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       # taz.de -- Schallplattenlabel pläne: Ohrwürmer für ein linkes Publikum
       
       > Das Schallplattenlabel pläne beschallte die westdeutsche Friedensbewegung
       > der 1970er und 1980er Jahre mit DDR-Unterstützung. Ein Porträt.
       
   IMG Bild: Der Liedermacher Dieter Süverkrüp 1971 bei seinem Auftritt beim DKP-Parteitag
       
       Der Test funktioniert wahrscheinlich fast immer: Wer in die Plattensammlung
       eines links-alternativen, ökologisch- oder friedensbewegten westdeutschen
       Menschen zwischen 40 und 80 Jahren schaut – sofern diese noch vorhanden ist
       –, wird mindestens einen Tonträger des Labels pläne aus Dortmund finden.
       Vielleicht ist es Hannes Waders Album „Es ist an der Zeit“, vielleicht die
       „neuen“ Volkslieder von Zupfgeigenhansel, oder aber ein Exemplar eines
       Albums mit Kinderliedern von Fredrik Vahle; vielleicht finden sich auch die
       überwiegend instrumentalen Alben der Akkordeonistin Lydie Auvray.
       
       Die 65-jährige Französin, die bereits als frischgebackene Abiturientin nach
       Deutschland kam und bald mit Künstlern wie Hannes Wader spielte, erklärt,
       was man in ihrer Szene über das Label gedacht hat: „Pläne war der
       politische Verlag. Man gehörte nicht zum Mainstream, wenn man bei pläne
       war, sondern zum größten der alternativen Label.“
       
       Die Nachkriegsgeschichte von pläne begann vor 60 Jahren, endete 2011 und
       hinterließ eine Lücke: Seine Künstler:Innen haben die Art, auf Deutsch
       zu singen, in den 1970er und 1980er sicherlich beeinflusst. Ein Label, das
       so konsequent unbequeme, politisch motivierte linke Musiker:Innen
       unterstützt, existiert heute nicht mehr.
       
       Wer wissen möchte, wie es mit pläne angefangen hat, muss bei Dieter
       Süverkrüp anrufen. Er gilt als einer der Gründerväter der westdeutschen
       Liedermacherbewegung und lebt heute 86-jährig als Maler in Düsseldorf.
       Seine Frau reicht den Hörer weiter: „Irgendwas wegen pläne.“
       
       Wie alles begann 
       
       Im Stakkato kurzer Sätze handelt Süverkrüp die wichtigsten Fakten ab:
       „Pläne war der Name einer antifaschistischen Zeitschrift, die von den Nazis
       verboten wurde. Die Rechte hatte Arno Klönne erworben, der damals als
       Hochschullehrer an der Universität Münster arbeitete.“ Gegründet hatte sie
       Anfang der 1930er Jahre der freie Autor Eberhard Koebel, der in den 1920er
       Jahren zunächst Hitler-Bewunderer war, später Mitglied der Kommunistischen
       Partei wurde, die Deutsche Jungenschaft vom 1. November 1929 gründete und
       1934 nach England emigrierte.
       
       Ende der 1950er Jahre reaktivierte eine Gruppe um Arno Klönne erst die
       Zeitschrift – „da haben auch Leute wie Gustav Heinemann geschrieben“,
       berichtet Süverkrüp. Und irgendwann brachte ein Mitstreiter in Erfahrung,
       dass man zum Pressen von Schallplatten nur 800 Mark brauchte. „So
       beschlossen wir als fünfköpfige Gruppe, auch ein Grafiker war dabei, 1961
       in einem Vortragsraum an der Uni Münster: Machen wir das doch. Mit 2.000
       D-Mark Startkapital.“
       
       Eine der ersten Veröffentlichungen war 1962 eine EP, sie enthielt von
       Dieter Süverkrüp eingesungene deutsche Übersetzungen der Lieder aus der
       französischen Revolution. Im deutschsprachigen Bereich sollte auch die
       größte Leistung des pläne-Plattenlabels liegen: Es verlegte im
       Ruhrgebiet lebende Liedermacher*innen wie die Gruppe Ape, Beck &
       Brinkmann und Fasia Jansen. Ab 1973 erneuerte Fredrik Vahle mit der
       Unterstützung des Dortmunder Labels das Kinderlied: Auch die zeitgleich
       erschienenen Kinderlieder des Westberliner Gripstheaters hatten
       Hitpotenzial, Vahles Alben „Die Rübe“ und „Der Fuchs“ waren damals noch
       erfolgreicher.
       
       Allein mit den Folksongs des Duos Zupfgeigenhansel hat pläne
       Hunderttausende Alben verkauft. Bewahrt hat es sich immer den Charme des
       Basisdemokratischen. Die 1970er und 1980er Jahre waren die kommerziell
       besonders ertragreiche Zeit von pläne. Durch Rückenwind von Friedens- und
       Anti-AKW-Bewegung und des Folkrevivals etablierte es sich abseits der
       üblichen Vermarktungswege im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen
       – und auch abseits von den damaligen popmusikalischen Hypes wie Krautrock,
       Neue Deutsche Welle und (Post-)Punk – obwohl pläne-Künstler:Innen wie
       Zupfgeigenhansel und Fasia Jansen ebenfalls in Conni Planks Studio nahe
       Köln aufnahmen, wo sonst Pioniertaten von Kraftwerk, Can und Neu!
       entstanden.
       
       Lob von Brian Eno 
       
       Selbst der britische Künstler Brian Eno, damals Stammgast bei Plank,
       befand: „Zupfgeigenhansel sind besser als Simon & Garfunkel!“ Pläne nutzte
       seine Bemerkung sogar als Werbeslogan, schrieb dabei allerdings den Namen
       falsch: Brian Emu. So abgeschirmt war pläne von der großen Popwelt!
       
       „Geholfen haben uns immer die politischen Festivals: Das Festival der
       Jugend, das UZ-Pressefest, die Friedensdemos“, erinnert sich Ulrich
       Hetscher. Seit 1983 war er beim pläne-Verlag für das Repertoire
       verantwortlich und arbeitete auch im neuen Jahrtausend noch als Produzent
       für einzelne Aufnahmen. In Ulli Hetschers verrauchtes Büro in der Kölner
       Neustadt-Süd muss gehen, wer prüfen will, was von pläne übrig blieb,
       nachdem das Label 2011 seine Geschäfte einstellte.
       
       Hier stehen Vinyl- und CD-Regale voll mit Alben, die das pläne-Logo und
       überraschende Namen tragen wie den des italienischen Cantautore Paolo
       Conte, der südafrikanischen Sängerin Miriam Makeba und der chilenischen
       Folkgruppe Inti-Illimani. „Ungefähr die Hälfte des Repertoires war
       fremdsprachig, die andere Hälfte sang deutsch“, erklärt Hetscher, der manch
       pläne-Künstlerin wie Lydie Auvray bis heute auf seinem eigenen Label
       Westpark-Music verlegt.
       
       Politischer Anspruch 
       
       Künstler, die aus Diktaturen fliehen mussten, die damals in Europa und
       Südamerika herrschten, fanden bei pläne immer ein Zuhause. „Das prägende
       Element des Verlags war der politische Anspruch. Künstler mussten
       politische Bedeutung haben, oder sich zumindest mit der Linie von pläne
       identifizieren.“ 1984 erschien dort „Die Kanaken“, das erste kommerziell
       erfolgreiche deutschsprachige Album eines türkischen Musikers – Cem Karaca.
       
       Was genau war das für eine politische Linie? Ulli Hetscher kramt ein
       Dokument heraus: Die Vertragspräambel, die in den 1970er und 80er Jahren
       verwendet wurde. „Der Künstler und ‚pläne‘ führen ihre Arbeit auf der
       Grundlage dieses Vertrages im Geiste des Friedens, der internationalen
       Entspannung und Verständigung, des sozialen Fortschritts und der Erhaltung
       und Entwicklung demokratischer Rechte und Freiheiten durch“, heißt es
       darin. „Sie wenden sich besonders gegen kriegerische Aggressionen jeder
       Art, gegen Faschismus und Antikommunismus, gegen Rassismus und andere
       Formen der Diskriminierung.“
       
       Dass pläne DKP-nah war, wird heute niemand bestreiten. Daran erinnert sich
       auch Eva Mair-Holmes, die Geschäftsführerin des anderen großen linken
       westdeutschen Labels: Trikont in München. „Pläne wurde immer gehandelt als
       DKP-näher, Trikont war eher so die anarchistische Richtung“, sagt sie. „Es
       gab inhaltlich aber doch ziemliche Unterschiede, man war nicht wahnsinnig
       verbrüdert.“ Anders als Trikont entdeckte pläne leider nie die Stärke der
       unorthodoxen angloamerikanischen Folkmusik für sich.Stattdessen hielten
       sich hartnäckige Gerüchte, pläne werde aus der DDR finanziert. Dieter
       Süverkrüp behauptet: „Mit Sicherheit nicht! Pläne hat sich immer dagegen
       gewehrt, von der DDR kulturell beeinflusst zu werden.“ Ulli Hetscher
       dröselt es detaillierter auf: Durch gute Plattenverkäufe etwa mit
       Zupfgeigenhansel konnte pläne auf eigenen Beinen stehen. „Einer der größten
       Gesellschafter des pläne-Verlags war in den 1980er Jahren allerdings der
       Pahl-Rugenstein Verlag. Der ging nach der Wende sofort pleite.“
       
       Verbindungen zur DDR 
       
       Inzwischen ist bekannt, dass der Pahl-Rugenstein Verlag maßgeblich aus der
       DDR finanziert wurde. Im Jahr 1990 musste pläne die Gesellschafteranteile
       zurückkaufen, um nicht in die Konkursmasse einzugehen. Man war dazu
       ökonomisch in der Lage und konnte sogar noch zwei Jahrzehnte alleine
       weitermachen. An plänes engen Verbindungen zur offiziellen DDR-Kultur
       erinnert sich auch Erich Schmeckenbecher von Zupfgeigenhansel:
       „Pläne-Künstler sind in Ostdeutschland aufgetreten. Wir veröffentlichten
       auch Alben beim DDR-Staatslabel Amiga. Und das Buch mit unseren
       Volksliedern ‚Es wollt ein Bauer früh aufstehn‘ war dort beliebter als die
       Bibel im Vatikan. Die ganzen Ostgruppen haben unsere Lieder nachgesungen.“
       
       Schmeckenbecher glaubt, ohne die Musik der pläne-Künstler wäre die
       bundesdeutsche Musiklandschaft ärmer: „Wir liefen damals vor und nach den
       Rolling Stones im Radio. In den 1980ern wurden Formatradio und
       Spartenfernsehen erfunden und Musik mit politischen Inhalten verschwand
       weitgehend aus den Programmen. Heute erlebe ich eine Vervielfältigung der
       Einfalt. Wenn ich Radio höre, denke ich: Worüber singen die? Das ist so
       gefühlig im luftleeren Raum. Unsere Texte waren konkret, auch hart.“
       
       Wie in „Heimatlied“, verfasst von Dieter Süverkrüp im Stile alter
       Volkslieder, doch es erzählt von der politischen Generation der 1980er
       Jahre: „Aber am Vormittag drängen sich Friedensleute / Vielfach, lustig,
       bunt, zwischen allen Häusern hin / Manch' todgeweihtes Haus ist wieder jung
       geworden / Frech und farbenfroh wohnen Hausbesetzer drin.“
       
       24 Mar 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Max Florian Kühlem​
       
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