzernen gehören. Selbst
       innerhalb der kapitalistischen Logik ist das ungerecht, denn ihre
       Entwicklung wird in den meisten Fällen durch jahrzehntelange öffentliche
       Finanzierung erst ermöglicht. Die Impfstoffe der Unternehmen
       Biontech/Pfizer und Moderna beruhen auf grundlegenden Entdeckungen, die mit
       staatlicher Unterstützung an universitären Forschungsstellen gelungen sind.
       
       So die essenziell wichtige RNA-Modifikation (daher der Name „[3][Moderna“:
       „Modified“ + „RNA]“), die an der Universität Pennsylvania entwickelt wurde.
       Neben solcher Grundlagenforschung hat die öffentliche Hand zudem weltweit
       zusätzliche [4][93 Milliarden Euro in die Entwicklung der Impfungen]
       investiert. „Dieser Impfstoff gehört den Menschen“, forderte folgerichtig
       [5][Peter Maybarduk], Leiter von Access to Medicines bei Public Citizen in
       der Zeitschrift Scientific American.
       
       ## Forschung durch Steuergelder finanziert
       
       „Öffentlich bezahlte Wissenschaftler haben ihn erfunden, die Steuerzahler
       haben seine Entwicklung finanziert. Er sollte Eigentum der ganzen
       Menschheit sein.“ Zudem sorgen die Pharmapatente für eine künstliche und
       somit profitable Verknappung der Mengen. Wie viel mehr könnte hergestellt
       werden, wenn weltweit die Produktionsstätten nun grünes Licht bekämen.
       Stattdessen erfolgt eine privatwirtschaftliche Enteignung
       gesellschaftlichen Vermögens – mithilfe des Staates und somit als
       staatskapitalistischer Übergriff.
       
       Die zu erwartenden Gewinne werden gigantisch sein, denn die Konzerne haben
       sich bereit erklärt, die Preise nur so lange zu deckeln, wie die Pandemie
       anhält. Sie haben sich aber ausbedungen, selbst zu entscheiden, wann diese
       vorbei sein wird. Einige von ihnen haben angedeutet, die Schonzeit werde
       spätestens Ende dieses Jahres ablaufen. Ein amerikanischer Freund schrieb
       mir neulich, wie dankbar seine Eltern gewesen seien, die Impfung kostenlos
       erhalten zu haben.
       
       „Aber ihr habt das verdammte Zeug ohnehin schon bezahlt“, erwiderte er,
       „ihr seid also dankbar, es nicht doppelt bezahlen zu müssen.“ Also, zum
       Mitschreiben, für all jene ohne Herz und Hirn, die dieses
       menschenverachtende System aufrechterhalten: Uns ALLEN gehört der Impfstoff
       und es ist in unser ALLER Interesse, dass weltweit ALLE geimpft werden,
       also gibt es nur eine vernünftige und ethische Politik: Impfstoff als
       Gemeingut, weltweit kostenlos oder zum Selbstkostenpreis verteilt.
       
       Siehe da, genau das hat [6][Ursula von der Leyen schon letzten April
       gefordert. Der Impfstoff müsse in ein globales Gemeingut] umgewandelt
       werden, um eine gerechte Verteilung zu sichern. Wahrscheinlich war dies,
       bevor Lobbyisten und Industrielle den Verantwortlichen hinter
       verschlossenen Türen erklärten, wem sie wirklich zu dienen haben (Tipp:
       nicht der Gesellschaft).
       
       Bevor wie üblich jetzt jemand aufschreit, das Ganze sei nicht so einfach
       und außerdem viel komplexer, dem oder der sei gleich zugestanden, dass es
       selbstverständlich eine Reihe weiterer logistischer und technischer
       Herausforderungen gibt. Deshalb hat die oft geschmähte
       Weltgesundheitsorganisation schon im vergangenen Jahr einen Technologiepool
       eingerichtet. Ziel ist es, das notwendige Know-how mit Herstellern in armen
       Ländern (gerade Indien hat beachtliche Kapazitäten) zu teilen.
       
       ## Leben retten reicht nicht als Motivation
       
       Kein einziger Impfstoffhersteller hat sich bislang daran beteiligt. Die
       Konzerne möchten nicht, und wer könnte sie dazu zwingen? Angeblich gibt es
       dafür gute Gründe. Ein Aufweichen des geistigen Eigentums schwäche
       zukünftige Innovationen. Das muss man sich auf den Ohren zergehen lassen.
       Menschenleben zu retten und Leid zu lindern reicht als Motivation für die
       Forschung nicht aus! Was taugen die Instrumente eines Systems, wenn sie nur
       dann in Zukunft und Leben investieren, wenn saftige Dividenden locken?
       
       In den Medien wird diese Frage momentan kaum diskutiert. Stattdessen werden
       im Fernsehen Touristen vor dem Abflug nach Mallorca interviewt. Eine junge
       Frau erklärt, sie müsse unbedingt verreisen, denn sie wolle „ihr Leben
       nicht verpassen“.
       
       Abgesehen von der traurigen Tatsache, dass sich manche Menschen nur am
       Leben wähnen, wenn sie [7][nach Malle fliegen], stellt sich die Frage, ob
       nicht vielmehr jene ihr Leben verpassen, die morgen und übermorgen ohne
       Impfung sterben, meist ohne zu wissen, wie leicht sie hätten gerettet
       werden können – mit einem Akt der Mitmenschlichkeit.
       
       Zu Beginn dieser Pandemie gab es berechtigte Hoffnungen, dass die Krise zu
       einem Innehalten und Überdenken führen könnte – weg von Gier und Profit,
       hin zur überlebensnotwendigen Solidarität. Diese Hoffnung hat sich
       zerschlagen. Früher forderten Nationalisten einen Platz an der Sonne, heute
       reservieren sie einen Platz an der Spritze. Während wir uns bald in
       Immunität wiegen können, werden Milliarden leer ausgehen. Eine rundum
       patente Lösung.
       
       7 Apr 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.mpg.de/16557172/patentschutz-corona-impfung
   DIR [2] https://is.gd/TvxfaJ
   DIR [3] https://is.gd/x8yz25
   DIR [4] https://healthpolicy-watch.news/81038-2/
   DIR [5] https://www.citizen.org/about/person/peter-maybarduk/
   DIR [6] https://www.facebook.com/watch/?v=766188400970019
   DIR [7] /Die-Wahrheit/!5757172
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ilija Trojanow
       
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