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       # taz.de -- Folgen von Corona für die Arbeitswelt: Heimarbeit als Elitemodell
       
       > In der Pandemie boomt die Heimarbeit. Doch der Trend zum Homeoffice
       > könnte Ungleichheiten in den Arbeits- und Lebensbedingungen verstärken.
       
   IMG Bild: Homeoffice: derzeitiger Ausnahmezustand, doch was kommt nach der Pandemie?
       
       Es hat schon etwas Verführerisches: länger schlafen, eine rasche
       Morgentoilette, nur die Oberkörperbekleidung sollte adrett aussehen. Besser
       noch, man lässt bei der Frühkonferenz den Bildschirm ausgeschaltet und kann
       so nebenher noch ein Müsli verspeisen. Homeoffice kann komfortabel sein.
       Aber eben nur für bestimmte Personengruppen. Und das ist der Punkt. Noch
       ist [1][Ausnahmezustand auch beim Homeoffice]. Aber was kommt nach der
       Pandemie?
       
       Infolge von Corona werden sich die Arbeitsbedingungen in vielen Bereichen
       weiter flexibilisieren. Glück hat, wer eine telearbeitstaugliche Tägigkeit
       ausübt, eine feste Anstellung hat, sich die Homeoffice-Tage frei wählen
       kann, wer dadurch einen langen Anfahrtsweg spart, über eine größere Wohnung
       mit Arbeitszimmer vielleicht noch mit Blick ins Grüne und über einen
       Partner oder eine Partnerin verfügt und über eine gute Kinderbetreuung. Für
       solche Erwerbstätigen ist der Trend zum Homeoffice ein Elitemodell.
       
       Weniger von der Flexibilisierung und dem Trend zum mobilen Arbeiten werden
       hingegen jene profitieren, die alleine und beengt wohnen, ohne
       Arbeitszimmer, ohne private Ansprechpartner:innen, und von denen man
       möglicherweise auch in Zukunft erwartet, ihren Job auch gut von zu Hause
       aus erledigen zu können. Sich dann die Woche über nur noch tageweise
       Schreibtische in der Firma mit den Kolleg:innen zu teilen, die
       eigentlich ein bisschen Familienersatz sein sollen, das dürfte nicht jedem
       liegen.
       
       Zumal der innere Kompass durcheinanderkommt, wenn der private Erholungsraum
       und der Arbeitsraum auf ungute Weise miteinander verschmelzen. Eine Studie
       der [2][Technischen Univerität Darmstadt ergab unlängst,] dass die
       Befragten dann zufriedener im Homeoffice sind, wenn sie in einer guten
       Wohnsituation leben. Wenn aber die Arbeitszufriedenheit in Zeiten der neuen
       Flexibilität davon abhängt, ob man sich eine große, helle Wohnung leisten
       kann oder nicht, dann wird das Wohlbefinden im Job ins Private ausgelagert.
       
       ## Nur rund ein Viertel arbeitet zu Hause
       
       Dies verstärkt Ungleichheiten. Wobei die Ungleichheit schon damit anfängt,
       ob die Tätigkeit überhaupt Homeoffice erlaubt oder nicht. Etwa ein
       [3][Viertel der Beschäftigten] arbeiten während der Coronapandemie ganz
       oder weitgehend im Homeoffice, so eine Befragung des WSI-Instituts der
       gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Was umgekehrt bedeutet, dass drei
       Viertel der Beschäftigten kein weitgehendes Homeoffice praktizieren.
       
       Darunter sind Belegschaften in der Produktion, im Handwerk, im Handel, in
       Schulen und Kitas, in Praxen, in der Pflege, in den Zustelldiensten, in
       Ämtern mit persönlichem Kundenkontakt, Künstler:innen. Die Liste der
       Präsenzarbeiter:innen ist lang. Menschen in homeofficetauglichen
       Bürojobs übersehen das gern. Laut der Studie aus Darmstadt wünschen sich
       die Bürobeschäftigten künftig „hybride“ Formen, also Mischformen aus der
       Arbeit im Büro und zwei bis drei Tagen Homeoffice in der Woche.
       
       Voraussetzung für das Wohlbefinden ist die Freiwilligkeit, das zeigen
       internationale Forschungen im unlängst erschienenen Reader „Flexible Work.
       Designing Our Healthier Future Lives“ (Routledge 2020). Die Beschäftigten
       wollen möglichst autonom entscheiden können, ob und wann sie ihre
       „Heimtage“ nehmen. Die Frage ist, wie viel Autonomie ihnen die Unternehmen
       zugestehen.
       
       Ein Recht auf Homeoffice gibt es nicht, Bundesarbeitsminister [4][Hubertus
       Heil (SPD) konnte einen entsprechenden Gesetzentwurf] nicht durchbringen.
       Einen Zwang zum Homeoffice aber darf es auch nicht geben, wenn der
       Krisenmodus erst mal vorbei ist. Festangestellte können nicht mal eben vom
       Unternehmen gezwungen werden, den Arbeitsplatz in die eigene Wohnung zu
       verlegen.
       
       ## Nicht unbedingt produktiver
       
       In einer Befragung des Münchner [5][Ifo-Instituts sagten] nur 18 Prozent
       der Manager:innen, dass die Produktivität ihrer Mitarbeiter:innen im
       Homeoffice höher sei als im Betrieb. Mehr als ein Drittel klagt sogar über
       Verschlechterungen. Die Idee, dass künftig in vielen großen Firmen ganze
       Büroetagen eingespart werden, weil die Beschäftigten doch auch gut in den
       eigenen vier Wänden am PC arbeiten können, dürfte also eher unrealistisch
       sein.
       
       In einer Erhebung des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft
       ([6][IW) vom Februar sagte nur ein Drittel] der Firmen, man erwarte für die
       Zukunft, dass die Beschäftigten öfter als vor der Pandemie von zu Hause aus
       arbeiten werden. Nur 6 Prozent der Unternehmensvertreter:innen
       erklärten, dass die Firma in den nächsten Monaten Büroflächen reduzieren
       wolle.
       
       Freiwilliges Homeoffice, sogenannte Flexitage, die man sich selbst
       auswählen kann, wobei der feste Arbeitsplatz in der Firma verfügbar bleibt,
       dürften die beliebtesten Arbeitsbedingungen werden. Internationale Studien
       belegen, dass es vor allem die Hochqualifizierten sind, denen man
       selbstbestimmtes flexibles Arbeiten zugesteht. Wobei die Forschung ein
       „Autonomie-Paradox“ feststellt:
       
       Gerade Menschen, die vermeintlich autonom von zu Hause aus arbeiten, können
       oft schwerer abschalten und sich schlechter von der Arbeit abgrenzen als
       Kolleg:innen, die nach Feierabend das Bürogebäude verlassen. Wenn der Trend
       zu mehr Homeoffice auch nach Corona anhält, wird man vermutlich erneut den
       Streitfragen aus früheren Diskussionen um die Humanisierung und
       Dehumanisierung der Arbeitswelt begegnen.
       
       Verstärkt das Homeoffice die alte Besserstellung der „white-collar“
       gegenüber den „blue-collar workers“? Was ist mit der kollektiven
       Interessenvertretung, wenn die Beschäftigten statt im Betrieb nur noch
       allein zu Hause sitzen? Wie genau ist Arbeitsleistung messbar und die
       Abgrenzung zur Freizeit gesichert? Besteht die Gefahr, dass die Firmen
       Aufgaben verstärkt outsourcen? Um Nutzen und Schaden der Flexibilisierung
       wird es ein Tauziehen geben. Für Euphorie besteht also kein Anlass.
       
       1 Apr 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Die-These/!5743704
   DIR [2] https://www.tu-darmstadt.de/universitaet/aktuelles_meldungen/einzelansicht_304448.de.jsp
   DIR [3] https://www.boeckler.de/de/pressemitteilungen-2675-deutlicher-anstieg-30681.htm
   DIR [4] /Gesetzentwurf-fuer-Recht-auf-Homeoffice/!5715984
   DIR [5] https://www.ifo.de/node/59824
   DIR [6] https://www.iwkoeln.de/presse/pressemitteilungen/beitrag/oliver-stettes-michael-voigtlaender-unternehmen-halten-an-bueros-fest.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Dribbusch
       
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